SZ-Serie: Die großen Spekulanten (31):Der Grabtänzer

Sam Zell hat mit Immobilienspekulationen Milliarden verdient. Jetzt macht er sich als Besitzer eines Medienkonzerns unbeliebt. Das stört ihn nicht. Im Gegenteil.

Alexander Mühlauer

Manchmal ist es die Langeweile, die einen auf neue Gedanken bringt. Dieser Zustand des Überdrüssigseins, der das Unerfüllte, die Sehnsucht bewusst macht. Sam Zell studierte Ende der sechziger Jahre Rechtswissenschaft in Chicago; gibt es Langweiligeres? Sicher. Aber Zell spürte, dass ihn das alles schlicht nervte: dieser juristische Krimskrams, dieses gottverdammte Gerechtigkeitsgetue, diese Typen und Tussis in ihren schicken Kleidern und Sportwagen. Nein, dachte er, das kann es, das darf es nicht gewesen sein.

SZ-Serie: Die großen Spekulanten (31): "Sam sieht aus wie einer aus dem Wilden Westen, und so benimmt er sich auch", sagt einer, der Sam Zell gut kennt.

"Sam sieht aus wie einer aus dem Wilden Westen, und so benimmt er sich auch", sagt einer, der Sam Zell gut kennt.

(Foto: Foto: AP)

Zell war 28, als er sich entschloss, in Immobilien zu machen. Immobilien? Zugegeben, nicht gerade spannender als die Juristerei. Bringt aber mehr Geld. Heute hat der 66-Jährige viel davon. So viel, dass er es gar nicht ausgeben könnte, so viel hat er. Und das weiß er auch.

Tanz auf dem Grab - oder den Fehlern - anderer

Zell schuf seinen Reichtum mit Dingen, die andere für verloren erklärten. Mitte der Siebziger kaufte er heruntergekommene Immobilien, die einst gut drei Milliarden wert waren, für ein paar Dollar. Zell machte daraus Hunderte von Millionen. Sein Prinzip: Er kaufte billig und spekulierte darauf, dass der Wert stieg. Zell spekulierte fast immer richtig. 1978 schrieb er einen Artikel in der Real Estate Review, in dem er unter der Überschrift "Der Grabtänzer" seinen Erfolg erklärte. Zell tanzte auf den Gräbern anderer, besser gesagt, auf den Fehlern anderer. Und, das muss man sagen, Zell tanzt auch heute noch sehr gut.

Wenn Zell nicht auf Gräbern tanzt, fährt er am liebsten Motorrad. Zusammen mit seinen Jungs, er nennt sie "Zell's Angels", macht er jedes Jahr eine Tour. Mal Italien, mal Schweiz, mal Korsika. Auf ihren Harleys lassen sie, so sagt einer von Zells Engeln, so richtig die Sau raus. Abends trinken und essen sie sehr gut und sehr viel, rauchen Marihuana, grölen Army-Songs.

Zu Hause in Chicago fährt Zell gerne mit seiner gelben Ducati ins Büro. Anzug und Krawatte hasst er. Zell trägt Jeans, dazu T-Shirt oder aufgeknöpftes Hemd. "Sam sieht aus wie einer aus dem Wilden Westen, und so benimmt er sich auch", sagt einer, der ihn gut kennt.

Einer, der Zell noch besser kennt, ist Will Weinstein, Professor für Wirtschaft an der Universität Hawaii. Weinstein lud Zell vor ein paar Jahren ein, um vor Studenten über Wirtschaft und Ethik zu sprechen. Damals saßen gerade die Enron-Manager vor Gericht und mussten sich für Geldwäsche und andere kriminelle Machenschaften verantworten. Einer der Studenten fragte Zell, ob er denn noch an Moral in der Wirtschaft glaube. Zell antwortete: "Leute, die in der Wirtschaft arbeiten, sind nicht anders als Sie und ich. Am Ende wird uns immer vorgeworfen, wir Hurensöhne steckten zu viel Geld ein. Na und? Ich sag Ihnen was: Ich arbeite mir jeden Tag den Arsch auf!"

Mit Gold gepflasterte Straßen

Diese mit Obszönitäten und Kraftausdrücken gefärbte Sprache hat Zell, so weiß es das Magazin New Yorker, nicht aus Westernfilmen abgeguckt, sondern von seinem Vater. Der hieß Bernard Zielonka, war Pole und floh zusammen mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter im August 1939 vor den Nazis nach Amerika. Dort änderte er seinen Namen in Zell und sagte seinem Sohn Sam, der in Chicago geboren wurde, von klein auf diesen Satz: "Junge, die Straßen hier sind mit Gold gepflastert."

