Stroh als Baumaterial:Schatz vom Acker

Bauherren entdecken einen uraltes Material als umweltfreundlichen Baustoff - mit ausgezeichneter Dämmwirkung.

Von Sarah Weik

Mitten im Odenwald, in einem verschlafenen Ortsteil von Bad König, errichten die Architekten Susanne Körner und Tilman Schäberle ihr außergewöhnliches Haus. Idyllisch an einem Hang gelegen, mit einem traumhaften Ausblick auf den Odenwald. In der unmittelbaren Umgebung des Domizils, das weitgehend fertiggestellt ist, riecht es angenehm nach feuchter Erde und ein wenig nach Stall: Auf Wunsch des Architektenpaars wurden für den Bau Stroh, Lehm und Schilfrohrmatten verwendet. Das klingt archaisch, doch es handelt sich um ein modernes, dreistöckiges Wohnhaus, das beinahe Passivhausstandard erreichen soll.

Stroh als Baumaterial: Meist werden die Wände von Strohhäusern mit Lehm verputzt, wodurch ein optimales Raumklima entsteht.

Meist werden die Wände von Strohhäusern mit Lehm verputzt, wodurch ein optimales Raumklima entsteht.

(Foto: Foto: Dirk Scharmer)

Mühsam zu genehmigen

Stroh - ein Abfallprodukt der Landwirtschaft. Unscheinbar und oft ungenutzt liegt es im Sommer in großen Mengen auf deutschen Feldern. In Ballen gepresst und zu Wänden gestapelt wird Stroh jedoch zunehmend für die Baubranche interessant. "Mit Stroh kann man einfach und vor allem umweltfreundlich moderne, gut gedämmte Wohnhäuser errichten", resümiert Thomas Isselhard, Vorstandsmitglied des Fachverbands Strohballenbau Deutschland (Fasba).

Mehr als hundert realisierte Projekte gibt es mittlerweile in Deutschland und die Nachfrage steigt. "Die Diskussionen über steigende Energiepreise und den Klimawandel bewegen viele, sich nach Alternativen umzuschauen", sagt Isselhard. Nach seiner Überzeugung ist Stroh eine davon. In den USA, dem Ursprungsland des Strohbaus, Kanada oder Australien ist man in dieser Hinsicht weiter, "hier in Deutschland hat es einfach einige Zeit gedauert, bis Stroh die Anerkennung als Baustoff bekam", meint Isselhard.

Die Genehmigung für einen Strohbau in Holzständerkonstruktion zu bekommen, ist heute hierzulande kein Problem mehr. Auch in Bad König wird damit gearbeitet. Das Stroh wird als Füllung einer Holzkonstruktion eingesetzt und ist damit Dämmmaterial und Wand in einem. Die tragende Funktion übernimmt hier das Holz.

Doch auch Stroh kann Lasten tragen, Dach und Decken stützen, wenn Großballen wie Mauersteine aufeinandergesetzt werden. Die Berliner Architektin Friederike Fuchs findet diese Bauweise faszinierend, "denn sie ist wirklich sehr günstig und der Strohbau steht innerhalb von wenigen Tagen". Doch die Projekte, die Fuchs bisher in lasttragender Bauweise realisiert hat, sind entweder sehr klein oder befinden sich im Ausland. Etwa in Istanbul, wo sie 2006 zusammen mit Architekturstudenten ein Seminargebäude errichtete. "In Deutschland ist es einfach noch sehr mühsam, eine Genehmigung dafür zu bekommen", sagt Fuchs. Gerade einmal zwei Gebäude in Deutschland zählt der Fasba, bei denen das Stroh auch tragende Funktion übernimmt.

Hochgradig feuerfest

Fuchs bedauert das, denn ihrer Meinung nach bringt Stroh alles mit, was ein Baustoff haben muss. "Stroh ist absolut ökologisch, wächst nach und kommt im besten Fall vom nächsten Acker", sagt Fuchs und fügt schmunzelt hinzu: "Falls das Haus einmal abgerissen werden muss, kann man es quasi komplett kompostieren." Weder die Produktion noch die Verwertung des Materials benötige viel Energie - und Stroh sei ein hochwertiger Dämmstoff, der dabei helfe, Heizenergie zu sparen.

