Stadtplanung:Grüne Kompaktklasse

Gleisdreieck Berlin

Ökologisch wertvoll und gleichzeitig urban: Der Park Gleisdreieck in Berlin.

(Foto: Mario Ziegler)

Auch in Deutschland müssen sich Ballungsräume auf steigende Temperaturen einrichten. Doch Grünflächen konkurrieren immer öfter mit dem Wohnungsbau.

Von Lars Klaaßen

Schmelzende Polkappen und versinkende Südsee-Atolle: Das scheint weit weg zu sein. "Aber schon in naher Zukunft wird die globale Erwärmung sich vor allem in den Ballungsräumen extrem bemerkbar machen", sagt Wilfried Endlicher. Der Professor am Geografischen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin forscht über Umwelt und Natur in großen Städten. Im Mittelpunkt stehen dabei Fragen der Stadtklimatologie und der urbanen Luftqualität durch Feinstäube. Hohe Temperaturen, Hitzewellen und starke Temperaturschwankungen innerhalb kurzer Zeit gefährden zunehmend auch die Gesundheit in Deutschland. "Der Sommer 2015 mit regelmäßigen Spitzen von über 35 Grad gilt für bisherige Verhältnisse in Deutschland als heiß, Mitte des 21. Jahrhunderts werden solche Temperaturen statistisch einen Mittelwert darstellen", so Endlicher. "Falls wir uns daran nicht anpassen, erleben wir in der Zukunft eine Vervielfachung hitzebedingter Todesfälle."

Nachverdichtung und Ökologie müssen kein Widerspruch sein

Der extremen Hitzeentwicklung in dicht bebauten Städten können Schneisen entgegenwirken, die frische Luft aus dem Umland in die City leiten und Grünanlagen als Inseln, die das Klima abkühlen. Diese grünen Lungen produzieren Sauerstoff, filtern Stäube und Schadstoffe und verbessern dadurch das Klima in der Umgebung. Allerdings nimmt die Konkurrenz um die Flächen zu. Vor allem die hohen Mieten und Preise heizen die Märkte an. "Wenn der Mietwohnungsbau nicht verdoppelt wird, dann wird sich die Mietwohnungslücke drastisch vergrößern", so das Eduard Pestel Institut für Systemforschung. "In den kommenden fünf Jahren müssen mindestens je 400 000 neue Wohnungen gebaut werden."

Nachverdichtung und Ökologie müssen sich aber nicht widersprechen. "Weil in der Fläche wuchernde Ballungsräume wertvolle Naturräume zerstören, ist es nicht nur wohnungspolitisch, sondern auch ökologisch angesagt, Städte zu verdichten - auch durch Aufstockung bestehender Gebäude", sagt Barbara Ettinger-Brinckmann, Präsidentin der Bundesarchitektenkammer (BAK). Die Baunutzungsverordnung orientiere sich zwar noch an der Charta von Athen, in der 1933 die gegliederte, aufgelockerte Stadt zum Maßstab erhoben worden ist. "Doch die darauf basierenden Stadtstrukturen haben einen zu hohen Flächenverbrauch." Die BAK-Präsidentin plädiert für das Leitbild der europäischen Stadt, die kompakt ist und dadurch weniger Ressourcen verbraucht. Doch dort, wo Lücken geschlossen werden sollen, regt sich meist Widerstand der Anwohner. Hier ein günstigeres "soziales Stadtklima" zu schaffen, sagt Ettinger-Brinckmann, sei eine wichtige kommunale Aufgabe.

Immer öfter werden Fassaden und Dächer begrünt. In der Bauordnung Baden-Württembergs ist das sogar verpflichtend. Ein schöner Nebeneffekt: Es entsteht Grün in der Stadt, ohne dass Pflegekosten die kommunalen Kassen belasten. "Grüne Fassaden und Dächer können generell zur Verbesserung des Stadtklimas beitragen", sagt Ettinger-Brinckmann. "Doch bislang fehlt uns eine empirische Datenbasis, die breit genug ist, um daraus Schlüsse zu ziehen." Hier müsse in der Praxis künftig deutlich mehr geschehen, da seien vor allem qualifizierte Stadtplaner, Architekten und Landschaftsarchitekten gefragt, um die gewünschten Effekte zu erzielen.

