SZ-Serie: Auf Wohnungssuche:Mäuse in Manhattan

Bettwanzen, Kakerlaken und andere Vielbeiner - wer nach New York zieht, sollte sich auf einiges gefasst machen. Und sich von Wohnträumen schnellstens verabschieden.

Von Hakan Tanriverdi und Claus Hulverscheidt

Die Matratze lehnt an der Wand, eine Folie deckt sie ab. Hier kann man leben, das New York Magazine zählt Prospect Heights zu den Top-Ten-Lagen der Stadt. Das Viertel gehört zu Brooklyn, der wunderschöne, weitläufige Prospect Park ist gleich um die Ecke, der Botanische Garten, eine Vielzahl toller Kneipen und Restaurants ebenfalls. Mit der U-Bahn ist man in einer Viertelstunde in Manhattan.

Eine junge Frau führt durch die Räume, die sie gern mit einem neuen Mitmieter teilen will. Parkett, Klimaanlage, schicke alte Möbel. Nur Kleidungsstücke sucht man in der ganzen Wohnung vergeblich, auch im Zimmer der jungen Dame sind die Kleiderhaken verwaist. Irgendwie verdächtig, zumal die Frau ständig über Sauberkeit doziert. Jeder müsse seinen Dreck sofort wegwischen. Und: Alle zwei Wochen komme künftig eine Putzkraft. "Ich will nicht lügen", sagt sie schließlich, der gesamte Inhalt ihres Kleiderschranks sei in der Reinigung: "Der Kammerjäger war da - wir hatten Bettwanzen." Auf Wiedersehen.

Bettwanzen, Kakerlaken, Mäuse - wer von Deutschland nach New York zieht, taucht nicht nur in eine unbekannte Kultur ein, sondern auch in eine gänzlich neue Flora und Fauna. Dabei sind die kleinen Tierchen keineswegs nur in billigen Absteigen zu Hause, sondern auch in jenen ebenso romantischen wie bröckelnden braun-roten Reihenhäusern der Stadt, in denen eine Vier-Zimmer-Wohnung rasch 5000 Dollar und mehr an Monatsmiete kostet.

Manche der vielbeinigen Untermieter rasten auf Kopfkissen, andere wandern unter Backöfen umher, wieder andere flitzen durch die Wände und knabbern des Nachts die Brotvorräte an. Wer sich informieren will, welche Mitbewohner da womöglich dräuen, sollte sich in einem Laden wie dem "Save on Fifth" umsehen - eine Art Ein-Euro-Shop auf der Fifth Avenue in Brooklyn: Allein die Fallen und Tötungsvorrichtungen für Nager, Krabbler und andere Kleintiere machen drei Meter Wandregal aus.

Doch die Bettwanze und ihre Mitstreiter sind nicht das einzige Hindernis, auf das Wohnungssuchende in New York stoßen. Wer hier sesshaft werden will, für den gilt zunächst einmal eine Grundregel: Die Zweizimmerwohnung für 1800 Dollar mit traumhaftem Blick, idealerweise auf die so ikonische Skyline von Manhattan, gibt es nur an einem Ort - in den Träumen.

Alles andere leitet sich aus dieser Grundregel ab, die Kakerlaken etwa oder auch die Makler, die Bilder toller Wohnungen ins Internet stellen, um dann beim vermeintlichen Besichtigungstermin mitzuteilen, das Apartment sei leider, leider gerade vermietet worden. Man könne aber eine andere Wohnung anschauen, die ähnlich schön sei. Das ist natürlich gelogen, aber man ist ja bereits vor Ort. Der Makler hofft wohl auf einen Handschlag aus Verzweiflung.

Dreister sind da nur noch die "Geister-Makler". Die fordern Geld, noch bevor man die Wohnung überhaupt gesehen hat. Diesen Gaunern läuft man nie persönlich über den Weg. Das Geld ist futsch - es ist ein billiger Trick, der anscheinend immer noch funktioniert. Wer es nachprüfen will, findet viele Inserate auf der "Angebote für alles"-Webseite Craigslist, einer der meistbesuchten Websites der Welt.

Wenn Neuankömmlinge via Facebook nach Tipps fragen und Wunsch-Mietpreise nennen, die sie aus München oder Hamburg gewohnt sind, werden sie schlicht ausgelacht. Die Durchschnittsmiete in Manhattan liegt bei 4000 Dollar, selbst ein WG-Zimmer schlägt schnell mit 1800 Dollar zu Buche. Ein Wunder ist das nicht, schließlich kostet den Vermieter der Kauf einer Eigentumswohnung in Manhattan derzeit 20 742 Dollar - pro Quadratmeter.

Bürgermeisterwahlen New York

New York ist ein teures Pflaster. Die Durchschnittsmiete in Manhattan liegt bei 4000 Dollar.

