SZ-Serie: Schatzsucher:Das Gold des Captain Flint

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Jim Hawkins spürt in Stevensons Roman "Die Schatzinsel" einem legendären Goldschatz nach - und nimmt den Leser mit auf die Suche.

W. Winkler

Wer etwas auf sich hält heutzutage, der hat seine eigene Insel. Sylt, erst recht Ibiza oder selbst Martha's Vineyard, das war gestern, das ist gewöhnlich - "Einfach zu viel Leute hier, Schatz!" Als mittelprächtiger Prinz oder überbezahlter Filmstar geht es inzwischen nicht mehr ohne eigenes Stück Sand im Süden, links ab bei den Bahamas, ultramarineblaueste Karibik, und dann nur noch Strand, Sonne und ein paar dienstbare Eingeborene, die beim Bacardi für steten Nachschub sorgen.

1883 veröffentlicht Robert Louis Stevenson "Die Schatzinsel". Die Karte soll er ein paar Jahre vorher gezeichnet haben - um seinen Stiefsohn im Urlaub bei Laune zu halten. (Foto: Foto: oh)

Aber was ist selbst ein so astreiner Hängemattentraum gegen die Kinderge-schichte, die Robert Louis Stevenson in der "Schatzinsel" (zuerst 1883 erschienen) erzählt! Es ist eine Geschichte für kleine Jungs, die den Ernst des Lebens noch nicht kennen müssen, die Liebe, den Beruf und das ganze verdammte Zeug. Für Buben wie den 17-jährigen Jim Hawkins, der in der Gastwirtschaft seines Vaters, im "Admiral Benbow", mitarbeitet und täglich wildere Gestalten durch die Tür kommen sieht.

Gold "zum Drinwälzen"

Eine davon ist ein alter Seebär mit fettigem Zopf und einer tiefen Säbelnarbe quer über der Backe. "Jo-ho", singt er, "und 'ne Buddel voll Rum." Das ist Billy Bones, ein alter Maat, der sich vor seinen Kumpels fürchtet und hier mit Blick aufs Meer zu Tode trinken will. Tatsächlich fällt er bald um und ist mausetot, kann Jim aber noch eine Karte vererben, die sich in seinem Reisekoffer befindet. Die Karte bezeichnet die genaue Lage eines ungeheuren Piratenschatzes, vergraben irgendwo in der Südsee.

Captain Flint hat diesen Schatz angehäuft, zusammengeraubt aus allen karibischen Ländern, Geld und Gold "zum Drinwälzen", und ihn dann vergraben auf einer unbekannten Insel, und nicht ohne zugleich die sechs Mitwisser umzubringen. Allein, auch er ist darüber verstorben, der gute Captain Flint, hat sich tot gesoffen in Savannah, denn Geld, wissen wir doch, Geld allein macht nicht glücklich.

Ein Schiff voller Halunken

Geld macht unglücklich, vor allem den, der es nicht hat. Long John Silver, Flints ehemaliger Quartiermeister, hat es nicht und will es haben. Squire Trelawney ist dahinter her, sein Freund Dr. Livesay und am Ende auch der bis dahin so unschuldige Jim Hawkins. In Bristol wird ein Schiff ausgerüstet und damit in See gestochen, auf der Suche nach dem Abenteuer und nach dem Gold. Die Karte weist den Weg, den die Mannschaft bereits kennt, denn das Schiff ist, wie sich erweist, voller Halunken. Es sind die Leute, die mit Flint einst ganz Westindien bedrohten und jetzt endlich ihre Beute haben wollen.

Long John Silver führt diese Bande an, ein gebildeter Finstermann, einbeinig nur mehr und auf einen Krückstock angewiesen, doch mit dieser Waffe eine tödliche Gefahr. Einen Papagei hat er auch. Jim wird sich zu Tode ängstigen, wenn er bloß das Tock-Tock der Krücke auf den Bohlen hört.

Robert Louis Stevenson (Foto: Foto: Getty Images)

Aber, so fragt die geneigte Leserin, fragt der skeptische Leser, aber gab es den Schatz der "Schatzinsel" denn wirklich? Keine Ahnung, Seeräuber gab es auf jeden Fall genug. Die meisten arbeiteten auf eigene Rechnung, kreuzten vor Florida und warteten auf die spanischen Karavellen, die, bis zum Oberdeck beladen mit Raubgold aus Mexiko, hinüber ins Mutterland wollten, wo Felipe II. wieder einmal vor dem Staatsbankrott stand und die Goldspritze aus Südamerika händeringend erwartete.

Es gab auch genug Engländer, die im Auftrag Ihrer Majestät kaperten und die eroberte Fracht mit Gewinn daheim in England ablieferten. Der edle Freibeuter Walter Raleigh durfte sogar seine Königin beraten. Schließlich segelte er in die Ferne und sollte das sagenhafte Goldland finden, El Dorado. Er fand es nicht, fiel in Ungnade und wurde, nachdem er etliche Jahre im Tower verbracht hatte, auf Betreiben der neidischen Spanier geköpft.

Zerstochene Augen und eiternde Haut

Die wenigsten Piraten sahen so sexy aus wie Johnny Depps verwegener Captain Sparrow. Die echten Seeräuber waren zerlumpte Gestalten, früh schon ohne Zähne, weil ihnen die der Skorbut geraubt hatte, dafür trugen sie reichlich Schmuck am Leib, den überdies eiternde Tätowierungen zierten. Doch mussten diese frauenlosen Haudegen nicht schön sein, und unter Männern galt die Klappe über einem im Nahkampf zerstochenen Auge beinah als Adelsprädikat.

Der Schatz von Captain Flint findet sich, wenn auch nicht da, wo ihn die Karte des seligen Billy Bones wusste. Silver, der einbeinige alte Bandit, vergeht fast vor Gier, so knapp vorm Ziel scheint er wieder um seinen Lohn betrogen und humpelt wie um sein Leben über die verfluchte Insel. Ein Skelett (was für ein Regie-Einfall!) weist den Jägern den Weg, und da liegt er, der Schatz, den anzuhäufen, so viele Menschen das Leben gekostet hatte. "Keiner kann wohl sagen, welches Blut und welches Leid er gefordert hat, wie viele auf den Grund versenkte gute Schiffe, wie viele tapfere Männer, die mit verbundenen Augen über die Planke gehen mussten, was insgesamt an Schande, Lügen, Grausamkeiten."

Stevenson kann's. Wer die "Schatzinsel" gelesen hat, kennt mehr als ein Buch. Er ist übers Meer gefahren, hat mit Banditen gekämpft, mit Hitze und Regen, er hat dem Tod ins Auge geschaut, und am Ende beinah wirklich den märchenhaften Schatz in Händen gehalten. "Ihr hier", sagt der Erzähler von Joseph Conrads Novelle "Jugend" am Ende zu seinen Zuhörern, "ihr hattet alle was vom Leben: Geld, Liebe - und was man so erreicht an Land - aber sagt selber: War das nicht die beste Zeit, damals, als wir jung und auf See waren, jung waren und nichts hatten, auf der See, die einem nichts schenkt, abgesehen von ein paar derben Schlägen und manchmal, selten, die Gelegenheit, die eigene Stärke zu spüren? Ist es nicht so, dass ihr dem am meisten nachtrauert?"

"Jo-ho!", und natürlich die Buddel voll Rum.

© SZ vom 07.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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