SZ-Serie: Die großen Spekulanten (6):Wie der Weltökonom Millionen machte

John Maynard Keynes spekulierte sich an der Börse reich - und zog daraus wichtige Schlüsse für seine revolutionäre Wirtschaftstheorie.

Nikolaus Piper

Lord Keynes hat der Nachwelt viele gute Sprüche hinterlassen. Broker, so schrieb er 1944 seinem Neffen David Hill, lägen immer falsch. Wären ihre Ratschläge wirklich so gut, wie sie behaupteten, dann hätten sie diese längst selbst beherzigt und wären reich und im Ruhestand.

Außerdem neigten alle dazu, ihren Kunden die gleichen Ratschläge zu geben. "Daher sind die Aktien jener Unternehmen, deren Verkauf sie empfehlen, immer zu billig, die Aktien, die sie zum Kauf vorschlagen, immer zu teuer. Wenn man also herausfinden könnte, was die Broker ihren Kunden vorschlagen und dann das genaue Gegenteil täte, wäre dies ein sicherer Weg zum Wohlstand." Ähnliches ließe sich auch heute über die Beratungsqualität mancher Analysten sagen.

Zweifel an der Selbstheilung

Der britische Ökonom John Maynard Keynes (1883 bis 1946) revolutionierte in den dreißiger Jahren die Wirtschaftswissenschaften. Er zog die Selbstheilungskraft der Märkte in Zweifel und begründete eine völlig neue Schule der Wirtschaftspolitik. Sein Erbe ist umstritten, aber bis heute überaus wirksam. Derzeit bereitet die amerikanische Regierung ein Konjunkturprogramm ganz im Stil von Keynes vor.

Aber Keynes war nicht nur Ökonom, sondern auch ein leidenschaftlicher Spekulant. Und was auch viele Anhänger von Keynes übersehen: Seine Erfahrungen an der Börse flossen direkt in seine Wirtschaftstheorie ein. Ohne den Spekulanten Keynes gäbe es vermutlich auch den Theoretiker Keynes nicht.

Während seines ganzen Lebens hat Keynes die Veränderung im eigenen Wertpapierdepot genau dokumentiert. Sein erstes Geschäft tätigte er kurz nach dem Examen am King's College in Cambridge: Am 6. Juli 1905 erwarb er an der London Stock Exchange vier Aktien der "Marine Insurance Company", einer Schiffsversicherung, für 160 Pfund und sechs Schillinge, was heute der Kaufkraft von ungefähr 9000 Euro entsprechen würde.

Das Geld stammte aus verschiedenen akademischen Preisen und den Zuschüssen, die Keynes während des Studiums alljährlich zum Geburtstag von seinem Vater bekam. Am Ende des Ersten Weltkrieges hatte Keynes sein Vermögen bereits auf 16431 Pfund verhundertfacht. Dabei ging er für damalige Verhältnisse erhebliche Risiken ein; zeitweise erwarb er die Hälfte seiner Wertpapiere auf Pump.

Keynes' Spekulationserfolge sind insofern erstaunlich, als zwischen seinem persönlichen Leben, der Börse und der Ökonomie immer eine gewisse Spannung herrschte. Keynes wurde in eine hochgebildete Familie in Cambridge geboren. Als junger Mann schloss er sich dem Bloomsbury-Kreis an, einer Gruppe von Intellektuellen um die Schriftstellerin Virginia Woolf, die sich den überlieferten Normen der englischen Gesellschaft konsequent entzogen.

Kunst, Ästhetik und Philosophie waren für die Bloomsburys immer wichtiger als Geld, Prestige oder gar die Börse; weder die protestantische Arbeitsethik noch die überkommene Sexualmoral bedeuteten ihnen etwas. Keynes war offen homosexuell, mit dem Maler Duncan Grant verband ihn eine lange und leidenschaftliche Liebesbeziehung. Als er 1924 schließlich doch die Balletttänzerin Lydia Lopokova heiratete, war Grant sein Trauzeuge.

Im Gegensatz zu den anderen Bloomsburys - und zu deren Missfallen - blieb Keynes jedoch auch immer im normalen bürgerlichen Leben verankert, als Ökonom, als Angestellter der britischen Regierung und eben als Spekulant. Das mag der Grund dafür gewesen sein, dass Keynes die Motive der Spekulanten so kritisch und selbstzweiflerisch reflektierte.

Wie der Weltökonom Millionen machte

Als er in den zwanziger Jahren eine Erklärung dafür suchte, warum die Arbeitslosigkeit in Großbritannien nicht zurückging, fand er eine der Erklärungen in der "Liebe zum Geld": Weil die Vermögenden Angst vor künftigen Risiken hatten, so dachte er, horteten sie Geld, die Investitionen blieben hinter den Ersparnissen zurück, Arbeitslosigkeit entstand. Anders als die klassische Ökonomie lehrte, waren Zinsen das Ergebnis purer Spekulation und konnten daher Sparen und Investieren nicht ins Gleichgewicht bringen.