(Foto: Justin Lane/dpa)

Immerhin: Zuletzt stagnierten die Mieten, die Tendenz zeigte gar leicht nach unten. "Die Preise sind einfach eskaliert", sagt Gary Malin, Chef der Maklerfirma Citi Habitats der Süddeutschen Zeitung. "Die Mieter sind nicht mehr willens, diese Summen zu zahlen." Es gebe zu viele Optionen, auf die sie ausweichen könnten.

Die "Optionen", die Malin meint, sind die vier Stadtbezirke neben Manhattan: Brooklyn, Queens, die Bronx und Staten Island. Vor allem einige Gegenden in Brooklyn und Queens sind mittlerweile ebenso begehrt wie anerkannt. Das zeigte sich etwa 2013, als Bill de Blasio als erster der 109 Bürgermeister in New Yorks Stadtgeschichte seine Wahl in Brooklyn statt in Manhattan feierte - in Park Slope zwar, und damit in einem sehr weißen und schon recht gediegenen Teil des Bezirks, aber immerhin.

Citi Habitats hat bereits eine Makler-Firma übernommen, die sich in Brooklyn mit seinen 2,6 Millionen Bewohnern auskennt. Die Makler wissen, welche Filmstars und Schriftsteller in welchem Viertel leben und wo ihre Lieblingscafés sind. Dass die einzelnen Viertel heute so genau definiert sind, ist insofern interessant, als sich die Bevölkerung Brooklyns früher nie um solche Grenzen geschert hatte, wie der Historiker Suleiman Osman weiß: "Die ersten Versuche, die authentischen Viertel Brooklyns zu lokalisieren, gingen nicht von Anwohnern aus, sondern von zwei Gruppen mit sehr unterschiedlichen Motiven", schreibt er. Eine davon: Immobilienmakler.

Auch im 2,3-Millionen-Einwohner-Bezirk Queens, wo es neben aufstrebenden auch noch viele heruntergekommene Viertel gibt, klettern die Preise derzeit in astronomische Höhen. Doch die Bewohner dieser Stadt sind kreativ, zwei Drittel von ihnen zahlen Miete. Sie vermitteln einem das Gefühl, dass sie alle Sorgen und Gedanken, die man so hat, selbst schon hatten - und dass es für alles eine Lösung gibt. Das zeigt sich etwa an Facebook-Gruppen, über die Nutzer nach WG-Partnern suchen, statt sich auf einen Makler zu verlassen, dem sie am Ende 15 Prozent der Jahresmiete als Gebühr zahlen müssen. Oder an Start-ups, die sich ausschließlich damit befassen, wie Mieter bei Bedarf schnell aus ihren Jahresverträgen herauskommen können.

Und es zeigt sich an dem Dienst, den Stephanie Diamonds seit mittlerweile zwölf Jahren anbietet: Listings Project.

"Es fing an, als ich persönlich umziehen musste", erzählt Diamonds. Sie schrieb ihren Künstler-Kollegen, alles in allem 50 Menschen. Die Antworten, die sie bekam, waren hilfreich, die Wohnungen schön. Sie zog um, doch die Angebote rissen nicht ab. Diamonds entschied sich, die Offerten an ihre Freunde weiterzuleiten. Einer wird schon suchen, dachte sie. Zu Recht. Mittlerweile nutzen etwa 120 000 Menschen die Seite.

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Viele der Angebote kommen noch immer aus dem Künstler-Umfeld. Inseriert werden nicht zuletzt extravagantere Wohnungen: Ein Loft in einer alten Bierbrauerei mit einem DJ und Start-up-Gründer als Mitbewohner, samt Parkett und Glasfront zur Hauptstraße hin. Oder ein Künstler, der sich im Brooklyner Viertel Bedford-Stuyvesant ein Haus gekauft hat, das er nun mit handgefertigten Möbeln bestückt.

Die Chance, mit diesem Dienst eine hübsche Wohnung zu vergeben, ist groß. So erzählt der Techno-DJ, dass sich auf sein Inserat bei Craigslist hin niemand gemeldet habe. Nach der Anzeige bei Listings Project hingegen musste er seinen Tag im 30-Minuten-Rhythmus durchtakten, um alle Besichtigungswünsche erfüllen zu können.

Listings Project unterscheidet sich von ähnlichen Angeboten, die es auch andernorts auf der Welt gibt. Um zu verhindern, dass Abzocker ihren Dienst nutzen, spricht Diamonds mit jedem einzelnen Inserenten. Ja, mehr noch: "Die Menschen wollen Zugang zu meinen Kontakten", sagt die Firmenchefin, "also verlange ich 30 Dollar von ihnen." Es ist fast wie früher, in den Zeiten vor dem Internet und dem Immobilienboom: Wer inserieren will, muss zahlen.

Die SZ berichtet in dieser Serie in loser Folge über den Wohnungsmarkt in den wichtigen Metropolen der Welt. Bisher erschienen: Madrid (23.10.), Peking (30.10.), Rio de Janeiro (6.11.), Sydney (13. 11.), London (20.11.), Tokio (27.11.), Wien (11.12.), Goma (2./3.1.), Tel Aviv (8.1.), Paris (15.1.) und Brüssel (22.1.).

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