Straßen in München:Rosenheimer Straße

Wo die Verkehrslawine rollt: Die Rosenheimer Straße ist laut, staubig und stinkend, wie eine Ausfallstraße eben ist. Dabei hätte sie das Zeug zum Boulevard.

Georg Etscheit

Früher sagte man "hässlicher Klotz". Heute, im Zeitalter des Marketings, heißt es "städtebauliche Dominante". Am Beginn der Rosenheimer Straße stehen gleich zwei Dominanten: die Kultur-Trutzburg Gasteig und, direkt vis-à-vis, der riesige Motorama-Komplex mit Ladenzentrum und zehngeschossigem Luxushotel. Beide sind Kinder der betonverliebten 70er Jahre. Das Motorama kehrt den vielseitigen Baustoff noch etwas aufdringlicher heraus als der gnädig mit rauem Klinker verkleidete Gasteig. Besonders gelungen sind sie beide nicht, aber man hat gelernt, mit ihnen zu leben.

Sie hätte das Zeug zum Boulevard

Hier also beginnt die Rosenheimer Straße, die viele nur als S-Bahn-Haltestelle "Rosenheimer Platz" kennen oder als Ausfallstraße zur Salzburger Autobahn. Laut ist sie, staubig und stinkend, wie eine Ausfallstraße eben ist. Dabei hätte sie das Zeug zum Boulevard.

Denn die Häuser, die sie bis hoch zur Orleansstraße säumen, haben oft noch schöne, alte Fassaden. Aber weil hier unablässig eine Verkehrslawine rollt, verzieht man sich rasch mit hochgeschlagenem Kragen und gesenktem Kopf ins Gasteig, in die Stadtbibliothek oder die Philharmonie, oder in eine der Nebenstraßen, die ins "schöne" Haidhausen führen, zu den gemütlichen Kneipen und renovierten Herbergshäuschen. Nein, ein Platz zum Verweilen ist die Rosenheimer nicht.

Zur Probe auf der Wunderliege

Indes, manchmal hält man doch inne im rasch flüchtenden Gang und presst sich die Nase an einem Schaufenster platt. Im Motorama gibt es ein wunderliches Geschäft. Dort liegen an einem gewöhnlichen, werktäglichen Nachmittag etwa 25 erwachsene Menschen, in helle Laken gehüllt, auf merkwürdigen Liegen und rühren sich nicht. Ein Leichenhaus mit Schaufenster direkt an der Rosenheimer Straße? Aber nein, die Menschen sind nicht tot, sie genießen. Oder besser: Sie liegen Probe. Auf einer koreanischen Wunderliege.

"Die Ceragem-Filialen leben vom Verkauf der Liegen, wir sind kein Verein, keine Praxis und keine Sozialeinrichtung", steht auf einem Zettel am Eingang. Jede Massage dauert 40 Minuten. Der Andrang muss groß sein. "Keine Reservierungen", heißt es noch.

Rosenheimer Straße

Ansonsten ist das Geschäftsleben an der Rosenheimer nicht sehr pittoresk. Die meisten Läden sind von der billigen Sorte: Sexshops, Second-Hand-Möbel, "LasVegas"-Spielhölle, ein Second- Hand-Shop für Schallplatten und CDs. Und viel Durchschnitts-Gastronomie. Der Rosenheimer Platz ist nicht viel mehr als eine Verkehrsinsel mit Straßenbahnanschluss. Immerhin hat sich hier noch ein kleines Kino gehalten. Die nagelneue Dependance einer Unternehmensberatung gegenüber glänzt kühl.

Acht Bierkeller sind verschwunden

Von einstiger Bierseligkeit ist an der Rosenheimer Straße rein gar nichts mehr erhalten. Früher säumten gleich acht Bierkeller die Straße bis hinauf zum Rosenheimer Platz: Maderbräu, Schützbräu, Hallmeyerbräu und wie sie alle hießen. Der Rosenheimer Berg war durchlöchert mit Bierkellern. Von den Kastanien obenauf sind noch ein paar Exemplare erhalten, allerdings arg gebeutelt durch die Miniermotte.

Der im Krieg beschädigte Münchner-Kindl-Keller, ein dekorativer Riesenbau im Stil der Deutschrenaissance, musste Anfang der 70er dem Motorama weichen. Er beherbergte Münchens größten Saal. Davor lag ein weitläufiger Biergarten.

Hitler-Attentat im Bürgerbräukeller

Dort, wo jetzt das Verwaltungsgebäude der GEMA und das City-Hilton steht, war einst der Bürgerbräukeller. Eine bemerkenswert unscheinbare Gedenktafel erinnert an den Schreiner Georg Elser, der hier 1939 im Festsaal des Bürgerbräukellers ein Bombenattentat auf Adolf Hitler verübte. Der Diktator entging dem Anschlag. Elser wurde gefasst und kurz vor Kriegsende als "persönlicher Gefangener des Führers" in Dachau ermordet. Hätte der mutige Mann erreicht, was er wollte, München und der Rosenheimer Straße wäre vieles erspart geblieben.

Jenseits der Orleansstraße und der Eisenbahnüberführung zieht sich die Rosenheimer recht unmotiviert durch gesichtslosen Siedlungsbrei, bis sie sich am Ende doch noch einmal zu wahrer Größe aufschwingt. Das Ramersdorfer Kirchlein St. Maria, verkehrsgünstig an Mittlerem Ring und Autobahnauffahrt gelegen, gilt als eine der ältesten Wallfahrtsstätten Bayerns und birgt ein wahres Kleinod: einen spätgotischen Schnitzaltar von Erasmus Grasser, einem der eigenwilligsten Bildhauer der Dürerzeit.

Fachhandel für Rockerbedarf

Nachtrag: Ganz am Beginn der Rosenheimer Straße, wo sie sich von der Museumsinsel zum Gasteig empor arbeitet, gab es ein veritables Münchner Traditionsgeschäft, eine Art Fachhandel für Rockerbedarf. Das Schaufenster mit den verstaubten Auslagen, Ketten und allerlei Lederaccessoires, schien seit Jahrzehnten unverändert. Hier verkaufte Hans-Werner Erdmann seine berühmten Motorrad-Lederjacken.

In den 70er Jahren war die Erdmann-Jacke Kult, für den Regisseur Rainer Werner Fassbinder etwa ein ständiger Begleiter. Den Laden gibt es nicht mehr; die Jacken sind immerhin noch im Internet zu kaufen. Wieder einmal hat München eine originelle Adresse weniger und einen Backshop mehr.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: