SZ-Serie: Die großen Spekulanten (40):Der schrullige Milliardär

Der US-Investor Warren Buffett liefert schon lange Stoff für Legenden. Jetzt könnte das Orakel aus Omaha sogar US-Finanzminister werden.

Nikolaus Piper

Es gibt unzählige Anekdoten aus dem Leben von Warren Buffett. Eine davon geht so: Am Tage nach dem der Chairman und CEO von Berkshire Hathaway gestorben sein wird, finden seine Erben in dessen Schreibtisch einen Brief folgenden Inhalts vor: "Gestern bin ich gestorben. Das ist zwar eindeutig eine schlechte Nachricht für mich, es ist jedoch keine schlechte Nachricht für die Firma. Die Nachfolge ist regelt."

SZ-Serie: Die großen Spekulanten (40): Der amerikanische Großindustrielle Warren Buffett: Aktionäre pilgern zu seiner Hauptversammlung, als  wäre es ein Pop-Konzert.

Der amerikanische Großindustrielle Warren Buffett: Aktionäre pilgern zu seiner Hauptversammlung, als wäre es ein Pop-Konzert.

(Foto: Foto: dpa)

Die trockene Selbstironie des Briefes ist ebenso bezeichnend wie die Tatsache, dass dessen Inhalt schon heute bekannt ist. Das Orakel von Omaha ist durchaus geneigt, an der eigenen Legende mitzuwirken. Schätzungsweise 60 Essay-Sammlungen, Anlageführer und andere Bücher über Buffett stehen heute in den Buchhandlungen.

Bereits 1995 schrieb der Journalist Roger Lowenstein eine erste Buffett-Biographie. Was bisher aber fehlte, war eine Biographie, an der Buffett selbst mitarbeitete. Seit vorigen Monat gibt es diese nun ("Warren Buffett - Das Leben ist wie ein Schneeball", Finanzbuch-Verlag München, 34,90 Euro). Autorin ist Alice Schroeder, eine frühere Reporterin des Wall Street Journals, die heute als Analystin arbeitet. Schroeder bekam Zugang zu Buffetts Archiv, er ließ sich von ihr über vier Jahre hinweg insgesamt 300 Stunden lang interviewen, sie durfte private und geschäftliche Korrespondenz lesen.

Das Ergebnis ist für den amerikanischen Markt so wichtig, dass der Bantam-Verlag 7,2 Millionen Dollar vorab für die Rechte bezahlte. Einen Monat lang stand der "Schneeball" an der Spitze der Bestseller-Liste der New York Times. Der Titel bezieht sich auf ein Buffett-Zitat: "Das Leben ist wie ein Schneeball. Es kommt darauf an, nassen Schnee zu finden und einen sehr langen Hügel."

Unbeliebtes Kind

Die Kooperation mit Buffett hat das Buch geprägt - im Guten wie im Schlechten. Noch nie konnte man so viele Details aus dessen Privatleben lesen, noch nie wurde der zeitgeschichtliche Hintergrund des Aufstiegs Buffetts so breit ausgeleuchtet. Gleichzeitig ist das Buch aber viel zu dick und überladen mit überflüssigen Randaspekten. Die Autorin erzählt nicht einfach nur, sie unterbricht den Erzählfluss immer wieder durch wörtliche Passagen aus ihren Interviews. Das macht viele Kapitel zu langatmig.

Das tut der grundsätzlichen Bedeutung des Buches aber keinen Abbruch. Eine der wichtigsten Passagen ist vermutlich die, in der Alice Schroeder eine zuvor kaum beachtete dunkle Seite an Buffetts Kindheit beleuchtet. Warren beruft sich immer wieder auf seinen Vater Howard als eines seiner Vorbilder. Howard Buffett hatte es geschafft, mit bescheidensten Mitteln während der Weltwirtschaftskrise in Omaha eine Existenz als Börsenmakler aufzubauen; später wurde er für die Republikaner in den Kongress gewählt.

Seine Mutter dagegen erwähnt Warren Buffett nie, und Schroeder macht klar, warum: Leila Stahl Buffett war eine finstere, vermutlich seelisch kranke Frau, die es immer darauf oft darauf anlegte, ihre drei Kinder zu demütigen. Warren entfloh seiner Mutter regelrecht und suchte Schutz bei anderen Frauen. Sein Selbstbewusstsein baute er mühselig selbst auf, als er merkte, dass er gut mit Zahlen umgehen konnte. Sein sehr früher Wunsch, reich zu werden und seine Obsession mit Aktien dienten ihm als Halt.

