Städtebau:Hoch hinaus

In Asien wird stärker nach oben als in die Breite gebaut als in Europa. Doch der Platzmangel zwingt zum Umdenken, auch in Deutschland. In München entsteht derzeit die erste mehrgeschossige Logistikimmobilie.

Von Bärbel Brockmann

Hochhäuser sind in Deutschland nicht gut angesehen. In den Großstädten gibt es deshalb kaum welche in bevorzugten City-Lagen, sondern allenfalls am Stadtrand. Hochhäuser stehen im Ruf, oft soziale Brennpunkte zu sein. In Asien ist das anders. Gerade in Städten wie Tokio, Seoul, Hongkong oder Singapur ist das Wohnen in Hochhäusern eine Selbstverständlichkeit, und es gilt als Statussymbol, möglichst hoch oben zu logieren. Die seit Jahrzehnten übliche Verdichtung von Wohnraum ist dort in erster Linie Folge einer Knappheit an Flächen. Der Stadtstaat Singapur ist eine kleine Insel, auf der heute schon sechs Millionen Menschen leben. Infolgedessen wird dort in die Höhe statt in die Breite gebaut. Das betrifft nicht nur Wohnhäuser und Industriebauten, sondern seit einiger Zeit auch Logistikimmobilien.

In Deutschland gibt es weniger Platzmangel für Wohngebäude, aber es fehlt zunehmend an Flächen für Lagerhallen. Ihr Anblick ist nicht beliebt, und Anwohner stört der Verkehr der Anlieferungs- und Abholungs-Fahrzeuge. Deshalb sind Kommunen sehr zögerlich, wenn es darum geht, neue Flächen für Logistikimmobilien freizugeben. Dabei steigt der Bedarf seit Jahren, in erster Linie eine Folge des boomenden Online-Handels.

Mit dem Trend zur immer schnelleren Lieferung bis hin zur sogenannten Same Day Delivery, der Belieferung am selben Tag der Bestellung, entsteht der Druck, nicht nur große Lager am Rand der Städte zu unterhalten, sondern Lagerraum mittendrin anzumieten. Und hier entsteht erstmals eine Knappheit, die mit der in asiatischen Metropolen vergleichbar ist. Die Idee liegt deshalb nahe, auch in Deutschland mehrgeschossige Lager in Innenstädten zu errichten. In der Praxis gibt es aber große Hürden. Zum einen ist es schon schwierig genug, mehrere tausend Quadratmeter freie Fläche in einer Innenstadt überhaupt zu finden. Dann erschwert das deutsche Baurecht einen mehrgeschossigen Lagerbau, denn die maximale Bauhöhe für Logistikimmobilien beträgt hierzulande 14 Meter. Die durchschnittliche Bauhöhe der Hallen liegt bei zehn Metern. Große Versandhäuser haben bisher häufig Zwischengeschosse eingezogen, sogenannte Mezzanine, aber die haben den Nachteil, dass man die Zwischenebenen nur durch die Haupthalle erreichen kann und die Deckenbelastung niedriger ist.

Mehr bauen auf der gleichen Fläche macht die Investition wirtschaftlicher

Doch der Anfang ist gemacht. Die erste echte mehrgeschossige Logistikimmobilie entsteht derzeit im Münchener Stadtteil Daglfing nahe dem Zentrum. Dort baut der Immobilienentwickler Segro auf einer Fläche von zwei Hektar ein Lager mit zwei Etagen von jeweils 8000 Quadratmetern Fläche. Das zweite Stockwerk wird über eine eigene Rampe angefahren. Das Gebäude soll Anfang 2017 fertig sein und dann an einen großen Online-Händler langfristig vermietet werden. Segro-Deutschlandchef Andreas Fleischer will den Namen des künftigen Mieters nicht nennen, aber in der Branche besteht kein Zweifel daran, dass es sich dabei um Amazon handelt. Es wird erwartet, dass der amerikanische Online-Marktführer von Daglfing aus die Innenstadt mit Paketen, aber auch mit frischen Lebensmitteln versorgen wird. Fleischer bestätigt, dass die Immobilie in Daglfing mit allem ausgerüstet sein wird, was man für Frischelogistik braucht.