Viele Bauherren reizt vor allem auch der einfache Einbau des Baustoffs. "Unter fachkundiger Anleitung sind die Handgriffe recht schnell zu erlernen. Wir bauen oft in Teams aus Freiwilligen, die von Profis angeleitet werden", erzählt Fuchs. Wer gerne selbst mit anpackt, hat so die Möglichkeit, Kosten zu sparen.

Kein Insektenparadies

Vorzüge, die weit weniger verbreitet sind als die Vorurteile, die sich hartnäckig halten. Viele Menschen befürchten, dass ein Haus aus Stroh besonders leicht abbrennen könne. Was bei losen Halmen mit Sicherheit zutrifft, ist bei dicht gepressten Ballen indes ungleich schwerer. Diese verhindern die für ein Feuer notwendige Sauerstoffzufuhr. "In Verbindung mit einem Lehmputz ist der Brandschutz dann kein Problem mehr", erklärt Isselhard.

Als beidseitig lehmverputzte Wände sogar nach 90 Minuten dem Feuer noch widerstanden, konnten dies die Experten der Materialprüfungsanstalt Braunschweig kaum glauben. Diese Instanz entscheidet darüber, ob ein Baustoff zugelassen wird oder nicht. Für Einfamilienhäuser ist höchstens eine Feuerresistenz von 30 Minuten verbindlich.

Dass sich ungeliebte Mitbewohner wie Mäuse und Insekten in einem Strohhaus ebenfalls sehr wohl fühlen, ist ein weiteres Vorurteil. Doch sind Putz und Ballen kompakt genug, gibt es auch für Ungeziefer keine Existenzgrundlage. Laut Isselhard ist jedoch ein Nagetierschutz empfehlenswert - ein Gitter, das zusätzlich in die Wände eingearbeitet wird.

Energiebilanz wie beim Passivhaus

Größter Feind des Baustoffs ist die Feuchtigkeit. Das Stroh darf vor dem Verputzen auf keinen Fall nass werden. "Es sollte möglichst frisch sein und nicht so verwendet werden, dass es mit dem Erdreich in Berührung kommt", erklärt Dirk Scharmer, Architekt aus Lüneburg und Experte für Strohballenbau. Tipps wie diese und Informationen rund um den Strohbau bekommen Interessenten beim Fasba, der auch Seminare für angehende Strohbauer anbietet.

"Als ich zum ersten Mal von einem Strohhaus hörte, habe ich mich gefragt, was das wohl für Ökospinner sind, die darin wohnen", sagt Florian Schier lachend. Nun wohnt er selbst seit bald fünf Jahren in seinem eigenen Strohhaus in Bösel, einem kleinen Ort in Niedersachsen, und hat die Entscheidung nicht bereut. Für 350 Euro im Jahr heizt die vierköpfige Familie, das entspricht Passivhausstandard. "Doch statt der üblichen komplizierten Heiztechnik haben wir eben die Low-Tech-Variante vom Acker nebenan."

Die Allergie ist passé

Neben den ökonomischen Vorteilen hebt Schier vor allem das gute Raumklima hervor. Lehm, mit dem die Strohwände meist verputzt werden, kann Feuchtigkeit aus der Luft schneller als andere Materialien aufnehmen und auch wieder in den Raum abgeben und sorgt so für eine perfekte Luftfeuchtigkeit im Haus. "Das hatte den schönen Nebeneffekt, dass die Hausstaub-Allergie meiner Frau zumindest bei uns im Haus kein Thema mehr ist", sagt Schier.

Auch Hersteller von Fertighäusern interessieren sich inzwischen für den Baustoff. Unlängst besichtigten einige von ihnen das Projekt von Susanne Körner und Tilman Schäberle. "Sie suchen nach Möglichkeiten, ihre Häuser noch günstiger zu dämmen", sagt Körner. "Das zeigt, dass Stroh durchaus das Potential hat, den breiten Markt zu erreichen." Die günstigen Kosten sprechen dafür. Einen Euro haben Körner und Schäberle je Strohballen bezahlt. Mit 750 davon wurde das gesamte Haus gedämmt.

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