Steuern:Das Finanzamt pokert mit

Erstmals treibt der Staat Steuern von professionellen Kartenspielern ein. Die Szene ist in Aufruhr - die Betroffenen bangen um ihre Existenz.

Harald Freiberger

Das letzte Weihnachten war für Jens Woller (Name geändert) ein trauriges Fest. Wenige Tage vor Heiligabend hatte er einen Brief vom Finanzamt bekommen. "Ich habe meinen Augen nicht getraut, als ich das las", erzählt er. Seine Steuerbescheide würden rückwirkend bis 2003 korrigiert, hieß es in dem Schreiben. Es gebe Anhaltspunkte dafür, dass er in der Zeit beim Pokern Gewinne in Millionenhöhe erzielt habe, die es nun zu versteuern gelte. Woller soll Umsatz- und Einkommensteuer von rund einer halben Million Euro nachzahlen. "Das ist absurd, das bedroht meine Existenz, so viel Geld habe ich gar nicht", sagt er.

Sein Fall ist nicht der einzige, der in der boomenden deutschen Pokerszene derzeit für Aufruhr sorgt. Beim Bonner Rechtsanwalt Robert Kazemi haben sich mehrere Spieler gemeldet, die Post vom Fiskus erhielten. Sie wurden zwar noch nicht mit einer Nachzahlung konfrontiert, sollen aber ihre Spielgewinne melden. "Das ist auf Pokerturnieren derzeit ein heißes Thema", weiß Kazemi. "Einer fragt den anderen: 'Hast du auch schon Post vom Finanzamt bekommen?'"

Pokern ist in Deutschland in den letzten Jahren zu einer Massenbewegung geworden. Hunderttausende, wenn nicht Millionen zocken in Casinos, auf Turnieren, über Online-Plattformen oder in privaten Runden. Da Pokern als Glücksspiel gilt, ist es eigentlich nur in staatlichen Casinos erlaubt. Doch in der Szene ist es ein offenes Geheimnis, dass das Meiste illegal abläuft. "In jeder größeren Stadt gibt es private Spielhöllen, in denen schon mal Millionen über den Tisch gehen können", sagt ein Kenner. Der Fernsehsender DSF hat stark zur Popularisierung beigetragen, seit er große Pokerturniere überträgt. Die Startgebühren und Gewinne auf diesen Turnieren, zum Beispiel in Las Vegas, sind ins Astronomische gestiegen. Allein die Teilnahme kostet 100.000 Dollar, der Gewinner streicht zehn Millionen Dollar ein.

Einfach mal abkassieren

Kein Wunder, dass darauf auch die deutschen Steuerbehörden aufmerksam wurden. Rechtsanwalt Kazemi vermutet, dass man sich dort gefragt hat: "Wenn die so viel verdienen, wieso bekommen wir nichts davon ab?" In der Szene glaubt man, dass der Fiskus die Namen aus einschlägigen Internetforen hat. Auf Seiten wie hendonmob.com gibt es internationale Ranglisten über die Gewinnsummen, die Pokerspieler erzielt haben. Die Spitzenleute bringen es auf mehrere Millionen Dollar. "Der deutsche Fiskus arbeitet die Liste wohl von oben her ab und schreibt jeden Spieler an, bei dem in Klammern ein D hinter dem Namen steht", vermutet ein Insider.

Im Internet ist eine heftige Debatte entbrannt. Ein Diskutant regt sich über "die Pickelpartisanen" auf, also sehr junge Spieler, die sich öffentlich mit ihren hohen Gewinnen brüsten. Man dürfe sich nicht wundern, wenn man damit schlafende Hunde wecke, "insbesondere das Amt für moderne Christenverfolgung". Ein anderer empfiehlt: "Haltet einfach den Mund - und gut ist."