Hanjin Hungary and Hanjin Louisiana container ships are docked at PSA's Tanjong Pagar container terminal in Singapore

Containerterminal in Singapur. Der kleine Stadtstaat hat akute Raumnot. Wohnen in Hochhäusern ist daher eine Selbstverständlichkeit. Auch Industrieanlagen schießen empor.

(Foto: Edgar Su/Reuters)

"Die Versorgung der letzten Meile ist der Markt der Zukunft für uns. Kurze Lieferwege, kurze Lieferzeit, das ist der Trend", sagt Fleischer. Für diese Endversorgung zum Kunden in die Enge der Innenstädte gibt es aus seiner Sicht nur zwei Möglichkeiten: Entweder man baut unterirdisch oder mehrgeschossig. "Dieses Konzept des mehrgeschossigen Lagerbaus hatten wir bislang in Europa nicht, weil wir keine Flächenknappheit hatten. Mit dem Online-Handel ist das nun anders geworden", sagt Fleischer.

Was in Deutschland neu ist, ist anderswo längst Normalität. In Asien baut man Lager nicht nur aus Platzmangel mehrere Stockwerke hoch, sondern auch wegen des besseren Kosten-Nutzen-Verhältnisses. Bei eingeschossigen Lagern ist dieses Verhältnis am schlechtesten von allen Gewerbeimmobilien. "Wenn man mehr bauen kann auf ein und demselben Stück Land, kann man die Kosten auf eine größere Flächennutzung verteilen. Dadurch wird der Betrieb am Standort wirtschaftlicher", sagt Dennis Yeo, der als Managing Director des Immobilienberatungsunternehmens CBRE in Singapur für den Bereich Industrie- und Logistikimmobilien in Asien zuständig ist.

In den asiatischen Megastädten mit wenig Platz baut man Lager bis zu 17 Stockwerke hoch, wobei die Etagen im Schnitt zwischen fünf und zehn Metern hoch sind. Die meisten der neueren Projekte haben fünf bis sieben Stockwerke. Die Lagerfläche erreicht nicht selten 300 000 Quadratmeter und mehr. Diese 50 bis 70 Meter hohen Gebäude sehen aber längst nicht mehr wie die grauen Boxen aus, als die Lager hierzulande üblicherweise daherkommen. Viele Städte fordern eine attraktive Bauweise, die sich der urbanen Umgebung gut anpasst. In Singapur, das sich gerne als Garten-Stadt präsentiert, gehört dabei immer auch eine Begrünung dazu. Noch sind die Logistikimmobilien in Singapur in der Nähe von Hafen und Flughafen angesiedelt. Wegen des zunehmenden E-Commerce sieht Yeo aber auch bald erste Lager in City-nähe entstehen. "Durch E-Commerce ändern sich die Lagen der Lager, aber auch ihre Konfigurationen. Die Kunden erwarten eine schnelle Belieferung. Deshalb werden immer mehr Lagerhallen dahin kommen, wo die Bevölkerungsdichte hoch ist", sagt Yeo.

Das Maß aller Dinge

Lagerhallen nach oben bauen? In Deutschland? Ja, das könnte kommen, sagen Experten, die vom Analyseunternehmen Bulwiengesa befragt wurden. In der neuen Studie "Logistik und Immobilien 2016", für die Marktbewegungen ab 2011 untersucht und nach verschiedenen Themenbereichen ausgewertet wurden, kamen Projektentwickler und Kreditgeber zu Wort. Die Projektentwickler, die sich ständig mit den Klagen über Flächenknappheit auseinandersetzen müssen, sehen in mehrgeschossigen Gebäuden durchaus eine mögliche Lösung; sie stimmten der These, dass sich solche Bauten hierzulande durchsetzen werden, zu zwei Dritteln zu.

