Stadtsanierung München (3):Frischluft für ein morsches Viertel

Die Herbergshäuser in Obergiesing sind 150 Jahre alt, manche seit 30 Jahren unbewohnt. Eine Sünde, denken sich Handwerker, die die kleinen Häuschen vorzugsweise wieder aufmöbeln und dann einziehen.

Von Bernd Kastner

Vor einem Jahr ist Nikolaus Herzog zum ersten Mal reingegangen. Die Tür war lange nicht mehr geöffnet worden, die Luft war abgestanden. Herzog ist die Treppe hoch gegangen in den ersten Stock, dann weiter unters Dach des Hauses, das vor gut 150 Jahren gebaut wurde und seit 30 Jahren unbewohnt ist.

Er hat den alten Atem des Hauses eingesogen, und da war klar: Das und kein anderes! "Mir hat's so, wie's dagestanden ist, einfach gefallen", sagt Herzog.

Heute gehört ihm das Herbergshaus in der Kiesstraße 4 in Obergiesing, das sich versteckt, wie die gesamte Feldmüllersiedlung, hinter dem Karstadt-Klotz an der Tegernseer Landstraße. Seit Monaten renoviert der neue Eigentümer, im kommenden Frühjahr will er mit Frau und Tochter einziehen.

Nikolaus Herzog, 38, kennt das Viertel aus seiner Kindheit, ist Steinmetzmeister von Beruf und weiß mit Steinen und Häusern und ihrer Geschichte umzugehen.

Die MGS, die Münchner Gesellschaft für Stadterneuerung, verkauft ihre Feldmüller-Häuser nur an Interessenten wie Herzog, weil Handwerker die Siedlung wieder beleben sollen, die ihren Namen einer gewissen Therese Feldmüller verdankt.

Sie erwarb das Areal und verkaufte, wenn sie in Geldnot war, Stück für Stück des Areals als Bauplatz an Tagelöhner. Gut 140 Jahre später kaufte die MGS einige Häuschen auf, 1984 erklärte der Stadtrat das Viertel zum Sanierungsgebiet. Seither hat die Stadt 2,5 Millionen Euro in die einst marode Siedlung gesteckt.

Das Viertel besteht aus Kleinhäusern, die typisch sind für die Bebauung entlang des östlichen Isarhangs und in denen einst Handwerker und Tagelöhner lebten.

Frischluft für ein morsches Viertel

In der Kiesstraße 4 haben ursprünglich zwei Familien gewohnt, und nachdem das Haus 1904 um eine Etage aufgestockt wurde, ist wahrscheinlich eine dritte eingezogen. Drei Familien auf 70 Quadratmeter Wohnfläche. 80.000 Euro hat das Anwesen mit dem 90 Quadratmeter großen Grundstück gekostet, dazu kommen gut 150.000 Euro für die Sanierung. Herzog ist mit dem Rohbau fertig und er hat viel selber gemacht.

Der Dachstuhl ist schon neu gemacht, auch die drei Kastenfenster im Parterre, aus der Unterseite der Holztreppe schauen noch die Schilfmatten heraus, die Türen sind abgeschliffen, aber noch nicht gestrichen. Herzog hat es die "sparsame Charakteristik" des Hauses angetan, seine Formensprache, die geprägt ist vom konstruktiven, geometrisch ausgerichteten Jugendstil, der all die Jahrzehnte überdauert hat.

Auf einer Seite des Gebäudes zieht sich ein winziger Garten nach hinten, wo ein alter Ahorn steht. Herzog hat die Wurzeln mit einer Schutzfolie umwickeln lassen, um das Haus zu schützen und den Baum leben zu lassen.

Nikolaus Herzog führt seinen Besucher auf das Karstadt-Parkdeck, von wo aus man einen guten Überblick über das Quartier hat. Ein paar unsanierte Häuser und Hinterhöfe voller Verhau künden noch von den vergangenen Jahrzehnten der Siedlung, die sie heute so sympathisch machen.

Es sind aber vor allem die bunten Fassaden, die einem ins Auge springen und die schmalen Straßen heiter wirken lassen.

Herzog aber ist nicht so glücklich über die leuchtende Dispersionsfarbe an den Wänden. Für den Steinmetz widerspricht das beständig Bunte der Historie. Er liebt Kalkanstrich, sagt er. Weil der lebt und sich nur so diese fürs Viertel charakteristische Patina bildet.

Und so sieht er die Sanierung mit gemischten Gefühlen. Weil Gewachsenes und Erlebtes verloren gegangen ist und noch weiter verschwinden wird. Weil aber, ließe man alles, wie es ist, bald gar nichts mehr übrig wäre.

Herzog spaziert durch die Untere und die Obere Grasstraße, zeigt auf eine verblichene Fassadenaufschrift, die von einem alten Wirtshaus kündet, erzählt von kleinen Kramerläden und Handwerksbetrieben, die einst in den Häusern waren. Ein paar Handwerker sind zurückgekehrt, die meisten Gebäude aber sind reine Wohnhäuser.

Herzogs Nachbarhaus wird auch gerade hergerichtet, auch dort zieht eine Familie ein. Auf der Straße spielt ein Mädchen mit seiner Mutter Federball, bald wird auch Herzogs siebenjährige Tochter hier spielen. So zieht nach und nach neues Leben in die Siedlung, und mit ihm die Chance, dass wieder etwas wachsen wird, was in vielen Jahren alt und charmant sein wird. Mit jener Patina, die Nikolaus Herzog so liebt.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: