Stadtplanung:Wie ein Schwamm

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Stadtplaner müssen sich immer mehr mit dem Klimawandel auseinandersetzen. In Berlin soll ein Quartier entstehen, das auf Hitze und Starkregen besonders gut vorbereitet ist.

Von Lars Klaaßen

Etwa 843 Stunden hat die Sonne von Anfang Juni bis Ende August 2018 in Berlin geschienen, an manchen Tagen wurde es bis zu 37 Grad heiß. Südlich der Hauptstadt führten Trockenheit und Hitze zu Waldbränden, deren Rauch und Gestank man noch im Zentrum wahrnehmen konnte. Ein Jahr zuvor sah der Himmel über Berlin ganz anders aus, es kam ein Jahrhundertregen herab - innerhalb von 18 Stunden schüttete es so viel Wasser vom Himmel wie sonst innerhalb eines Vierteljahres. Solche Extreme werden künftig öfter auftreten, nicht nur in Berlin. Darauf adäquat zu reagieren, stellt Stadtplaner wie Architekten vor eine anspruchsvolle Aufgabe. Ein Konzept hierfür heißt "Schwammstadt": Die Metropole soll in der Lage sein, bei Starkregen viel Wasser aufzunehmen und dieses bei Hitzeperioden zur Kühlung zu nutzen. Dabei spielen entsprechend konstruierte Häuser eine wichtige Rolle.

Der Prototyp für eine "Schwammsiedlung" soll in einigen Jahren auf dem Gelände des Flughafens Tegel entstehen. Der Airport wird - nach aktueller Planung - im Oktober 2020 geschlossen. Danach ist dort Platz für neue Stadtquartiere. In einem davon, dem Schumacher Quartier, sind 5000 Wohnungen für etwa 10 000 Menschen geplant - mit dazugehörigen Einrichtungen wie Schulen, Kitas, Sportanlagen und Geschäften. Auf dem 48 Hektar großen Areal soll ein "Leitplan Regenwasser und Hitzeanpassung" umgesetzt werden. Das Ziel ist, ein "abflussloses Siedlungsgebiet" zu entwickeln.

Die Flächen sollen so wenig wie möglich versiegelt werden

"Um mit der Regenwasserbewirtschaftung einen möglichst hohen Beitrag zur Kühlung des Stadtquartiers zu erzielen, soll das Wasser möglichst lange im Gebiet gehalten werden und möglichst langsam verdunsten", sagt Philipp Bouteiller, Geschäftsführer der Tegel Projekt GmbH. Dazu werden einerseits Grünanlagen angelegt, da diese Wasser gut aufnehmen können und über Blattoberflächen eine gute Verdunstung erreichen. Der gesamte öffentliche Straßenraum soll so gering wie möglich versiegelt werden. Zudem spielen begrünte Hausdächer eine wichtige Rolle: Regenwasser kann auch dort aufgenommen werden - und später verdunsten. Reichen hier die Kapazitäten nicht, wird überschüssiges Wasser auf entsprechende Flächen in die Innenhöfe geleitet, wo es verdunstet oder versickert. "Zusätzliche Potenziale der Kühlung können durch nach Süden orientierte Fassadenbegrünung und bepflanzte Innenhöfe aktiviert werden", so Bouteiller. "Als ergänzende Module der Regenwassernutzung ließen sich außerdem Zisternen für die Bewässerung der Grünflächen und für das Brauchwasser der Haustechnik installieren."

Das Besondere am Schumacher Quartier ist die Kombination verschiedener Module, mit denen Stadtplanung und Hausbau ineinandergreifen. Begrünte Dächer kommen beispielsweise bereits an vielen Orten zum Einsatz, in Berlin werden aber auch neue Lösungen entwickelt. So soll auf begrünten Dächern vor allem in den trockenen, heißen Perioden möglichst viel Wasser verdunsten, um einen Kühlungseffekt zu erzielen. Doch gerade im Hochsommer müssen Pflanzen in der Regel mit frischem Wasser gegossen werden. Ökologisch besser ist es, wenn ein Gründach zuvor aufgefangenes Regenwasser lange genug speichert. Dies erreicht eine speziell dafür entwickelte Pflanzengemeinschaft in Kombination mit einer dafür ausgelegten Bewässerung. Solch eine Pflanzengemeinschaft haben Forscher bei einem Projekt der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) in Zusammenarbeit mit der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf zusammengestellt. Das Unternehmen Zinco hat auf dieser Basis ein "Klima-Gründach" entwickelt. Technisches Kernelement ist ein Aquafleece, auf dem im Abstand von etwa 50 Zentimetern Tropfschläuche mit Klettbändern befestigt sind. Bleiben natürliche Regenfälle aus, wird über eine automatische Steuerung bewässert. "Das Wasser aus den Tropfschläuchen wird durch den zweischichtigen Aufbau des Aquafleece zuerst in der Fläche verteilt", erläutert Roland Appl, Technischer Leiter bei Zinco. "Das unterseitige dichte Gewebe des Aquafleece lässt Wasser erst dann durchtropfen, wenn das oberseitige Vlies flächig wassergesättigt ist." Dank einer pulsierenden, also kurzzeitigen Bewässerung in geringen Zeitabständen, stehe kontinuierlich Wasser zur Verfügung.

Künftig könnte man auch Pflastersteine zur Kühlung nutzen

Statt Pflanzen könnten sich künftig auch Steine zur Kühlung nutzen lassen. Im Rahmen eines vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderten Verbundvorhabens wurde vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik (IBP) in Kooperation mit der Bundesanstalt für Materialprüfung sowie Industriepartnern ein neuartiges Konzept hierfür entwickelt. Die Grundidee besteht darin, in Pflastersteinen einen Wasserspeicher zu integrieren. Das dort eingelagerte Wasser wird bei hochsommerlichen Randbedingungen bei Bedarf an die Steinoberfläche transportiert und kühlt durch die aufgenommene Verdunstungsenthalpie die Steinoberfläche ab. "So soll eine mögliche Wärmeeinlagerung in die Betonschicht gleich bei der Entstehung verhindert werden, welche in den Abendstunden und nachts die erforderliche Auskühlung oft stark abschwächt", erläutert Hans Erhorn, Abteilungsleiter für Energieeffizienz und Raumklima am IBP.

Der positive Effekt: Menschen empfinden die geringere Temperaturdifferenz zwischen sich und dem Pflaster als deutlich behaglicher. "Erste Messungen hatten gezeigt, dass je nach Randbedingungen eine Temperaturminderung in der Größenordnung von zehn Kelvin realistisch erscheint", berichtet Erhorn, "was näherungsweise dem Temperaturunterschied zwischen einer trockenen Betonoberfläche und einer Grasfläche zur Mittagszeit entspricht."

© SZ vom 27.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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