Manchmal ist es ein Satz, der einen auf neue Gedanken bringt. Mit zwölf Jahren fuhr Sam Zell einmal im Monat mit dem Bus nach Downtown Chicago und kaufte Playboy-Magazine, das Stück für 50 Cent. Daheim in Highland Park, verkaufte er sie an seine Freunde - für drei Dollar pro Heft. Es sind Geschichten wie diese, die Zells Geschäftssinn beschreiben. Und es ist die Vertreibung seiner Familie, die ihn immer wieder innerlich aufwühlt. Er sagt: "Ich denke, Jude zu sein, heißt, für immer verwundbar zu sein."

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was man mit 23.000.000.000 Dollar machen kann.

Der Grabtänzer

In den Achtzigern und Neunzigern wurde Zell mit Immobilienspekulationen Multi-Milliardär. Das wichtigste war ihm immer, stets einfach zu handeln, so, dass es jeder versteht. Als ihm ein Mitarbeiter einmal einen Stapel Papier überreichte, so dick wie das Telefonbuch Chicagos, sagte Zell: "Oh nein! Schreiben Sie alles auf ein Blatt. Wenn Sie das nicht können, verstehen Sie das Geschäft selbst nicht!" Dann warf er die Blätter auf den Boden. Einem anderen Mitarbeiter rief er empört hinterher: "Warum arbeiten Sie nicht härter? Haben Sie denn keine Eier?"

Was tun mit 23.000.000.000?

Solche Beleidigungen kann sich nur leisten, wer nichts zu verlieren oder alles im Griff hat. Sam Zell hat beides. Er sagt: "So wie ich Geschäfte mache, so wie ich Risiken beurteile, gibt es keinen Platz für Gefühle." Wenn ihm jemand einen "Godfather-Price" biete, also ein Angebot, das er nicht ablehnen könne, dann lehne er auch nicht ab. Vor einem Jahr verkaufte Zell das von ihm zusammengetragene Immobilienimperium Equity Office Property Trust an den Finanzinvestor Blackstone. Kaufpreis: 23 Milliarden Dollar. Bleibt die Frage: Was tun mit 23.000.000.000?

Manchmal ist es das Geld, das einen auf neue Gedanken bringt. Einen Monat später überraschte Zell all seine Kritiker und kaufte die Tribune Company, den zweitgrößten Zeitungsverlag der USA. Zuvor hatte er nie etwas mit Medien zutun, absolut nichts, außer die Sache mit den Playboy-Heften. Zell stieg bei einem Medienkonzern ein, der seit dem Jahr 2000 eine Krise nach der anderen erlebt hatte. Jetzt ist er Besitzer der Chicago Tribune, der Los Angeles Times, von Newsday in New York, sechs anderen Tageszeitungen, 23 Fernsehstationen und des Baseball-Teams Chicago Cubs.

Vom Grabtänzer zum Totengräber

Warum er sich das antut? Zell sagt, das Zeitungsgeschäft sei nicht tot. Trotzdem sieht es so aus, als sei er vom Grabtänzer zum Totengräber mutiert. Zell hat immer wieder gesagt, der Rauswurf von Mitarbeitern löse keine Probleme. Aber bei allen Zeitungen wurden Leute auf die Straße gesetzt: 80 Reporter und Redakteure bei der Chicago Tribune, bei der Los Angeles Times mussten 230 Mitarbeiter gehen, darunter 130 Journalisten.

Zell will das, was alle Unternehmer wollen: Synergien. Aber er vergisst dabei, so Kritiker, dass der Journalismus bei der Suche nach Kosteneinsparungen seine Glaubwürdigkeit verliert. Und damit seinen Wert. Und damit seine Leser. Einer der leitenden Manager der Los Angeles Times begründete den Stellenabbau mit dem Hinweis, ein Reporter schreibe dort durchschnittlich 51 Seiten voll, ein Kollege beim Hartford Courant produziere sechsmal mehr. Manchmal zähle eben doch Quantität statt Qualität.

Kein Wunder also, dass Zell bei den Mitarbeitern der Tribune Company nicht gerade beliebt ist. Viele verabscheuen den Mann, dessen mit tiefen Falten durchzogenes Gesicht von einem weißen Haarkranz und einem kurz getrimmten Bart umrahmt wird. Eine Foto-Reporterin der Tageszeitung Orlando Sentinel sagte ihm jüngst die Meinung. Die Fotografin aus Florida fragte den Boss aus Chicago, ob er glaube, dass in einer Zeitung junge süße Hunde wichtiger seien als harte Nachrichten. Zell antwortete: "Sie legen hier die typisch journalistische Arroganz an den Tag. Sie glauben, junge süße Hunde seien nichts wert. Fuck you."

Manchmal sind es Beleidigungen, die einen auf neue Gedanken bringen. Sam Zell machte das, wovon er sonst glaubt, es nicht nötig zu haben: Er entschuldigte sich.

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