Straßen in München:Pippinger Straße

Postkartenmotive? Gibt es nicht mehr! Die meisten Passanten sehen die Pippinger Straße nur als Zubringer zur Autobahn nach Stuttgart und ahnen nicht, auf welch geschichtsträchtigem Boden sie sich bewegen.

Gudrun Passarge

Otto Baier kann sich gut daran erinnern, wie er als Kind Schlittschuh auf der Pippinger Straße gelaufen ist. Und Franz Grandl hat noch den Postillon gekannt, den Landwirt vom Neu-Moar-Hof, der mit dem Pferdewagen die Post gebracht hat. "Bei Festzügen trug er seine schöne Uniform", sagt Grandl.

Solche Bilder sind kaum vorstellbar für den, der sich heute über die stark befahrene Straße quält, die von Pasing am Würm-Grünzug entlang bis zur Inselmühle nach Untermenzing in Richtung Allach führt. Die meisten sehen sie nur als Zubringer zur Autobahn nach Stuttgart und ahnen nicht, auf welch geschichtsträchtigem Boden sie sich bewegen.

Die Pippinger Straße kam erst spät zu ihrem Namen. Sie war früher als Allacher Weg und Allacher Straße bekannt, erst in den fünfziger Jahren wurde sie umgetauft, berichtet Adolf Thurner. Der "Obermenzinger Dorfschreiber", wie er sich selbst bezeichnet, ist hier geboren. Benannt wurde sie im Übrigen nach einem Ortsteil Obermenzings an der Grenze zu Pasing, wo im 14. Jahrhundert nicht mehr als zwei Höfe standen, die dem Kloster Wessobrunn gehörten.

Pippinger Straße

Zwischen diesen Höfen entstand 1478 die Kirche St. Wolfgang, an der die meisten achtlos vorbeifahren. Dabei ist sie ein Kleinod höfischer Kunst, leider nur bei Gottesdiensten zugänglich. Gestiftet wurde sie von Herzog Sigismund, der sich gerne im nahen Schloss Blutenburg aufhielt.

Als Baumeister wird häufig Jörg von Halsbach genannt, doch da es keine schriftlichen Aufzeichnungen gibt, weiß man das nicht so genau. Franz Grandl kennt die Kirche seit seinem vierten Lebensjahr, weil sein Großvater hier Mesner war.

Voller Begeisterung weist er auf die kunstvollen Details hin: das gotische Rippengewölbe im Chor, der Altar, der zur Passauer Schule gezählt wird, die Fresken, für die sich auch Kulturhistoriker interessieren, weil die Figuren rund um die Passionsgeschichte ein genaues Abbild der Mode des 15. Jahrhunderts wiedergeben. "Schauen Sie nur, das ist schon barocker Hüftschwung, ganz wunderbar ausgearbeitet", sagt Grandl.

Vorbei an St. Wolfgang schlängelt sich die Straße zur Blutenburg, wo sie die Verdistraße kreuzt, die im Dritten Reich den Namen Adolf-Hitler-Straße trug. Wer in Richtung Untermenzing fährt, lässt den Zehentstadel aus dem 17. Jahrhundert und die alte Mühle rechts liegen, links stehen ehemalige Bauernhäuser mit teilweise kurioser Geschichte.

So berichtet Dorfschreiber Thurner, es habe mal einen Oberappellationsgerichtsrat gegeben, der sich nur kurz über seinen Besitz freuen konnte, weil er Haus und Hof im Glücksspiel verlor. Das sagen Urkunden aus dem 19. Jahrhundert. Hinter dem Weichandhof kommt der alte Dorfkern Obermenzings mit dem Alten Wirt, den es seit 1417 gibt, und der Kirche St. Georg, dem bäuerlichen Gegenstück zu St. Wolfgang, wie Thurner erklärt.

Direkt daneben an der Straße steht die frühere Dorfschmiede. Hier sind die Kunstschmiede Baier zu Hause. Die Schmiede ist seit etwa 550 Jahren in Familienbesitz. Otto Baier wuchs in Zeiten auf, da der Vater noch mehrere Angestellte beschäftigte. Pferde und Ochsen wurden in der Schmiede beschlagen, Pflüge und andere landwirtschaftliche Geräte repariert.

Baier erinnert sich auch daran, wie er als Bub jeden Abend eine Maß Bier beim Alten Wirt besorgen musste, für die Männer, die auf der Bank vor dem Haus saßen und ratschten. Diese Zeiten sind vorbei, "weil jeder zu beschäftigt ist", außerdem bedinge der inzwischen starke Verkehr "eine gewisse Distanz". Ärger über den Verkehr ist es auch, den alle Anwohner als erstes nennen, wenn man sie fragt, wie es sich an der Straße lebt. Manchmal wird es sogar Baier in seiner Werkstatt zu laut, und er schließt die Tür zum Hof - und das, wo er doch selbst Krach macht.

Landwirt Johann Grandl wohnt gegenüber der Schmiede. Er höre den Verkehr schon gar nicht mehr, erzählt er. Wenigstens fahren seit Eröffnung der Eschenrieder Spange nicht mehr so viele Lastwagen am Haus vorbei. Grandl nennt etwas anderes, das ihn ärgert: "Obermenzing wird zubetoniert. Das gefällt mir gar nicht."

Baugruben und Bauarbeiten, wohin man schaut. Die ganze Maibaumwiese gegenüber vom Alten Wirt soll zugebaut werden. "Dann gibt es das schöne Postkartenmotiv nicht mehr", bedauert Grandl. Und auch als Landwirt fürchtet er Nachteile, denn vielleicht passe den neuen Nachbarn der Lärm vom Bauernhof nicht. Aber bis jetzt hat es zum Glück keine Klagen gegeben, und die Welt am Rande der Stadt ist noch in Ordnung: "Es ist hier nach wie vor schöner als in der Stadt."

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