Staatsanleihen:Nichts wie raus

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Anleger fliehen aus Anleihen schwacher Staaten. Es gibt nur noch eine Institution, die diese Papiere im großen Stil kauft: die Europäische Zentralbank. Künftig wird auf dem Anleihemarkt nichts mehr so sein, wie es war.

Harald Freiberger

So ernst war es schon lange nicht mehr: Nach den Zinsen für griechische, irische und portugiesische Anleihen sind am Mittwoch auch jene für italienische Papiere über die kritische Grenze von sieben Prozent gestiegen. Eine so hohe Schuldenlast kann ein Staat kaum mehr tragen.

Das Anleihen-Portfolion der EZB ist mittlerweile auf 181 Milliarden Euro gewachsen - und ein Ende ist nicht in Sicht. (Foto: ddp)

Die Gefahr wird immer größer, dass auch Italien unter den Rettungsschirm schlüpfen muss. Damit setzt sich der Niedergang einer Anlageklasse fort, die über Jahrzehnte für Investoren ein Fels in der Brandung war: die Staatsanleihe. Die Verwerfungen sind groß, eine schnelle Lösung ist nicht in Sicht. Eine Branche muss sich neu erfinden.

"Die großen Investoren haben kein Vertrauen mehr in die Schuldenstaaten, sie vermeiden jegliches Risiko", fasste ein Londoner Anleihenhändler am Mittwoch die Stimmung zusammen. In den vergangenen zwei Wochen, in denen Banken und Versicherungen ihre Quartalszahlen veröffentlichten, offenbarte sich das ganze Ausmaß des Dramas.

Egal ob Griechenland, Irland, Portugal, Spanien oder Italien - für die Anleger gibt es nur noch eine Devise: nichts wie raus. Allein die französische Großbank BNP Paribas stieß ein Viertel ihrer Anleihen von Schuldenstaaten ab, Gesamtwert 25 Milliarden Euro. Die britische Großbank Barclays hatte zuvor schon Ähnliches berichtet. Am Dienstag kamen auch Versicherer wie Allianz und Munich Re hinzu. Den Räumungsverkauf hatte vor Monaten die Deutsche Bank eingeläutet, die im zweiten Quartal 2011 allein ihr Italien-Engagement von acht Milliarden auf eine Milliarde Euro abbaute.

Auf der Gegenseite gibt es nur noch einen Abnehmer von Gewicht: Die Europäische Zentralbank (EZB) hat sich verpflichtet, die Anleihen der Schuldenstaaten zu übernehmen, um sie zu stützen. Das Portfolio ist mittlerweile auf 181 Milliarden Euro gewachsen, und ein Ende ist nicht in Sicht. Der Druck auf die Anleihen bleibt groß. Das zeigt allein ein Blick auf die Situation der Banken, die über Jahrzehnte mit die wichtigsten Abnehmer von Staatspapieren waren.

Der Ausverkauf der vergangenen Monate hat nicht nur damit zu tun, dass die Kreditinstitute einen weiteren Kursverfall bei den Staatsanleihen fürchten und deshalb ihr Risiko verringern. Es gibt auch einen regulatorischen Grund: Alles deutet darauf hin, dass Banken künftig für Staatsanleihen mehr Eigenkapital bereithalten müssen.

Die Zeit der sogenannten Nullgewichtung neigt sich dem Ende zu. Sie bedeutete, dass Banken Anleihen westlicher Industriestaaten kaufen konnten, ohne dafür auch nur einen Euro Eigenkapital vorhalten zu müssen. Die Anleihen galten regulatorisch als risikolos. Diese Zeiten sind mit dem Schuldenschnitt in Griechenland vorbei. "Die Nullgewichtung bei Staatsanleihen wird wegfallen, der politische Wille dazu ist unverkennbar", sagt Konrad Becker, Bankenanalyst bei Merck Finck. "Sie ist auch offensichtlich unsinnig geworden."

Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), eine Art Welt-Überbank, hat mehrfach signalisiert, sie werde künftig darauf achten, dass Banken ihre Risiken aus Staatsanleihen absichern. Details sind noch nicht bekannt, aber es ist wahrscheinlich, dass sich die Risikogewichtung an den Ratings von Ländern orientiert. Je schlechter ein Staat dasteht, umso mehr Eigenkapital ist für seine Anleihe nötig. Da aber viele Banken in akuter Kapitalnot sind, wie der jüngste Blitz-Stresstest gezeigt hat, stoßen sie die Anleihen lieber ganz ab, statt dafür vorsorglich Kapital zu bilden. Es ist ein klassischer Teufelskreis: Die Investoren verkaufen Anleihen, um ihre Risiken zu mindern, aber solange niemand Anleihen kauft, wird die Situation immer schlimmer. Denn die Schuldenstaaten müssen auslaufende Anleihen regelmäßig durch neue ersetzen.

Gibt es keinen Ausweg aus dem Teufelskreis? Alles hängt davon ab, ob es die Staaten schaffen, aus der Schuldenspirale herauszufinden. "Erst wenn die Politiker in Italien glaubhaft versichern, dass sie den Karren aus dem Dreck ziehen, werden die Investoren wieder Vertrauen fassen", sagt der Londoner Anleihenhändler. Doch dieser Prozess dürfte dauern. Analyst Becker erwartet, dass sich Banken kurzfristig weiter von Staatspapieren trennen werden. Dadurch fehlt ihnen auch eine günstige Einnahmequelle: Bisher liehen sie sich bei der Notenbank nämlich günstig Geld und legten es einfach höher verzinst in Staatsanleihen an.

"Langfristig dürften Banken aber wieder auf den Anleihemarkt zurückkehren", sagt Becker. Es gebe keine Alternative dazu, keine Anlageklasse sei so liquide, lasse sich so schnell zu Geld machen. Eines aber ist sicher: Die Banken, genauso wie Versicherungen und Pensionsfonds, werden sich das höhere Risiko von den Staaten in Form höherer Zinsen zahlen lassen. Nichts wird auf dem Anleihemarkt mehr so sein, wie es war.

© SZ vom 10.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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