Trotzdem blieb er ein tief verletztes, kontaktarmes Kind; als Jugendlicher tat er sich furchtbar schwer mit den Mädchen. Als seine spätere Frau Susie und er schließlich ein Paar wurden, tat er diesen Sachverhalt einer Tante mit folgenden Worten kund: "Die Dinge im Bereich Mädchen sind auf einem Allzeit-Hoch (...) Das Mädchen hat nur einen Nachteil: Sie versteht nichts von Aktien. Sonst ist sie aber unschlagbar und ich denke, dass ich mit ihrer Achilles-Sehne werde leben können."

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wieso Buffetts Leben einer Legende gleicht.

Der schrullige Milliardär

Buffetts Leben - eine Legende

Man kann sich nach dieser Einführung vorstellen, dass Warren kein einfacher Ehemann werden würde. Susie hatte zuweilen das Gefühl, keinen Mann, sondern ein weiteres Kind geheiratet zu haben, das, außer wenn es um Aktien ging, lebensuntüchtig war. All die Schrulligkeiten, die Buffetts Fans so lieben, seine altmodischen, ausgeleierten Anzüge, seine 08/15-Brille, seine Knauserigkeit und seine Neigung, sich von Fastfood, Cherry Coke und Bonbons zu ernähren, haben vor diesem Hintergrund auch etwas Anrührendes. Da hat sich ein ganz kleiner Junge einen ganz großen Traum erfüllt.

Im übrigen enthält Buffetts Leben alles, was eine Legende ausmacht: Er wurde 1930, am Beginn der schlimmsten Phase der Weltwirtschaftskrise in Omaha geboren. Sein erstes Geld verdiente er bereits mit sechs Jahren, indem er Sechserpackungen Coca-Cola für 25 Cent erwarb und die einzelnen Flaschen für fünf Cent weiterverkaufte, später verdingte er sich als Zeitungsbote, er vermietete Flipperautomaten und handelte mit gebrauchten Golfbällen. Die Grundzüge des Aktiengeschäfts lernte er in der Broker-Firma seines Vaters kennte. Als junger Mann studierte an der Universität von Nebraska, an der renommierten Wharton School in Philadelphia und schließlich an der Columbia-Universität in New York.

In Columbia lernte er 1950 Benjamin Graham kennen, einen Ökonomen und legendären Investor, der dank seine Buches "Der intelligente Investor" damals eine Berühmtheit war. Graham gilt als Erfinder der "Fundamentalanalyse". Er fragte, vereinfacht ausgedrückt, vor einem Aktienkauf: Was wäre das Vermögen eines Unternehmens - Immobilien, Anlagen, Beteiligungen - wert, wenn die Firma "tot" wäre, also kein eigenes Geschäft mehr betreiben würde. Liegt dieser "intrinsische" Wert deutlich über dem Kurs der Aktie, dann ist diese unterbewertet und eine Kaufgelegenheit.

Charlie Munger: Mitverantwortlich für Buffetts Erfolg

Buffett galt als Star unter Grahams Studenten; dass er nicht als Partner in dessen Firma aufgenommen wurde, hat indirekt mit der damals in den Vereinigten Staaten noch üblichen Diskriminierung von Juden zu tun. Graham war Jude, die meisten großen Banken stellten keine Juden als Broker ein. Folglich wollte Graham seinerseits nur Juden einstellen, wie er Warren Buffett mit Bedauern mitteilte.

Aber die wichtigsten Ideen für seinen eigenen Erfolg, für sein Gespür für die richtigen Aktien, die verdankte Buffett seinem Ziehvater Graham. Auch eine seiner wichtigsten Aktien entdeckte er auf einen Tipp Grahams hin: eine kleine Versicherung für Regierungsangestellte namens "Government Employees Insurance Company" (Geico). Buffett spekulierte zunächst mit der Aktie, weil sie sehr billig war und weil ihn Geicos Geschäftsmodell - im wesentlichen der Verzicht auf Versicherungsagenten, überzeugt hatte. Heute ist Geico eine der größten Versicherungen der USA und eine Säule im Firmenimperium Buffetts.

