Stadtplan München:Bücher, Blumen, Brunnen

Weißenburger Str

Der Weißenburger Platz ist im Sommer eine bunte Oase. Im Dezember gibt es Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt.

(Foto: oh)

Die Weißenburger Straße in Haidhausen versprüht französisches Flair.

Von Ingrid Weidner

Die dichten Kronen der Kastanienbäume spenden in der Sommerhitze Schatten, wenn Fahrgäste am Rosenheimer Platz den Aufgang zum Weißenburger Platz wählen. Gleich neben der Treppe erwartet sie ein üppiges Angebot an frischem Obst, Gemüse und Blumensträußen. "Wann hat die Oma mit dem Stand angefangen?", fragt die junge Frau ihren Cousin, der gerade die langen Stiele der Artischocken kürzt. Vor mindestens 40 Jahren, schätzen die beiden. Die Weißenburger Straße beginnt dort münchnerisch gemütlich und quert das Viertel bis zum Ostbahnhof.

Zur Mittagszeit werden dort freie Plätze an den Tischen der Straßen-Cafés und Restaurants rar. Manche nutzen den nur wenige Meter entfernten Weißenburger Platz als Alternative. Als Erstes fällt dort der mächtige Brunnen auf, der einst den Glaspalast im Alten Botanischen Garten zierte und dann in den Münchner Osten verfrachtet wurde. Immer am Dienstagvormittag finden hier die Stände des Wochenmarktes Platz, im Winter liegt Glühweinduft in der Luft. Am schönsten ist es jetzt im Sommer, wenn die Blumenbeete angelegt sind und sich das Wasser des Brunnens über die Kaskaden plätschernd seinen Weg bahnt. Eigentlich bleibt der Platz den Fußgängern vorbehalten, auch wenn das großzügige Rund genügend Raum für Radfahrer lässt, die einen sicheren Weg zur Rosenheimer Straße suchen. Regelmäßig springen dort Politessen und Politeure hinter den Büschen hervor, um die Ahnungslosen zu stoppen und abzukassieren.

Die Weißenburger Straße säumen viele Restaurants und Einzelhändler. Vor zehn Jahren mietete Thomas Voglgsang eine leer stehende Bäckereifiliale und eröffnete dort "Buch & Töne". Das Konzept, modernes Antiquariat mit einer Sortimentsbuchhandlung zu kombinieren, etablierte sich. "Ich betreibe einen großen Aufwand, um meinen Kunden ein handverlesenes Angebot zu bieten", berichtet er. Vor den zwei großen Schaufenstern des Ladens stehen Büchertische, drinnen stapeln sich Romane für Literaturjäger und Bildbände für Sammler. Wenige verlassen das Geschäft ohne neue Lektüre. "Der Laden hat sich als verlängertes Wohnzimmer im Viertel etabliert. Zu uns kommen alle, vom Professor bis zur Hausfrau", sagt der Buchhändler. Voglgsang fühlt sich im sogenannten Franzosenviertel von Haidhausen wohl. Die sternförmige Straßenordnung mit ihren Plätzen erleichtere die Orientierung. "Das macht sich auch am Lebensgefühl bemerkbar. Die Leute hier sind offen."‟

Der Oberbaurat Arnold von Zenetti plante das Quartier nach französischem Vorbild

Entworfen hat das Quartier der städtische Oberbaurat Arnold von Zenetti in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ausgangspunkt der Stadterweiterung war der Bau des Ostbahnhofs. Profiteur dieser Entwicklung war Baron Karl von Eichthal, der als Mitbegründer und Teilhaber der Ostbahnhofgesellschaft früh von den Plänen wusste und darauf setzte, dass der neue Bahnhof Industriebetriebe und Arbeiter anziehen würde. Also begann er, große Flächen des Ackerlands "An der Lüften" günstig zu kaufen, denn Wohnraum war auch damals knapp. Als 1871 der Bahnhof eröffnet wurde, waren die Pläne Zenettis für das neue Viertel bereits genehmigt. Zenetti, der auch das Schlachthofviertel im Münchner Süden geplant hatte, entschied sich in Haidhausen für einen am französischen Städtebau der Barockklassik orientierten Grundriss. Vom neuen Bahnhof ausgehend wählte er einen symmetrischen Dreistrahl mit Wörth-, Weißenburger und Belfortstraße.