Als er aus dieser Beobachtung eine Theorie machte, nahm Keynes direkt Bezug auf die eigenen Erfahrungen. Vor einer Regierungskommission in London sagte er 1929, kurz nach Ausbruch der Weltwirtschaftskrise: Wegen der Unsicherheit hinsichtlich des künftigen Preises der Aktien seien Investitionen "vor allem eine Sache tierischer Instinkte. Sie haben wenig oder nichts damit zu tun, was eine Gesellschaft konsumieren oder sparen möchte. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich habe das Spiel in den letzten zehn Jahren selbst gespielt."

Aus der "Liebe zum Geld" wurde später in Keynes' Hauptwerk "Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes" die "Liquiditätspräferenz". Diese kann, so die Theorie, in der Krise so groß werden, dass alle nur noch Geld horten, das Wirtschaftsleben erlahmt und der Staat eingreifen muss, um die Wirtschaft aus dem "Gleichgewicht bei Unterbeschäftigung" zu führen.

Katastrophaler Fehler

Trotz seiner Skepsis gegenüber der Liebe zum Geld ließ sich Keynes immer wieder auf gewagte Börsengeschäfte ein, zum Beispiel auf Währungsspekulationen. Im Jahr 1924 wettete er darauf, dass die Liberale Partei, der er selber angehörte, die Wahlen gewinnen würden. Die Liberalen hatten sich, auf Keynes' Rat hin, gegen die schnelle Rückkehr Großbritanniens zum Goldstandard ausgesprochen; deren Wahlsieg hätte also einen niedrigen Pfund-Kurs nach sich gezogen.

Tatsächlich jedoch siegten die Konservativen haushoch, und der Kurs der britischen Währung schoss in die Höhe. Als Ökonom sollte Keynes Recht behalten, die Rückkehr zum Gold war ein katastrophaler Fehler; als Spekulant jedoch verlor er damals viel Geld. Auch sein Freund Duncan Grant, der auf ihn gehört hatte, wurde bei der Gelegenheit 70 Pfund los.

1937 und 1938 erlitt Keynes nochmals herbe Verluste. Er hatte seit 1932 regelmäßig an der Wall Street investiert und nun eine Rezession unterschätzt, die die Vereinigten Staaten Ende der dreißiger Jahre heimsuchte. Insgesamt blieb seine Bilanz jedoch ausgezeichnet. Das zeigte sich auch dort, wo Keynes nicht auf eigene Rechnung spekulierte, sondern das Geld anderer verwaltete. Das Stiftungsvermögen seiner Universität, des King's College, für das er direkt verantwortlich war, versiebenfachte sich zwischen 1920 und 1936 von 30000 auf 200000 Pfund.

Zwischen Theorie und eigenem Verhalten mussten jedoch Widersprüche bleiben. Da Keynes die Spekulation für die Wirtschaftskrisen seiner Zeit für mitverantwortlich hielt, plädierte er für deren strikte Begrenzung. Zwar seien Börsen durchaus mit einer stabilen Gesellschaft vereinbar, "das Verhältnis zwischen dem Aktionär und seiner Aktie sollte so sein wie das zwischen Ehefrau und Ehemann", wie Keynes' Biograph Robert Skidelsky dessen Gedanken zusammenfasst. Keine schnellen Geschäfte also, keine Hektik, sondern langfristige Anlagen. Heutzutage würde sich der Ökonom vermutlich am ehesten mit einem Investor wie Warren Buffett anfreunden können.

Seine Gedanken zur Rolle der Spekulation in der Ökonomie fasste Keynes im 12. Kapitel der "Allgemeinen Theorie" zusammen, dem schönsten und farbigsten des ganzen Buches. Vor allem glaubte er, durchaus modern, dass Börsianer viel zu kurzfristig denken. "Das Spiel der professionellen Geldanlage ist unerträglich langweilig und anstrengend für jeden, dem der Spieltrieb völlig abgeht," schrieb er.

Zwar gebe es auch den Typus des langfristigen Anlegers, der im öffentlichen Interesse handele, doch der bekomme immer Ärger mit seinen Aufsichtsgremien. "Denn es liegt in der Natur von dessen Verhalten, dass er in den Augen der Allgemeinheit als exzentrisch, unkonventionell und unbesonnen erscheint." Schließlich kommt Keynes zu dem Schluss: "Spekulanten sind vermutlich harmlos als Blasen auf einem steten Strom des Unternehmertums. Aber die Lage wird ernst, wenn das Unternehmertum zur Blase in einem Strudel der Spekulation wird."

Für ihn selbst und seine Familie hat sich das Spiel an der Börse allerdings gelohnt. Als Keynes 1946 starb, hinterließ er seiner Witwe Lydia ein Vermögen an Geld und Wertpapieren von 479.529 Pfund (was heute über zehn Millionen Euro wären). Zuvor schon hatte er aus den Erträgen seiner Börsengeschäfte ein Landhaus in der Nähe von London erworben und Lydia ein kleines Theater in Cambridge geschenkt. Keine schlechte Bilanz für ein Spekulantenleben.

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