Kreditgeber und Kritiker sehen das anders. Sie verweisen auf die dann deutlich höheren Baukosten, die auf den Mieter umgelegt werden müssten. Angesichts der hohen Kostensensibilität der Logistiker sei dies kaum durchsetzbar. Außerdem benötige eine Logistikimmobilie keine exakte Lage, sondern habe Spielraum bei der Grundstücksauswahl. Und schließlich beschränkten viele Bebauungspläne die Höhe - das Genehmigungsverfahren stelle selbst für reguläre Hallen schon eine Hürde dar.

Mehrgeschossigkeit ist also zumindest für Projektentwickler vorstellbar. Und wie sieht es mit völlig neuen Gebäudetypen aus, zum Beispiel Logistikobjekten, die sich über die Autobahn spannen? Eine solche Zukunftsvision halten die meisten für unrealistisch. Die funktionale viereckige Halle bleibe für die meisten das Maß aller Dinge. Das Fazit der Bulwiengesa-Experten: Besondere Objekte bleiben Einzelfälle oder laufen unter dem Schlagwort Marketing. Auch hier gelte, dass neue Konzepte stets mit vertretbaren Kostenstrukturen einhergehen müssten. Aber die Fachleute schieben noch einen Satz nach: "Auf der anderen Seite hat vor 20 Jahren auch noch niemand seine Bücher oder Windeln online gekauft." Die Logistikhalle wird in den nächsten fünf bis zehn oder sogar 15 Jahren nicht großartig anders aussehen als die von heute, heißt es dennoch in der Analyse. Es werde eher eine sanfte Evolution geben als eine Revolution. Die Veränderungen beträfen eher die Intralogistik oder die Lagerverwaltungssysteme, also die "inneren Werte". Marianne Körber

In der Vergangenheit wurden die Waren in den mehrgeschossigen Lagerhäusern immer über Lastenaufzüge an ihren Lagerplatz gebracht. Neuerdings werden sie durch Rampen ersetzt, über die Lkw ihre Fracht gezielt in eine Etage bringen oder von dort abholen. Das hat vor allem Kostenvorteile. Man spart die Wartung der Aufzüge und den Strom für ihren Betrieb. Außerdem entfallen lange Wartezeiten vor den Aufzügen. "Mithilfe der Rampen wird jede Etage in einem mehrstöckigen Lagerhaus zu einem Erdgeschoss", sagt Yeo. Und dieses "Erdgeschoss" bietet einem Nutzer alle Freiheiten, die eine ebenerdige Lagerhalle auch bietet. Nicht selten findet man in einem mehrstöckigen Lagerhaus mehrere Nutzer, die jeweils nur eine Etage mieten. Andreas Fleischer von Segro sagt: "Logistik findet horizontal statt. Jede Ebene muss daher über eine Rampe anfahrbar sein. Das ist dieselbe Logik wie im Wohnungsgeschossbau."

Die 50 bis 70 Meter hohen Gebäude sehen längst nicht mehr wie graue Boxen aus

Kuno Neumeier, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Logivest, ist skeptisch, ob sich das Konzept auch in Deutschland durchsetzen wird. Er begründet seine Zweifel vor allem mit den Kosten. Zwar seien die Flächen tatsächlich mancherorts knapp, doch noch immer sei Grund und Boden hierzulande um ein Vielfaches günstiger als in den dicht besiedelten asiatischen Metropolen - zu günstig, als dass sich die hohen Baukosten für ein mehrgeschossiges Lager rechneten. Sollte sich aber zeigen, dass der Bedarf tatsächlich bestehe, durch E-Commerce beispielsweise, würden diese Immobilien auch gebaut. "Je mehr Player mitspielen, desto mehr Spezialisten wird es geben. Das ist eine große Chance für jeden Entwickler", sagt Neumeier.

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