SZ-Serie: Auf Wohnungssuche:Immer wenn es regnet

Jugendstil und Art déco: In Brüssel gibt es die schönsten Fassaden Europas. Doch was sich dahinter verbirgt, macht oft Probleme. Über eine Stadt, die einen fordert - nicht nur, weil sie viele Namen hat.

Von Alexander Mühlauer

So klein hatte man sich Brüssel gar nicht vorgestellt. Nur 170 000 Einwohner, ein König und eine Postleitzahl. Es dauert etwas, bis man merkt: Das ist nicht alles, das kann nicht die Hauptstadt Europas sein. Jedenfalls nicht ganz. Die Stadt Brüssel, das sei als erster Wegweiser für Wohnungssuchende notiert, ist nur eine von 19 Gemeinden der Region Brüssel-Hauptstadt. Das Verwirrende: Sie heißt halt Brüssel. Oder auf Französisch: Bruxelles. Auf Niederländisch: Brussel.

In Belgien gibt es drei Amtssprachen. Wer also in Brüssel eine Wohnung sucht, hat es erst mal mit einer Reihe von Namen zu tun, die man nicht gleich verstehen muss, aber mit der Zeit verstehen lernt. Da gibt es zum Beispiel die Stadtgemeinde Ixelles, von Flamen Elsene genannt. Oder Uccle, das sich auch Ukkel schreibt. Ebenfalls sehr hübsch: Woluwe-Saint-Pierre beziehungsweise Sint-Pieters-Woluwe. Es kommt aber auch vor, dass es nur einen Namen gibt, der sich nicht übersetzen lässt: Etterbeek ist so ein Fall. Oder Anderlecht, wo der bekannteste Fußballclub der Region zu Hause ist. Alle 19 Gemeinden haben ihre eigene Postleitzahl, ihren eigenen Bürgermeister und eines gemeinsam: Der Name Brüssel taucht nicht auf.

Wer das weiß, tut sich leichter, wenn er bei immoweb.be, dem beliebtesten belgischen Internetportal in Sachen Wohnungssuche, den Ort seiner Wahl eintippt. Man kann natürlich mit "Bruxelles/Brussel" beginnen, aber da wird man meistens nicht glücklich. Zu wenig Angebote. Insgesamt leben mehr als eine Million Menschen in der Region Brüssel-Hauptstadt. Und in der Innenstadt ist wenig Platz.

Eines lernt man ganz schnell: Geduld. Hier dauert vieles etwas länger

Wer keine Lust auf Onlinesuche hat, kann einen Makler beauftragen. Das machen auch die meisten, denn in Brüssel muss der Vermieter die Maklergebühr zahlen. Damit ist es mit der Mieterfreundlichkeit aber schon zu Ende. Vor allem die Mietverträge sind äußerst mieterfeindlich. Aber dazu später mehr.

Das Schönste an Brüssel sind die Fassaden. Es gibt wohl keine Stadt in Europa, in der sich so viele Jugendstil- und Art-déco-Häuser finden. Und die sogar bezahlbar sind. Natürlich gibt es auch Plattenbauten aus den Siebzigerjahren, aber im Grunde ist die Bausubstanz in Brüssel grandios. Es gibt Straßenzüge, da sieht die Stadt aus wie Amsterdam mit seinen Kaufmannshäusern. Mal erinnert Brüssel an Paris, mal an London.

The city hall on Brussels' Grand Place (back C) is pictured from Mont des Arts

Ob Stadthalle, Rathaus oder andere Gebäude - die Bausubstanz in Brüssel ist grandios. Doch die Pracht hat auch ihre Schattenseiten.

(Foto: Francois Lenoir/Reuters)

Die Sache ist nur: Hinter all diesen wunderbaren Fassaden fangen die Probleme an. Und man wurde ja gewarnt: Immer wenn es regnet, laufen in Brüssel die Keller voll (und es regnet oft in der Stadt). Oder die Geschichte von einem Verwalter, der meint, dass Schimmel an der Wand der Normalfall sei, er kenne das nicht anders. Und dann noch die belgischen Handwerker, die, nachdem sie zwei Stunden zu spät gekommen sind, erst mal weitere zwei Stunden Mittagspause machen, denn Essen ist den Belgiern heilig. Eines lernt man ganz schnell: Geduld, denn in Brüssel dauert es meistens länger. Als eines Nachts, es regnet mal wieder, das Wasser die Wand im Bad hinunterläuft, sagt der Vermieter nur: Man solle das Ganze beobachten. Und wenn es nicht aufhöre, werde er Handwerker vorbeischicken. Er sei aber zurzeit schlecht erreichbar, weil im Urlaub.

