"Stapelware" in der Architektur:Patenter Baukasten

Mit Pile Up hat der Schweizer Architekt Hans Zwimpfer ein Konzept für moderne Geschosswohnungen im städtischen Raum entworfen.

Von Lars Klaaßen

Stapelware genießt nicht gerade den besten Ruf. Vor allem nicht in der Architektur. Da zählt das Individuelle, der kreative Entwurf.

pile up rheinfelden; johannes marburg, 2006

Hoch gestapelt: Das Pile-Up-Gebäude im schweizerischen Rheinfelden bietet hohe Räume - und viel Licht. Nicht nur nächtens.

(Foto: Foto: Johannes Marburg; 2006)

Dem Schweizer Architekten Hans Zwimpfer sind solche Denkschablonen allerdings ziemlich egal. Er hat mit dem Unternehmen Zapco ein Architekturkonzept entwickelt, dessen Name im Englischen nichts anderes bedeutet als: stapeln. Pile Up ist das Markenzeichen für einen variablen Rahmen, in dem verschiedene Ideen zur Architektur und Stadtentwicklung zusammenfließen.

Sieben räumliche Merkmale sind durch ein angemeldetes Patent bindend definiert. So darf zum Beispiel in einem Pile Up-Gebäude kein anderer Wohntyp - wie etwa Maisonette - untergebracht sein. Die Höhe der Decken ist festgeschrieben, und die Wohnungen müssen zwischen 80 und 180 Quadratmeter groß sowie eingeschossig sein. "Dieses Regelwerk soll nicht nur die architektonische Qualität sichern", sagt Zwimpfer, "es schafft darüber hinaus die Möglichkeit einer hohen Systematik und laufenden Optimierung bei der Planung und Realisierung."

Gestapelt soll's billiger sein

Dabei geht es auch um den Umgang mit der Umwelt: Der kollektive Traum von den eigenen vier Wänden führte in den vergangenen Jahrzehnten zur Zersiedelung der Landschaft. Im Gegenzug hat sich bereits eine Renaissance des innerstädtischen Wohnens entwickelt. "Doch damit werden noch nicht alle Bedürfnisse befriedigt, die Eigenheimbesitzer im allgemeinen haben", sagt Zwimpfer, "etwa individuell gestaltbare Grundrisse und vor fremden Blicken geschützte Außenflächen".

Gerade in gefragten, dicht bebauten Städten sind solche Angebote schwer aufzutreiben. Modellprojekte wie sogenannte Townhouses sind zwar begehrt. So entsteht mitten in Berlin derzeit ein neues Quartier, das sich die schmalen, englischen Reihenhäuser auf kleinen Grundstücken zum Vorbild nimmt. Diese Luxusimmobilien sind aber für viele unbezahlbar.

Darauf antwortet Pile Up mit einer Lösung, an der auch Vertreter der Moderne bereits laborierten: Aus dem Leitmotiv, verdichtet zu bauen, folgt für Zwimpfer die Idee vom gestapelten Einfamilienhaus: "Das Konzept verbindet die Großzügigkeit eines freistehenden Hauses mit den Vorzügen einer städtischen Geschosswohnung."

Patenter Baukasten

Das erinnert an Le Corbusiers Unité d'Habitation, auch als Wohnmaschine bekannt. Darin wurden verschiedene Einheiten ebenfalls gestapelt. Das Leitbild der vertikalen Stadt hatte neben einer hohen Effizienz beim Bauen auch erhöhten Wohnkomfort zum Ziel. Beiden Konzepten liegt der Ehrgeiz zugrunde, ein im großen Stil reproduzierbarer Prototyp zu sein.

Von Le Corbusiers Wohnmaschinen wurden zwischen 1947 und 1965 fünf Projekte verwirklicht. Pile Up wurde erstmals 2006 im schweizerischen Rheinfelden realisiert. Im vergangenen Jahr richteten sich die Bewohner dort ein. Ein weiteres Gebäude wird noch 2007 bezogen, zwei befinden sich derzeit im Verkauf, eines in Planung. In Wien wird gegenwärtig für ein neues Projekt nach einem Grundstück gesucht.

In lichte Höhen

Wohnmaschine und Pile Up sind auf den zweiten Blick kaum miteinander vergleichbar. Le Corbusier entwarf zwar auch Wohnungen, die sich über zwei Geschosse erstreckten - als Maisonnettes mit interner Treppe.

Doch genau an diesem Punkt setzt Zwimpfer bewusst einen entschieden anderen Akzent: "Zentrales Charakteristikum jeder einzelnen Wohneinheit ist bei Pile Up ein Bereich, der sich über die Höhe von zwei Geschossen erstreckt." Die gesamte architektonische Gestalt des Konzepts wird durch die hohen Raumelemente geprägt: Die lichte Höhe von 5,60 Metern in Teilen des Innenraums und ein ebenso hoher privater Außenbereich erzeugen im verdichteten Städtebau räumlichen Luxus und ein eigenes Raumerlebnis.

Patenter Baukasten

Wohnen auf einer Ebene

Die hohen Räume bieten Platz für Luft, Licht und eine Aussicht in die Innenbereiche der Wohnung. Sie ermöglichen zudem Bauten mit einer großen Tiefe, denn dank der großen Fenster fällt das Sonnenlicht besonders weit in die Räume hinein.

Ein weiterer Vorteil des Konzepts: Die Eingeschossigkeit - das Wohnen auf einer Ebene - vermeidet die Nachteile von Wohntypologien wie Maisonette und bietet eine uneingeschränkte Barrierefreiheit.

Weiteres Patent angekündigt

Offene Grundrisse wiederum gewährleisten eine hohe Flexibilität. Die Wohneinheiten können auf unterschiedliche Bedürfnisse zugeschnitten werden. Diese Flexibilität gilt auch für Bäder, Toiletten und Küchen: Hohe Böden erlauben eine große Freiheit beim Planen der sanitären Bereiche.

Im Jahr 2003 meldete Zwimpfer Pile Up als Marke und Patent in Europa sowie den USA an. Später kam Hongkong noch dazu. Zwimpfers Idee: "Das Konzept wird für jeden Standort und seinen individuellen Markt unter Ausnützung der sich ergebenden Synergieeffekte von Projekt zu Projekt neu konzipiert." Die räumlich geschaffene Grundidee bleibt aber dieselbe.

Die Patentierungen führten zu erregten Debatten in der Architektenszene. Die Experten streiten vor allem über die Frage, ob und unter welchen Bedingungen die Patentierung eines Raumkonzepts möglich ist. Hans Zwimpfer indes hat bereits neue Pläne in der Schublade. Er will sich ein weiteres Konzept patentieren lassen.

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