Die Weißenburger Straße wurde als erste Straße angelegt und bebaut. Repräsentativer und großzügiger gestaltete Zenetti dagegen die als Symmetrieachse festgelegte Wörthstraße, die an einen Boulevard erinnern soll. Die Bürgerhäuser der Wörthstraße im Stil der Neurenaissance mit fünf Geschossen wirken imposanter als die viergeschossigen Mietshäuser im restlichen Quartier. Die Straßennamen erinnern an die unruhigen Zeiten des Deutsch-Französischen Kriegs von 1870/71.

Die Goldschmiedin Eveline Köhler zog vor zwölf Jahren mit "Köhler Schmuck" in die Weißenburger Straße, "eine richtige Geschäftsstraße mit viel Laufkundschaft und einer gesunden Mischung an Einzelhändlern", wie sie erzählt. Doch sie beobachtet auch genau die Veränderungen im Quartier. Von ihrem Schaufenster hat sie die gegenüber liegende Straßenseite im Blick. Dort räumte der Discounter "Norma" seinen Laden, und Filialen von "Kochhaus" und "Butlers" zogen ein. Daneben gibt es alteingesessene Geschäfte wie den "Damenfrisiersalon Zora" ein paar Häuser weiter mit seinem aus der Zeit gefallenen Schaufenster mit Stecktafel. Noch dominieren kleine Läden die Straße, doch zwei Bio-Supermärkte buhlen dort um Kundschaft, und auffallend viele Filialen von größeren Einzelhändlern für Brillen oder Mobiltelefone drängen in die Lücken.

In der Weißenburger Straße 28 absolvierte der junge Karl Valentin beim Schreinermeister Hallhuber eine Lehre, doch daran erinnert heute nichts mehr. Seinem berühmten Namen macht der Pariser Platz wenig Ehre, doch als Kreisverkehr erfüllt er seine Funktion. Anschließend mündet die Weißenburger Straße in den letzten Straßenabschnitt, der Ostbahnhof rückt ins Blickfeld. Noch mehr Brillen-, Mobilfunk- sowie Friseurläden drängen sich dort. Böse Zungen behaupten, dass das Niveau hier deutlich abfalle. Doch ein sechsgeschossiges Kaufhaus schließt die Straße mit einem unerwartet markanten Gebäude ab. "Kaufhaus des Ostens" nennen es die Haidhausener liebevoll spöttisch und umschreiben damit nicht nur die Nähe zum Ostbahnhof, sondern auch den Charme der Verkaufsräume treffend. Von den Schreibwaren im Keller über die Textilabteilung bis zu den Haushaltswaren im vierten Stock finden Käufer dort fast alles, vom Radiergummi über Sommerkleider bis zur Kaffeemaschine. In den oberen Etagen residiert ein Fitnessstudio.

Eigentlich füllte das "Kaufhaus Horn"‟ einst alle Etagen aus. Der Neubau entstand im Jahr 1966. Christian Horn kümmert sich heute um die Immobilie. Er erzählt, dass sein Großvater 1954 dort Verkaufsräume anmietete, und da das Geschäft mit Textilien gut lief, entschloss sich sein Vater für einen Neubau. "Wir lebten von der Landbevölkerung", erinnert er sich. Am Ostbahnhof kam die Kundschaft aus dem Umland an und musste in Bus und Tram umsteigen, um in die Innenstadt zu gelangen. Viele begannen ihre Einkaufstour im Kaufhaus Horn. Doch mit dem Bau von U- und S-Bahn änderte sich vieles. Erst vertrieb die Baustelle die Kundschaft, später fuhren die Vorstädter mit der S-Bahn direkt ins Zentrum. "Sieben Jahre Baustelle haben meinem Vater das Kreuz gebrochen", sagt Horn. Nach der Pleite des Kaufhauses 1976 behielt die Familie die Immobilie und fand schließlich neue Mieter.

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