Laut Werner Neumann, Energieexperte des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), hält sich die Wirkung von Dach- und Fassadenbegrünung in Grenzen: "Bei Gebäuden entscheidet vor allem die Dämmung und die Effizienz der Wärmeversorgung über die Umweltbilanz." Das Stadtklima werde nicht von begrünten Häusern, sondern von großen Parks entscheidend beeinflusst. Eine erhebliche Rolle können Straßenbäume spielen: Sie verschatten im Sommer die Häuser zur Kühlung und lassen im Winter das Sonnenlicht zum Heizen durch. "Bäume in der Stadt begrenzen die Aufheizung, erzeugen Sauerstoff, binden Kohlendioxid und Luftverunreinigungen", sagt Neumann. "Es ist mehrfacher Klimaschutz, der zudem dem Wohlbefinden dient."

Wo früher Güterzüge fuhren, befindet sich heute ein großer Park

"Eine enorm positive Auswirkung auf das Klima in der Stadt haben vor allem kleine und mittlere Grünflächen, wenn Sie nach Größe und Gesamtzahl angemessen im urbanen Raum verteilt sind", betont Ursula Heinen-Esser, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau. "Schon Parks mit der Fläche eines Fußballplatzes entfalten eine große Wirkung auf das umliegende Quartier." Doch auch bei Flächen dieser Größe kommt es schnell zum Konflikt: Grünanlage oder Wohnungsbau? "Im urbanen Raum gibt es viele Flächen, die umgenutzt werden können, von Brachen bis hin zu ehemaligen Verkehrswegen", sagt Heinen-Esser. "Da haben Stadtplaner oft kreativen Spielraum." Der wurde in New York etwa bei der High Line genutzt. Die gut 2,3 Kilometer lange Trasse wurde früher von Güterzügen befahren. Sie verläuft durch das westliche Manhattan und wurde zwischen 2006 und 2014 zu einer Parkanlage umgebaut, dem High Line Park. Das Konzept könnte Vorbild für den ehemaligen S-Bahnhof Olympiastadion in München und die von dort abgehende Trasse sein. 2011 hat die Stadt München das Areal erworben, künftig sollen hier Radwege durchführen.

Kurze Wege zu Grünanlagen erhöhen einerseits die soziale Qualität der Stadt: Liegeweisen und andere Nutzungsmöglichkeiten sind gerade in Ballungsräumen gefragt - mit ökologischen Anforderungen hat das aber nur bedingt zu tun. "Oft lässt sich aber eine multifunktionale Lösung finden", sagt Till Rehwaldt, Präsident des Bundes Deutscher Landschaftsarchitekten. "Das ist bei knappen Flächen effizienter, als funktional getrennte Sektoren anzulegen."

In Berlin wurde dieser Mix auf alten Bahnhofsflächen kreiert, etwa am ehemaligen Nordbahnhof: Das Areal befindet sich auf dem ehemaligen Todesstreifen. Dort entwickelte sich nach dem Mauerfall eine Vegetation aus Birken und berlintypischen, steppenartigen hohen Gräsern, die Lebensraum für viele Vögel und andere Kleintiere bietet. Diese "große Wiese" wurde im 2009 eröffneten Park erhalten. Es wurden darin einzelne Inseln eingelassen, die über Metallstege mit den Hauptwegen verbunden sind. Hier finden sich Spiel- und Sportangebote sowie Erholungsplätze. Kuben aus Sandsteinen und Granitborden schaffen Lebensräume für verschiedene Kleintiere.

In Chemnitz sind Stadtklima und die Entwicklung von Grünflächen ein zentraler Bereich der übergreifenden Stadtplanung. "Schon seit den Neunzigerjahren sind ökologische Aspekte fester Bestandteil unserer Gesamtplanung", sagt Carina Kühnel, Abteilungsleiterin im Umweltamt Chemnitz. "Das Stadtentwicklungskonzept 2020 orientiert sich an topografischen Leitlinien wie den Fluss- und Bachtälern, stadtökologische Rahmenbedingungen dienen dabei der Orientierung." Der Fluss Chemnitz wurde in der Innenstadt wieder freigelegt, seine Ufer begrünt. Die Stadt hat einzelne Grundstücke erworben, um dort Grünflächen zu schaffen. Gleichzeitig sind aber auch im Zentrum neue Wohnhäuser geplant, um die Stadt kompakt zu halten. Ein vernetztes System von dauerhaften Grün- und Freiflächen zieht sich durch die ganze Stadt und entlang verschiedener Achsen bis ins Umland. "Solche Frischluftschneisen sind wichtig, weil die Stadt in einem Tal liegt", erläutert Kühnel. Die Grünzüge spielen auch eine Rolle im Verkehrskonzept, sie dienen als Achsen des Radwegenetzes. Die klimagerechte Stadt verbindet Grünplanung mit Wohnungs- und Verkehrspolitik zu einem integrierten Konzept.

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