Städtebau:Großer grüner Apfel

New York will die erste umweltverträgliche Metropole werden. Mit einem Park der sehr besonderen Art ist ein erster Schritt dazu gemacht.

Tobias Moorstedt

Der Eingang zum Paradies sieht noch ein bisschen mitgenommen aus. Auf der 13ten Straße im New Yorker Meatpacking District liegen schwarze Müllsäcke herum, die glänzen wie ein Rudel fetter Käfer. Ein paar Meter weiter eine verlassene Baustelle; Kies, Kopfsteine, rotes Plastik, und der fleischverarbeitende Betrieb von nebenan hat mal wieder einen Haufen Knochen auf der Straße vergessen. Die Fliegen freut's.

Sehr langsam dringen Cafés, Boutiquen und andere Gentrifizierungsunternehmungen in die raue Gegend am Hudson River vor. Und geht man unter der High Line entlang, einer Hochbahn aus den 1930er Jahren, fühlt man sich unter all den schwarzen Pfeilern und Bolzen, als spanne sich ein Himmel aus Eisen über einem auf.

2000 x 20 Meter

Dann aber führt einen eine Treppe ins urbane Paradies: Auf den ehemaligen Gleisen der Hochbahn existiert seit ganz kurzem ein öffentlicher Park. Ein gut zwei Kilometer langer und gerade mal 20 Meter breiter Grünstreifen, der sich nun in etwa zehn Metern Höhe in Richtung Uptown schlängelt wie ein Mischwesen aus Stahl und Biomasse.

Zwanzig Jahre lag die Hochbahn verlassen da, bis sich Ende der 1990er Jahre die Bürgerinitiative "Friends of the Highline" gründete, die sich gegen einen Abriss und eine rein kommerzielle Nutzung engagierte - bei den mittlerweile legendären Benefizkonzerten spielte unter anderem David Bowie. Aus der Schnapsidee ist ein 140-Millionen-Dollar-Projekt geworden. "Es ist ein Wunder, dass dieser Park gebaut wird", schreibt die New York Times. Bürgermeister Michael Bloomberg hat sich das Projekt nach anfänglicher Skepsis angeeignet und verkauft es nun als Teil seines groß angelegten Plans, die Stadt grüner zu machen und ihre Straßen, Menschenströme und Informationsleitungen neu zu verdrahten.

Stadtsavanne und Dinosaurier

Im Masterplan "PlanNYC 2030" schlug Bloomberg 127 Maßnahmen vor, um New York zur "ersten umweltverträglichen Stadt des 21. Jahrhunderts" zu machen; vom Umbau des Times Square in eine Fußgängerzone, über die Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Hybridautos bis zur Kultivierung von Miesmuscheln in den Flüssen war alles dabei. Mit einigen besonders radikalen Projekten wie der City Maut oder dem autofreien Samstag ist Bloomberg allerdings gescheitert (Grün ist in New York auch immer noch die Farbe des Green Buck, des Dollar-Scheins).

Der Highline Park ist ein weltweit einmaliger Höhen-Park, der urbane Dichte und ländliche Entspannung vereint. "Wir haben versucht, die industrielle Linearität und den Pragmatismus der Bahn mit wilden Pflanzen zu kombinieren", sagt James Corner, Leiter der Landschaftsarchitektenfirma Field Operations. Corner hat mehrere Vegetationszonen angelegt. Da wandelt man auf Höhe der 14ten Straße durch einen lichten Birkenwald, später durch eine Stadtsavanne, blühende Zierobstbäume wechseln sich ab mit Wiesenkräutern.

Immer wieder entdeckt man auch Überreste der alten Schienen, den Fußabdruck eines Dinosauriers, eine Spur aus einer lange vergangenen Zeit. Moos, wilder Wein und Blumen sind mit Stahl, Beton und Industriekies gemischt. Eine allzu liebliche Bio-Choreographie hätte auch nicht in den industriellen Meatpacking District gepasst.

Der Park folgt natürlich auch einem Businessplan. Vier Milliarden Dollar werden in den nächsten Jahren an der Hochbahn entlang investiert, neben einem neuen Gebäude des Whitney-Museums entstehen auch Wohn- und Bürotürme, die unter anderem von Jean Nouvel, Annabelle Selldorf oder Renzo Piano geplant werden.

Times Square für Müßiggang

Bereits fertig ist das Standard Hotel New York, ein kantiger und gleichzeitig eleganter 20-stöckiger Turm aus Glas und Beton, der auf drei schweren Pfeilern über dem Park schwebt. Die Firma Polshek & Partner hat ihn für den Hotel-Magnaten André Balazs entworfen, der auch das Mercer in SoHo und das Chateau Marmont in Los Angeles betreibt. Balazs ist bekannt dafür, dass er mit Möbeln, Farben und Accessoires eine Geschichte erzählt. Diesmal ließ sich Balazs von den 50er und 60er Jahren beeinflussen, "der Zeit von Le Corbusier und den großen Architektur-Visionen".

Liegestühle auf der Mega-Kreuzung

"Wir bauen hier die Stadt der Zukunft", sagt Balazs - und nicht nur der Satz, sondern auch der Hotelquader erinnern an die funktionale Moderne. Anders als die Planer der 60er Jahre will Balazs die Menschen nicht aus dem Blick verlieren und hat aus dem Hotel keinen abgetrennten Raum für die Reichen gemacht, sondern mit dem urbanen Kontext verzahnt - durch öffentlich zugängliche Bereiche, einen Platz vor der Lobby und eine spektakuläre Bar im 19ten Stock. "Ein gutes Hotel", sagt der Hotelier, "ist der Anker einer Gemeinde."

Vor zwei Wochen sperrten Polizisten mit roten Kegeln und gelbem Plastikband den Broadway am Times Square ab, zwischen 42ster und 47ster Straße, für die Totalschließung des vielleicht hektischsten Orts der Welt. "Es ist ein wichtiger Schritt, um die Staus auf Straßen und Bürgersteigen zu beseitigen", sagte die Verkehrsbeauftragte Janette Sadik-Khan, "außerdem ist es gut fürs Geschäft."

500 Liegestühle stehen nun auf der ehemaligen Mega-Kreuzung. Im New York Straßenalltag, in dem es kaum Ruhezonen und Aussichtspunkte gibt, sind der High Line Park und der Times Park neuartige Orte.

New York mag niemals schlafen, aber hier kann sich die Stadt wenigstens ein wenig ausruhen.

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