Doch dafür ist es zu spät. Die Steuerbehörden haben ihre Hand schon nach den Pokergewinnen ausgestreckt - auch wenn es schwierig ist, dafür eine offizielle Bestätigung zu bekommen. Bei einer Oberfinanzdirektion in Nordrhein-Westfalen weiß man nichts von entsprechenden Briefen an die Spieler. Und eine Sprecherin der Oberfinanzdirektion Frankfurt sagt: "Wir können aufgrund des Steuergeheimnisses keine Aussagen zu professionellen Pokerspielern machen, die ihren Sitz in Hessen haben." Grundsätzlich aber sei es so, dass man Berufsspieler, die ihren Lebensunterhalt ganz oder teilweise aus Spielgewinnen bestreiten, zur Einkommensteuer heranziehe; sie erzielten mit ihren Gewinnen Einkünfte aus einem Gewerbebetrieb.

Eine rechtliche Grauzone

Das Problem liegt darin, dass es sich um eine rechtliche Grauzone handelt. Es gab in jüngerer Zeit keine Rechtsprechung dazu. Die zentrale Frage ist, ob Pokern ein reines Glücksspiel wie Roulette ist, oder ob es auch auf Geschick ankommt. Kann der Spieler den Gewinn beeinflussen und aus dem Pokern eine dauerhafte Erwerbsquelle machen, ließe es sich als Gewerbe einstufen. "Der Staat steckt in der Zwickmühle", sagt Kazemi. "Er definiert Pokern einerseits als Glücksspiel, um sich die Monopolgewinne im Casino zu sichern, andererseits will er Steuern abschöpfen und es als Geschicklichkeitsspiel einstufen." Da beides einander ausschließt, sieht der Anwalt auch keine rechtliche Grundlage, Pokergewinne zu besteuern.

"Neues Fass aufgemacht"

Würde es der Staat trotzdem tun, "wird ein völlig neues Fass aufgemacht, mit unabsehbaren Folgen", sagt Kazemi. So müssten alle Ausgaben absetzbar sein, die durch das Pokern entstanden sind: Flüge zu den Turnieren, Startgebühren, Hotelrechnungen. Verluste müssten zudem mit den Gewinnen gegengerechnet werden können, auch mit solchen aus normalem Einkommen. "Kann ein Pokerspieler künftig mit Spielverlusten seine Einkommensteuer aus dem Beruf senken?", fragt Kazemi. Und wer bestätigt Gewinn und Verlust? Sollen die Casinos Quittungen schreiben?

"Die zeigen einem doch den Vogel, wenn man das verlangt", sagt der Pokerspieler Woller, der die hohen Steuern nachzahlen soll. Überhaupt sei Pokern ein Nullsummenspiel: Die Gewinne von wenigen kämen ja von den Einsätzen aller anderen. Woller findet die Hitlisten im Internet absolut unseriös, da könne "jeder Penner etwas hineinschreiben". Die ihm zugeschriebene Gewinnsumme sei viel zu hoch. Auch Rechtsanwalt Kazemi ist davon überzeugt, dass die Listen im Internet "nicht einmal reichen, um einen Anfangsverdacht zu begründen, der überhaupt erst eine Ermittlung zulässt".

Kazemi hat den Finanzämtern für seine Mandanten deshalb zurückgeschrieben, er gehe davon aus, dass es sich um nicht versteuerbare Gewinne handle. Man sehe sich deshalb auch nicht verpflichtet, Angaben darüber zu machen. Auch Woller schrieb dem Finanzamt: Er sei kein Profi, habe immer einen Hauptberuf ausgeübt und an den Turnieren in seiner Freizeit teilgenommen. "Pokern ist ein reines Glücksspiel", sagt er. Vor einigen Jahren habe man mit Können vielleicht noch etwas erreichen können, aber inzwischen gebe es so viele gute Spieler, dass es nur noch auf das Kartenglück ankomme: "Das ist nicht wie beim Tennis, wo immer Roger Federer gewinnt."

Woller wartet nun auf die Antwort des Fiskus. Einem möglichen Verfahren sieht er gelassen entgegen. Notfalls will er es bis in die letzte Instanz durchfechten. "Es kann nicht sein, dass sich der Staat das hindreht, wie er will, nach dem Motto: Pokern ist ein Glücksspiel, aber nicht für dich", sagt er.

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