Vielleicht liegt die Laissez-faire-Haltung der belgischen Eigentümer auch daran, dass sie wissen: So leicht kommt der Mieter nicht raus aus der Wohnung. Denn im üblichen Mietvertrag steht geschrieben, dass man erst nach drei Jahren ausziehen kann. Wer das vorher tut, muss zahlen, und zwar die dreifache Monatsmiete. Ausnahme: Man findet selbst einen Nachmieter; den muss der Eigentümer aber erst einmal akzeptieren.

Die meisten haben allerdings nichts dagegen, denn in Brüssel gibt es so viele Wohnungswechsel wie sonst wohl nirgends in Europa. Das liegt ganz einfach daran, dass Menschen aus allen Ländern der Europäischen Union in die Stadt kommen. Sie bleiben für ein Jahr, vielleicht auch länger. Dann ziehen sie weiter. Meistens in der Sommerpause. Im August steigt auch das Angebot an Wohnungen.

Und dann findet man zum Beispiel dies: Backstein-Townhouse in Ixelles, 200 Quadratmeter mit kleinem Garten, 1800 Euro warm. Also, nichts wie hin. Sieht gut aus. Von außen. Anruf bei der Eigentümerin. Ja, man könne das Objekt besichtigen, sie sei allerdings im Urlaub. Aber hey, kein Problem, man könne den Schlüssel bei ihren Eltern abholen, die würden ganz in der Nähe wohnen. Also: klingeln bei den Eltern. Die Haushälterin öffnet und gibt einem den Schlüssel. Einfach so. Man soll ihn nach der Besichtigung bitte schön in den Briefkasten werfen.

So viel Vertrauen ist man aus Deutschland nicht gewohnt. Als man den Schlüssel ins Schloss steckt und die Tür mit einem Tritt aufgestoßen hat, weiß man, woher dieses rührt. Auf dem Boden liegen Briefe und Reklame, hier war schon länger keiner mehr. Und hier will auch keiner einziehen. Als man die Treppe hinaufsteigt, wird einem plötzlich schwindlig. Dieser Geruch, nein, weiter will man nicht gehen. Schnell raus hier. Die Tür mit einem Schlag zugeschlagen, den Schlüssel ins Schloss, und dann die Überraschung: Er bleibt stecken. Lässt sich nicht mehr bewegen. Erst nach einigen Minuten. Glück gehabt, er ist nicht abgebrochen.

SZ-Serie: Auf Wohnungssuche: SZ-Serie, letzte Folge: Kapstadt

SZ-Serie, letzte Folge: Kapstadt

Es sind Geschichten wie diese, die das Partygespräch in dieser Stadt bestimmen. Kaum jemand, der noch nicht irgendwelche irren Häuser besichtigt hat. Kaum jemand, der noch nicht verzweifelt ist, weil der Vermieter mal wieder keine Zeit hat. Kaum jemand, der nicht schmunzeln muss, wenn er an die Wohnungssuche in Belgien denkt. Wie gesagt, das Gute an Brüssel ist, dass es immer wieder freie Wohnungen gibt, weil die Fluktuation an Einwohnern sehr hoch ist. Und das ist auch das Traurige: Man lernt sympathische Menschen kennen, von denen man weiß, dass sie spätestens nach drei Jahren wieder weg sein werden.

In der Nähe vom Bois de la Cambre, dem großen Stadtpark, gibt es ein Neubau-Ensemble, das im Sommer fertig geworden ist. Ein EU-Kommissar wohnt dort, und am Klingelschild gibt es bereits Aufkleber, die wieder überklebt wurden. Es sind Namen aus ganz Europa. Wenn die Neuen einziehen, parken sie ihr Auto mit dem französischen, polnischen oder italienischen Kennzeichen vor der Tür. Das werden sie aber schnell los, denn mit einem ausländischen Nummernschild bekommt man in den meisten Stadtgemeinden keinen Bewohner-Parkausweis. Also braucht man ein rotes belgisches Kennzeichen. Dafür muss man dann eine Zulassungsgebühr zahlen, die, je nach Auto, mehr als 1000 Euro kosten kann. So ist das in Brüssel. Aber das ist eine andere Geschichte.

Die SZ berichtet in dieser Serie in loser Folge über den Wohnungsmarkt in den wichtigen Metropolen der Welt. Bisher erschienen: Madrid (23.10.), Peking (30.10.), Rio de Janeiro (6.11.), Sydney (13. 11.), London (20.11.), Tokio (27.11.), Wien (11.12.), Goma (2./3.1.), Tel Aviv (8.1.) und Paris (15.1.).

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