Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Die großen Spekulanten (14):Der König der Krise

Der Hedgefonds-Manager John Paulson sah die US-Immobilienkrise voraus und kassierte vergangenes Jahr 2,3 Milliarden Euro - so viel verdiente an der Wall Street noch nie jemand.

Nikolaus Piper

Im Nachhinein erscheint es fast unglaublich, wie lange so viele kluge Menschen an Wunder glauben konnten. Die Helden der Stunde sind jene, denen der Wunderglaube abging, denen also rechtzeitig klar war, dass die Preise für Häuser und Grundstücke auch in Amerika nicht ewig weiter steigen konnten.

Einer dieser Helden ist John Paulson. Der Hedgefonds-Manager aus New York hat auf den Zusammenbruch des Immobilienmarktes spekuliert und damit im vergangenen Jahr schätzungsweise 3,7 Milliarden Dollar verdient. Das ist mehr, als ein einzelner Mensch je zuvor innerhalb eines Jahres an der Wall Street verdient hat.

Das Magazin Trader Monthly, das Paulson soeben zum Sieger auf seiner Liste der Top 100 erklärte, schreibt sogar, es könne der größte Jahresgewinn in der Geschichte der Menschheit sein. Das ist zwar ein wenig kühn, schließlich gab es zu den Zeiten von König Midas, Jakob Fugger und John D. Rockefeller noch keine anständige Statistik, aber ganz unplausibel ist die Behauptung eben auch wieder nicht. Paulson selbst ist, wie die gesamte Branche, ziemlich verschwiegen. Daher gibt es keine offizielle Bestätigung für die 3,7 Milliarden Dollar, doch die Schätzungen, bei denen Experten die unter Hedgefonds üblichen Honorierungsmodelle zugrunde legen, dürften ziemlich verlässlich sein.

John Paulson ist 52 Jahre alt und lebt zurückgezogen mit seiner Frau und zwei Töchtern in einem fünfstöckigen Stadthaus an der Upper East Side in Manhattan. Das 2600-Quadratmeter-Anwesen hat er vor vier Jahren in einer Zwangsversteigerung erworben - durchaus standesgemäß für jemanden, der durch die Immobilienkrise zum Milliardär wurde.

Und es ist nicht irgendein Haus. Erbaut wurde es 1916 für den Banker William Woodward, dessen Familiengeschichte die Vorlage lieferte für Truman Capotes Romanfragment "Erhörte Gebete".

Im Gegensatz zu vielen eher flippigen Angehörigen der Hedgefonds-Szene kleidet Paulson sich konservativ und wird in New York nur mit dunklem Anzug und Krawatte gesehen. Geboren wurde er im New Yorker Stadtteil Queens, er studierte zuerst an der New York University und dann in Harvard. Den Umgang mit Geld lernte er anschließend bei dem legendären Finanzgenie Leon Levy in dessen Private-Equity-Firma Odyssey Partners. Später arbeitete er für Bear Stearns, der inzwischen untergegangenen New Yorker Investmentbank, und für den Finanzinvestor Gruss Partners.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Wie alles seinen Anfang nahm.

Im Jahr 1994 gründete Paulson seine eigene Firma und legte einige Hedgefonds auf. Dabei hatte er zunächst überhaupt nichts mit Immobilien zu tun. Seine Fonds betrieben "Merger Arbitrage", er wettete also auf den Erfolg und Misserfolg von Firmenzusammenschlüssen. Paulsons Fonds liefen gut, aber sie erregten in keiner Weise Aufsehen. Den Übergang zu seiner sensationellen Spekulation gegen den Immobilienmarkt schilderte er in einem seiner sehr seltenen Interviews dem Wall Street Journal so: Im Laufe des Jahres 2005 waren ihm Zweifel gekommen, ob die amerikanische Konjunktur noch so robust war, wie alle glaubten. Daher wettete er auf den Kursverfall von Unternehmensanleihen, zum Beispiel aus der Branche der Autozulieferer. Doch wider Erwarten stiegen die Kurse der Anleihen, und Paulson verlor viel Geld.

Die Entdeckung der zweitklassigen Hypotheken

Er verstand die Welt nicht mehr und fragte einen seiner Analysten: "Wo gibt es eine Spekulationsblase, gegen die wir wetten können?" Auf diese Weise entdeckte Paulson die "Subprime Mortgages", jene inzwischen weltweit berüchtigten zweitklassigen Hypotheken von Hausbesitzern mit geringer Kreditwürdigkeit. Die Spekulationsstrategie, die er im Sommer 2005 entwickelte, ist technisch kompliziert, vom Grundgedanken jedoch sehr einfach: Die Investmentbanken hatten Hunderttausende dieser zweifelhaften Darlehen gekauft, in komplexe Wertpapiere gebündelt und an ihre Kunden vertrieben.

Diese Wertpapiere namens "Collateralized Debt Obligations" (CDO) haben es inzwischen weltweit zu zweifelhaftem Ruhm gebracht. Gegen Zahlungsausfälle bei diesen CDOs konnten sich die Anleger schützen, und zwar durch Kreditausfallpapiere, sogenannte "Credit Default Swaps". Diese Papiere sind so etwas ähnliches wie eine Versicherung. In guten Zeiten kosten sie wenig, weil kaum ein Schuldner zahlungsunfähig wird. In schlechten Zeiten, wenn das Ausfallrisiko steigt, werden sie teurer.

