Steuerreform:Entweder einfach oder gerecht

Am einfachsten wäre ja: Alle Deutschen zahlen denselben Steuersatz. Doch gerecht finden das die meisten nicht - deswegen gibt es Sonderregeln. Der Grundkonflikt der Steuerdebatte ist also: Kann ein einfaches System überhaupt gerecht sein? Ein Blick in die Geschichte der Ideen zur Verbesserung.

Von Oliver Hollenstein

Einmal lud, so geht die Anekdote, ein deutscher Finanzminister die führenden Kritiker des Steuersystems in sein Ministerium ein. Er bat sie in einen Raum und versprach ihnen, er werde umgehend jene Steuerregel abschaffen, die sie alle für überflüssig hielten. Einzige Voraussetzung: Sie müssten sich auf eine Regel einigen. Doch die führenden Steuerexperten schafften es nicht, sich zu einigen; jeder fand eine andere Regel wichtig.

Auf die Komplexität der Steuererklärung und des deutschen Steuersystems zu schimpfen, gehört zum guten Ton. Anekdoten wie die vom Treffen im Finanzministeriums oder die, dass zwei Drittel der Weltliteratur über Steuern sich mit Deutschland beschäftigen (was übrigens nicht stimmt), sind Ausdruck eines kollektiven Misstrauens gegen das Steuersystem. Sechs Stunden pro Person, insgesamt also 142 Millionen Stunden im Jahr verbringen die Deutschen mit ihren Steuererklärungen, hat die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft ausrechnen lassen. Ihr Fazit: Würde es schneller gehen, könnte die Wirtschaft um 0,3 Prozent wachsen.

Je mehr das Internet dem Steuerzahler und den Finanzämtern zu Hilfe kommt, desto schneller dürfte es in Zukunft gehen - könnte man meinen. Aber schon die Mühen mit der Umsetzung der elektronischen Lohnsteuerkarte Elstam zeigen, dass das Internet allein kein Heilsbringer ist. Über die neuen Pläne der Koalition für eine automatische Selbstveranlagung kann man ebenfalls trefflich streiten. Denn allein durch eine solche technische Neuerung wird das Steuersystem natürlich nicht einfacher.

Eine Geschichte gescheiterter Hoffnungen

Die Frage lautet also: Warum schafft es eigentlich keine Bundesregierung, das Steuersystem grundlegend zu reformieren? Dazu hilft ein Blick in die Geschichte der Steuerreformen, in eine Geschichte vieler gescheiterter Hoffnungen.

Es ist gut zehn Jahre her, da machte Angela Merkel, damals noch nicht Kanzlerin, sich die Idee des Bierdeckel zu eigen. Auf diesem sollte jeder Bürger seine Einkommensteuererklärung machen können, hatte der damalige CDU-Fraktionsvize im Bundestag, Friedrich Merz, 2003 vorgeschlagen. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn die Steuererklärung so einfach würde. Doch die Idee der Bierdeckel-Reform scheiterte letztendlich am Grundkonflikt aller Steuerdebatten - der Frage: Ist ein einfaches Steuersystem gerecht?

Der erste Mann, der seit der Wiedervereinigung mit dem Vorschlag eines einfacheren Steuersystems scheiterte, war nicht Friedrich Merz, auch nicht der Steuerprofessor Paul Kirchhof, der als Schattenfinanzminister im Wahlkampf 2005 von Angela Merkel für einfachere Steuern warb - und später fallen gelassen wurde.

Es war Peter Bareis, damals Professor für Steuerlehre in Stuttgart-Hohenheim. Er schrieb 1994 mit einer Expertenkommission aus Wissenschaftlern, Finanzrichtern und Verwaltungsbeamten ein Papier mit dem Titel "Thesen zur Reform des Einkommenssteuerrechts". Sein Plan: Zahlreiche Ausnahmeregelungen im Steuerrecht streichen. Doch der damalige Finanzminister Theo Waigel (CSU) wies den Vorschlag der von ihm selbst eingesetzten Kommission als ungeeignet zurück. Zuvor hatten die Opposition und die Gewerkschaften die Vorschläge der Bareis-Kommission als ungerecht kritisiert.

Braucht es überhaupt eine radikale Reform?

Es ist das Dilemma jeder Besteuerung: Am einfachsten ist es, wenn jeder den gleichen Steuersatz zahlt - zum Beispiel einen einheitlichen Tarif von 30 Prozent. Die Putzfrau zahlt für ihren Nebenjob dann von zehn Euro Verdienst in der Stunde drei Euro Steuern, der Topanwalt muss seinen Aktiengewinnen in Höhe von 100.000 Euro zwar 30.000 Euro versteuern, darf aber auch 70.000 behalten - weit mehr, als die Putzfrau im ganzen Jahr verdient. Die meisten Bundesbürger finden das nicht gerecht. Die Besteuerung berücksichtigt deswegen immer soziale Fragen.

Doch unterschiedliche Steuersätze für unterschiedliche Einkommen oder Einkommensarten sind dabei nur der Anfang. Das Steuerrecht versucht auch, Besonderheiten der Lebensverhältnisse aufzufangen: Wer nachts im Schichtdienst arbeitet, muss weniger zahlen; wer einen weiten Weg zur Arbeit fährt, ebenfalls. Das Dilemma: Je mehr Sonderfälle berücksichtigt werden, desto mehr Regeln gibt es, desto komplizierter wird das Steuersystem. Bei abstrakten Fragen sind deswegen die meisten Menschen für Steuersenkungen, sobald es konkret wird, werden sie skeptischer. Mehr zahlen? Lieber nicht!

Doch stimmt das überhaupt? In der Umfrage der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft gaben 82 Prozent der Arbeitnehmer an, auf persönliche Begünstigungen zu verzichten zu wollen, wenn im Gegenzug die Steuersätze gesenkt würden. Ähnlich äußerten sich vor einigen Monaten viele Leser, als Süddeutsche.de in einer Artikelserie die Frage der Steuergerechtigkeit beleuchtete.

Eine Steuerreform kostet viel Geld

Allerdings scheitern viele Reformversuche noch an einem weiteren Problem: Eine Steuerreform kostet - wenn sie aufgrund der vielfältigen Veränderungen nicht breite Massen belasten soll - in aller Regel viel Geld: Nur wenn die Abgabenlast insgesamt um etliche Milliarden Euro gesenkt wird, ist auch sichergestellt, dass am Ende (fast) keiner mehr bezahlen muss.

An dieser Hürde scheiterten vielen Versuche einer weitreichenden Steuerreform, zuletzt auch der Vorstoß der FDP, der das Versprechen von niedrigeren Steuern 2009 bei der Bundestagswahl 14,6 Prozent der Stimmen brachte. Auch im Koalitionsvertrag mit der Union tauchte die Steuerreform noch auf. Wenig später aber kippte CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble die Pläne: kein Geld.

Bleibt die Frage, ob es überhaupt eine radikale Steuerreform braucht. Auch manch ein Reformer ist mittlerweile moderater geworden. Im August präsentierte Friedrich Merz in Berlin ein Konzept für ein neues Steuergesetz, erarbeitet von einer Expertenkommission unter Leitung des Steuerrechtlers Joachim Lang. Die Devise: Vereinfachung vor Senkung, Evolution vor Revolution. So sollen unter anderem 160 der 200 Paragrafen des Einkommensteuergesetztes gestrichen werden. Auf einen Bierdeckel passt all das noch nicht, der Reformvorschlag umfasst 600 Seiten.

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