Süddeutsche Zeitung

Straßen in München:Poschingerstraße

In der Poschingerstraße im Herzogpark wohnte einst Thomas Mann samt Familie. Heute wird von hier aus die wirtschaftliche Lage der Nation eingeschätzt.

Stefan Siegfried

Grün ist es hier im Bogenhausener Herzogpark rechts der Isar - grün, und geradezu phantastisch ruhig. Wie eine verwunschene Landschaft wirkt das dicht bewachsene Flussufer gegenüber dem Englischen Garten.

Als "Zaubergarten" beschrieb Thomas Mann 1919 einmal den Herzogpark, in seiner Erzählung "Herr und Hund", einer Schilderung der Spaziergänge des Schriftstellers mit seinem Hund Bauschan. Auch wenn sich die Gegend seither verändert hat, das vornehme Villenviertel hat sich eine Atmosphäre der Abgeschiedenheit erhalten.

Nördlich der Max-Joseph-Brücke, die den Englischen Garten mit Bogenhausen verbindet, erstreckt sich der Herzogpark, in dem die Poschingerstraße liegt. 1805 ließ Graf Montgelas hier durch den Gartenarchitekten Ludwig von Sckell einen Park anlegen, den später Herzog Max in Bayern erwarb. An der Wende zum 20. Jahrhundert konnte die herzogliche Familie den Park nicht mehr halten, ab 1906 wurde er als Baugebiet erschlossen. Anstelle des Hochadels hielt das Großbürgertum Einzug.

Wer durch das Viertel flaniert, bewundert die schönen Villen im Stil der Gründerzeit, repräsentative Jugendstilfassaden, die Loggien, das viele Grün - und den roten Porsche am Straßenrand. Hohe Gartenmauern, adrett gestutzte Hecken und lange Zaunreihen versprechen den Bewohnern Privatsphäre und Diskretion.

Die Poschingerstraße, benannt nach dem Glasfabrikanten Michael von Poschinger (1834-1908), ist nur eine kurze Straße, die vom Isarufer in das Viertel hineinführt und am Gustl-Waldau-Steig endet, der in Serpentinen den Berg hinaufführt zum Bogenhausener Herkomerplatz. Die berühmtesten Adressen sind die Nummern 1 und 5.

Nummer 1: Von 1914 bis 1933 lebte Thomas Mann mit seiner Frau Katia und den sechs Kindern in ihrer Stadtvilla, die sie liebevoll "Poschi" nannten - wenn auch die Adresse eigentlich falsch ist, wie Golo Mann bemerkte, denn der Eingang der Villa lag zur Föhringer Allee. Der Mann-Biograph Peter de Mendelssohn bezeichnet den Herzogpark um 1914 als eine "ideale Kinderlandschaft" - Erika und Klaus Mann bildeten als Kinder den Kern der Herzogpark-Clique, die sich zu allerlei Streichen verstieg.

Bis zur Emigration 1933 führten die Manns dort ein großbürgerliches Leben. Im Dritten Reich wird das Haus beschlagnahmt, das Inventar in einer Aufsehen erregenden - als "Freiwillige Selbstversteigerung" deklarierten - Auktion veräußert, von 1937 bis 1940 richteten die Nazis in dem Haus einen "Lebensborn" ein.

Im Krieg wurde die Villa schwer beschädigt, 1957 entstand ein Neubau. Eine detailgetreue Rekonstruktion der Villa wurde für den Fernseh-Dreiteiler "Die Manns" von Heinrich Breloer auf dem Filmgelände der Bavaria am Geiselgasteig errichtet. 1956, ein Jahr nach dem Tod Manns, wird die Föhringer Allee, die am Isarufer entlang führt, in Thomas-Mann-Allee umbenannt.

Nummer 5: Nicht nur das Mann-Anwesen trägt zur Berühmtheit der Straße bei. Regelmäßig richtet sich die Aufmerksamkeit der bundesweiten Öffentlichkeit auf das Haus mit der gelben Fassade. Hier residiert das ifo-Institut für Wirtschaftsforschung. Jeden Monat gibt das Institut mit dem Geschäftsklima-Index Auskunft über die wirtschaftliche Lage der Nation. In der Poschingerstraße wohnt also auch die Hoffnung - auf den Aufschwung.

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