Süddeutsche Zeitung

Städtebau:Weg mit den Autos

Mehr Grün, weniger Lärm, bessere Luft - Planer setzen vor allem auf eine Reduzierung des Verkehrs.

Von Joachim Göres

Der Berliner Zeichner und Fotograf Heinrich Zille wusste schon vor mehr als 100 Jahren: "Man kann mit einer Wohnung einen Menschen genauso töten wie mit einer Axt." Noch heute gilt, dass in armen Stadtteilen die durchschnittliche Lebenserwartung oft deutlich niedriger ist als nur einige Kilometer entfernt in wohlhabenden Vierteln. Manche Städte wollen das Problem daher gezielt angehen.

"Es sind vor allem Lärm- und Luftbelastungen, Folgen des Klimawandels, urbane Lebensstile und häufig auch die gebaute Form der Städte mit wenig Grün- und Blauräumen sowie fehlenden Möglichkeiten für physische Aktivität, die im Ergebnis zu erhöhten Morbiditäts- und Mortalitätsraten führen", sagt Heike Köckler, Professorin für Gesundheit und Sozialraum an der Hochschule für Gesundheit Bochum. Was ist also zu tun, um die Lebensbedingungen von Menschen in besonders belasteten Quartieren zu verbessern? Auf einer Tagung der Landesvereinigung für Gesundheit in Hannover wurden einige Ansätze vorgestellt.

Zum Beispiel Bochum-Wattenscheid. Dort ist die Belastung durch den Verkehr sehr hoch und der Gesundheitszustand der Einwohner schlechter als in anderen Stadtteilen, viel Lärm führt zu vermehrten Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Abhilfe schaffen grüne Plätze, an denen sich die Wattenscheider gern aufhalten. "Bei Planungen kann man diese leisen Orte vor einer Verdichtung schützen", sagt Köckler. Sie bedauert, dass es in Deutschland keine verbindlichen Lärm-Grenzwerte gibt.

Wer in einer guten Umgebung wohnt, hat eine höhere Lebenserwartung

Umfassender geht man das Thema in Utrecht in den Niederlanden an. Dort sollte vor sieben Jahren an einer verkehrsreichen Straße eine neue Grundschule gebaut werden, doch die kommunalen Gesundheitsexperten erhoben dagegen Einspruch. "Seitdem werden wir bei allen Bauplanungen in der Stadt miteinbezogen", sagt die Umweltwissenschaftlerin Miriam Weber, die in Utrecht als City-Health-Koordinatorin tätig ist. In einem anderen Stadtteil wurde ein weitgehend autofreies Wohnviertel geschaffen, bei dem Bürger zusammen mit Universitäten und Krankenversicherungen die Planungen der Bauträger beeinflussten. Vor Kurzem eröffnete in Utrecht das mit 12 500 Stellplätzen größte Fahrradparkhaus der Welt. "Alle vier Jahre müssen wir Gesundheitsdaten publizieren. Man sieht, dass der Radverkehr zur besseren Luftqualität beiträgt", sagt Weber. Und was machen nicht mehr so mobile Menschen? Weber: "Wir sind gleichzeitig aktiv, um unsere Pläne für ein inklusives Utrecht umzusetzen." Das Wohnumfeld soll menschenfreundlicher gestaltet werden. "Das trägt zum Stressabbau bei", sagt Weber. Zudem wolle man in den Niederlanden weg vom klimaschädlichen Gas. "In Utrecht beginnen wir damit in Overvecht, wo viele Migranten und ärmere Familien in Hochhäusern leben. Die Umstellung auf erneuerbare Energien hat künftig für sie geringere Mietnebenkosten zur Folge", sagt die Umweltexpertin. Oberstes Ziel bei all den Maßnahmen ist die Chancengleichheit - noch liegt die durchschnittliche Lebenserwartung in einigen Vierteln fünf Jahre unter der in anderen Stadtteilen.

Im Hamburger Stadtteil Ottensen waren bis Ende Januar einige zentrale Straßen für den Autoverkehr fünf Monate lang gesperrt. In einer Befragung sprachen mehr als die Hälfte der an diesen Straßen lebenden Anwohner von einer größeren Wohnqualität, mehr als 70 Prozent lobten die Lärmreduzierung. Nur 17 Prozent befürworteten die Wieder-Freigabe für den Autoverkehr, 83 Prozent wünschten sich die dauerhafte Beibehaltung als Fußgängerzone. Im grün-alternativ geprägten Viertel wurde ein guter öffentlicher Nahverkehr als wichtigster Wohlfühlfaktor genannt, auf den letzten Platz kamen Autoparkplätze. "In den Innenstädten der Metropolen haben über die Hälfte der Haushalte keinen Pkw", sagt Philine Gaffron vom Institut für Verkehrsplanung und Logistik der TU Hamburg, das den Modellversuch wissenschaftlich begleitet.

Zu Fuß gehen empfehlen Gesundheitsexperten ohnehin. Innerhalb einer Woche solle man 150 Minuten in gemäßigtem Tempo (etwa fünf Stundenkilometer) gehen. "Dadurch reduziert man sein Sterblichkeitsrisiko um elf Prozent", sagt Jens Bucksch, Professor für Prävention und Gesundheitsförderung an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. "Dass körperliche Bewegung gut für die Gesundheit ist, weiß jeder. Doch das alleine reicht als Argument meist nicht aus."

Bucksch forscht zur sogenannten Walkability; dabei geht es um Faktoren, die das Gehen begünstigen. Wichtige Fragen dabei: Sind Grünflächen in der Nähe, gibt es Spielplätze in der Nachbarschaft, ist der Verkehr im Viertel beruhigt, lädt der öffentliche Raum zur Kommunikation ein, können im Umfeld der eigenen Wohnung viele alltägliche Dinge erledigt werden? Wenn ja, steigt der Anteil der zu Fuß zurückgelegten Wege. In Bielefeld hat Bucksch in einer Studie festgestellt, dass umso mehr Fußwege unternommen wurden, je zentraler die Lage des jeweiligen Stadtteils war. Nach seiner Überzeugung reichen mehr Grün und bessere Geh- und Radwege allein nicht aus: "Mehr Gehkilometer erreicht man nur in Kombination mit autofeindlichen Maßnahmen."

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SZ vom 15.02.2020
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