Steuerexperte Paul Kirchhof:Der Herr Professor kann's nicht lassen

Vereinfachen, vereinfachen, vereinfachen: Der Ex-Verfassungsrichter Paul Kirchhof hat Gerhard Schröders Spott überwunden - und kämpft wieder für seine Steuerrevolution. Nun legt er ein neues Buch mit seinen radikalen Forderungen vor. Und glaubt sogar, dass die Politik diesmal auf ihn hört.

Hans-Jürgen Jakobs

Was Paul Kirchhof sagt, hat Hand und Fuß, vor allem viel Hand. Unentwegt sind an diesem Dienstagabend seine Arme in Bewegung. Sie rudern, weisen in den Himmel, greifen aus. "Ich habe täglich erlebt: Das Steuersystem ist nicht reparaturfähig." Die Hände ballen sich. "Jeder braucht seine Steuerhinterziehung!" Der Zeigefinger geht hoch. "Das Steuerrecht ist nicht mehr zu ertragen, deswegen kämpfe ich." Beide Arme oben. "Es weiß niemand, was er bei seiner Steuererklärung unterschreibt." Sie fallen nach unten.

Kompetenzteam der Union

Ein Bild aus dem Jahr 2005, als Angela Merkel (ganz links) noch begeistert war von Paul Kirchhofs Plänen.

(Foto: ddp)

Ein Mann bleibt bei seiner Mission: Der bekannte Jurist, der im Bundestagswahlkampf 2005 vom Sozialdemokraten Gerhard Schröder als "der Professor aus Heidelberg" verspottet wurde, will wie ehedem Deutschlands Steuern retten. Nur, dass es jetzt wirklich Ernst werden soll: Nach zwölf Jahren Arbeit mit der "Forschungsgruppe Bundessteuergesetzbuch" an der Juristischen Fakultät in Heidelberg stellt der ehemalige Bundesverfassungsrichter (1987 bis 1999) in Kürze in Karlsruhe das Endergebnis vor.

Ein schmaler Teil des neuen Buchs beinhaltet das neue Steuergesetz, der viel dickere Teil erläutert, wie die Gesellschaft dahinkommt. Wie sie aus dem "Dschungel" zur "Lichtung" gelangt, wie Kirchhof das nennt. Es ist das Ergebnis von 35 Sitzungen. Im Juni geht das Werk in den Druck.

An diesem Abend in München, beim Podiumsgespräch ("Stadtforum"), moderiert vom langjährigen SZ-Chefredakteur Hans Werner Kilz, schwärmt Kirchhof schon mal aus in sein Utopia. Am Vormittag noch hat er vor seinen Studenten gelehrt, am nächsten Tag wird er zu Chirurgen reden, jetzt aber befeuert er steuergeplagte Bürger. Der 68-Jährige macht es mit Emphase und Armkreisen. Aus 56.000 Paragraphen sollen 146 werden, aus 45 Prozent Spitzensteuer 25 Prozent. Begeistert erzählt der gesittete Rebell, wie Juristen, Ökonomen, Germanisten und Beamte aus sechs Bundesländern an der Bundessteuer Marke Kirchhof mitgearbeitet haben. Das sei nicht "das Modell eines Professors aus Heidelberg, der auf Wolke sieben schwebt", sagt er: "Ich mache der Politik ein Angebot."

Der Plan ist doch ganz einfach

Und das sieht so aus, wie er es schon oft skizziert hat: Steueraufkommen unverändert, künftig aber nur noch vier Steuern, alle Steuerprivilegien wie Pendlerpauschale oder Abschreibungsgeschichten weg, kein Reicher rechnet sich mehr arm, und Einkommen aus Arbeit wird nicht länger höher besteuert als das aus Kapital.

Der Heidelberger Plan sieht vor, dass im ersten Jahr nach der Bundestagswahl 2013 an dem Gesetz konkret gearbeitet wird, im zweiten nach dem Beschluss die Debatte kommt, im dritten Jahr die Freude über die veränderten Steuerbescheide groß ist und im vierten dann die Regierung in der allgemeinen Begeisterung wiedergewählt wird. Alles ganz einfach.

Die kleinen und die großen Mikrofone

"Es wird ein Aufatmen durch die Republik gehen", sagt Kirchhof. Er richtet den Arm steil nach oben.

Das glaubte Angela Merkel auch, als sie den Steuerrechtler einst vor sechs Jahren in ihr "Kompetenzteam" holte. Am Ende rechneten ihr die Parteifreunde vor, dass sie deshalb fast die Wahl verloren hätte. Bundesfinanzminister sollte Kirchhof werden, und an die paar Wochen Wahlkampf hat er die Erinnerung, auf vier Veranstaltungen täglich die Leute überzeugt, nachher im Fernsehen aber eine ganz andere Welt erlebt zu haben.

Es war die Welt, in der die SPD den gut katholischen Konservativen als "unsozial" madig machte, in der den Unionsfreunden nichts zur Verteidigung einfiel - in der also der Professor Professor blieb. "Die anderen hatten das große Mikrofon, ich hatte das kleine. Die Menschen sollten nicht erfahren, was da mit ihren Steuern passiert."

Auch als Aufsichtsrat bei der Deutschen Bank (Ende 2004 bis Juli 2006) war das Mikrofon zu klein. "Ich habe dort gesehen, dass ich unter den Bedingungen nicht den Einfluss ausüben kann, den ich mir erhofft habe", erklärt Kirchhof nun. Und: "Die Vorstände verstehen nicht, was sie unterschreiben, die Aufsichtsräte schon gar nicht."

Es ist ein bisschen so wie bei der Steuererklärung oder wie im Bundestag, der zu Kirchhofs Entsetzen das Gesetz zur Finanzmarktstabilisierung in der Eurozone innerhalb von 48 Stunden durchpeitschte. Alles geht viel zu schnell, keine Zeit zum Nachdenken, man arrangiere sich durch Nichtwissen, wie Kirchhof das analysiert. "Extrem beunruhigt" zeigt er sich auch über die hohe Verschuldung in Europa.

Damals, am Bundesverfassungsgericht, hatte Kirchhof auf eindeutige Schuldengrenzen gedrängt, auf die "Maastricht-Kriterien" - die 2004 von der damaligen Schröder-Regierung erstmals ignoriert wurden. Das sei "rechtsverbindlich" gewesen, echauffiert sich der Verfassungsrechtler. "Wir müssen die Staatsverschuldung ächten", sagt Paul Kirchhof am Ende dieses Abends in München, in der Schalterhalle der Stadtsparkasse.

Das ist die nächste Aufgabe. Auch dagegen müsse man angehen, aber er wolle sich andererseits auch nicht übernehmen: "Erst die Steuern, dann die Schulden." Und noch einmal gehen beide Arme in die Luft.

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