Paulson machte nun nichts anderes, als solche Versicherungsscheine zu erwerben und auf einen Preisanstieg zu warten. Anfangs verlor er dabei Geld, denn niemand rechnete 2005 mit einer Immobilienkrise. Aber Paulson behielt die Nerven. Nach eigener Darstellung zerlegte er mit seinen Experten die komplexen Finanzprodukte in ihre Einzelheiten und analysierte jeden einzelnen Hauskredit. Dabei kam er zu dem Ergebnis, dass die Ausfallwahrscheinlichkeit viel größer war, als die Ratingagenturen glaubten; die gaben den CDOs damals noch meist die Höchstnote AAA.

Im Januar 2006 gab es das erste Warnsignal. Ameriquest, einer der größten Anbieter von Subprime-Krediten, einigte sich mit den kalifornischen Staatsanwälten auf ein Bußgeld von 325 Millionen Dollar, um einen Prozess wegen betrügerischer Kreditpraktiken abzuwenden. Paulson sah sich in seiner Einschätzung bestätigt, dass der Markt faul war. Er legte einen Fonds nur für Wetten gegen den Immobilienmarkt auf und sammelte dafür bei Investoren vor allem aus Europa 150 Millionen Dollar ein. Den Fonds führte er zusammen mit dem Portfolio-Manager Paulo Pelligrini.

Anfangs lief der Fonds schlecht, denn auch in der ersten Hälfte des Jahres 2006 stiegen die Hauspreise in weiten Teilen der Vereinigten Staaten noch. Was dann folgt, ist in der Rückschau der spannendste Teil an Paulsons Erfolgsgeschichte.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Der Erfolg und seine Tücken.

Vermutlich wird ein Finanzpsychologe einmal eine Doktorarbeit schreiben über die Frage, warum der Hedgefonds-Manager im Sommer kaltes Blut bewahrte und auch die Investoren beruhigen konnte, obwohl sein Fonds an Wert verlor. Gut möglich, dass dabei eine Rolle spielt, was man bei Skat und Poker Anfängerglück nennt: Paulson war immer noch relativ neu im Immobiliengeschäft und hatte vielleicht noch kein tiefes Gefühl für die enormen Risiken, die er bei seiner Wette einging.

John Paulson - der Star

In der zweiten Jahreshälfte schwächte sich der Immobilienmarkt schließlich ab und der Fonds namens "Paulson Credit Opportunities Fund" schloss 2006 mit einem Plus von 20 Prozent. Nun legte Paulson einen zweiten Fonds auf, und kurz darauf zeigte sich, wie recht er mit seiner Spekulation hatte. Im Februar 2007 meldete der wichtige Subprime-Anbieter New Century aus Kalifornien einen hohen Verlust - die Firma ist inzwischen pleite.

Im Juni teilte Bear Stearns mit, dass zwei seiner Hedgefonds in Not waren und leitete damit die heiße Phase der Krise ein. Am 31. Dezember 2007 hatte der ältere Paulson-Fonds 590 Prozent gewonnen, der jüngere 350 Prozent. John Paulson war ein Star. Im Januar verpflichtete er den früheren Notenbank-Präsidenten Alan Greenspan als Berater. Das Magazin Traders Monthly behauptet, Paulson sei inzwischen an der Wall Street berühmter als sein Namensvetter, Finanzminister Hank Paulson, mit dem er nicht verwandt ist.

Spekulanten sind keine Freunde

Mit dem Erfolg kamen aber auch Probleme. Zum Beispiel die Furcht, dass andere seine Ideen klauen könnten. Diese Furcht ist nicht unbegründet. Im Frühjahr 2006 hatte Paulson einem Freund, dem kalifornischen Immobilienspekulanten Jeff Greene, von seinen Ideen erzählt. Der fackelte nicht lange, wendete das Modell selbst an und machte damit ein - im Vergleich zu Paulson - kleines Vermögen. Die Freundschaft der beiden soll darüber zerbrochen sein. Inzwischen besorgte sich Paulson eine Software, die verhindert, dass Investoren seine E-Mails an andere weiterschicken können.

Außerdem erheben sich Fragen der Moral und der Selbstdarstellung. Paulson hat die Not der Hausbesitzer zwar nicht verursacht, aber er profitiert natürlich von ihr. Außerdem ist märchenhafter Reichtum in Krisenzeiten selbst in Amerika ein wenig anrüchig.

Moralische Schadensbegrenzung

Bereits im vergangenen Oktober stiftete Paulson daher 15 Millionen Dollar an das Center for Responsible Lending, einer Verbraucherschutzorganisation, die geschädigten Hausbesitzern hilft.

Kritiker warfen Paulson vor, dass diese Spende in Wirklichkeit ein egoistischer Akt gewesen sei: Das Center propagiert ein neues Gesetz, das Richtern erlauben würde, Hypothekenverträge zu ändern, wenn ein Schuldner zahlungsunfähig geworden ist. Das könnte den Wert dieser Hypotheken weiter senken und Paulsons Gewinne erhöhen. Ob dies wirklich eine Rolle gespielt hat, weiß niemand.

Paulson glaubt, dass seine Strategie auch über die Immobilienkrise hinaus erfolgreich sein wird. Er stellt sich auf Ausfälle bei Kreditkarten und Autokrediten ein. "Es ist noch nicht zu spät, um auf die Krise zu wetten", soll er in einer E-Mail an seine Anleger geschrieben haben.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.594732
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 21.04.2008/sme/mel
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.