Nach dem Abschied von Graham machte Buffett sich selbständig. Er gründete eine Partnerschaft und verwaltete zunächst das Geld von Bekannten; seine Erfolge verschafften ihm Zugang zu immer mehr und immer bedeutenderen Kunden, die ihr Geld in Buffetts Investmentfonds steckten. In diesen Jahren lernte er auch seinen späteren Partner Charlie Munger kennen. Aus heutiger Sicht hat Munger ebenso großen Anteil an Buffetts Erfolg wie dieser selbst. Von ihm lernte der junge Geldmanager, auf die Qualität des Managements in einer Firma zu achten. Munger war der Konservative von beiden, der Buffett vor mancher gefährlichen Investition bewahrte.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie es Buffett gelang, eine Fehlinvestition in einen Erfolg umzudrehen.

Der schrullige Milliardär

Hauptversammlungen als Pilgerort

1965 kaufte Buffett die Textilfirma Berkshire Hathaway. Eigentlich war das eine Fehlinvestition, denn Berkshire war praktisch pleite ("Die Firma machte ungefähr zehn Minuten im Jahr Gewinne," sagte Buffett später). Aber der Investor drehte den Fehler in einen Erfolg um: Er verwandelte den Firmenmantel von Berkshire in ein neues Investitionsvehikel: Aus den Anteilen an Buffetts Fonds wurden Berkshire-Aktien - und damit begann der legendäre Aufstieg und die Buffett-Legende.

Der Aktienindex Standard & Poors der 500 größten US-Firmen legte von 1965 bis 2007 um 6840 Prozent zu, die Aktien von Berkshire dagegen um 400.000 Prozent. Es gab insgesamt nur sechs Jahre, in denen Buffett den S&P 500 nicht schlug. Kein Wunder, dass die Hauptversammlungen von Berkshire Hathaway - jeweils am ersten Wochenende im Mai - zu Pop-Veranstaltungen wurden, zu denen die Aktionäre zu Zehntausenden pilgern. Mit einem Vermögen von 60 Milliarden Dollar ist der kleine Junge aus Omaha zum reichsten Mann Amerikas geworden.

Zum Faszinosum Buffett gehört auch, dass er zwar in seinem ganzen Habitus ein Mann des Mittleren Westens ist, gleichzeitig jedoch in politischen und gesellschaftlichen Fragen, anders als sein Vater, sehr liberal. In den sechziger Jahren unterstützten die Buffetts die Bürgerrechtsbewegung und standen in engem Kontakt zu den schwarzen Vorkämpfern der Rassengleichheit in Omaha. Bei der jetzigen Präsidentschaftswahl stellte sich Buffett, natürlich, hinter Barack Obama. Den größten Teil seines Vermögens spendete er für die Stiftung seines Freundes Bill Gates.

Turbulentes Privatleben

Auch Buffetts Privatleben war alles andere als konservativ. 1977 verließ ihn seine Frau Susie und zog nach Kalifornien. Weil sie aber überzeugt war, dass ihr Mann ohne weibliche Hilfe nicht leben konnte, suchte sie ihre Nachfolgerin an der Seite Warrens selbst aus: Es war Astrid Menks, eine junge Frau, die 1946 im Deutschland geboren wurde und kurz danach mit ihren Eltern nach Amerika auswanderte. Über viele Jahre hatte sich Astrid in Omaha mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser gehalten.

Astrid zog 1978 bei Warren ein, dieser blieb jedoch mit Susie verheiratet bis zu deren Tod 2004, Astrid und Susie standen sich weiterhin sehr nahe; Freunde bekamen gelegentlich Einladungen, die von Warren, Susie und Astrid gemeinsam unterzeichnet waren. Erst vor zwei Jahren wurde Astrid offiziell zu Buffetts zweiter Frau.

Währenddessen änderte sich das Geschäft Buffetts, einfach wegen der schieren Größe von Berkshire Hathaway. Die Holding ist einer der wichtigsten Versicherungskonzerne der Welt und muss sich in die Konjunkturzyklen dieser Branche fügen. Im vergangenen Mai stimmte Buffett seine Anleger schon darauf ein, dass "die Party vorbei" sei und ein paar magere Jahre auf alle zukämen. Mehr noch: Berkshire investierte auch in Credit Default Swaps (CDS), jene komplexen Finanzprodukte, die Buffett selbst einmal als "Massenvernichtungswaffen" bezeichnet hat.

Doch nach aller Erfahrung wird dies dem Mythos Buffett keinen Abbruch tun. Als er sich im September mit fünf Milliarden Dollar bei Goldman Sachs einkaufte, galt dies als einer der wichtigsten Vertrauenssignale für die Börsen seit langem. Und jetzt warten an der Wall Street alle auf die nächste große Entscheidung des Orakels - als Hinweis darauf, dass der Anfang vom Ende der Finanzkrise gekommen ist.

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