Sparkasse: Umstrittener Produktverkauf:"Das ist ekelhaft"

Hedonist oder Genießer? Die Hamburger Sparkasse teilt Kunden in Psycho-Kategorien ein und nutzt problematische Hirnforschungsmethoden, um teure Produkte zu verkaufen.

Kristina Läsker

Falls Andrea Korn (Name von der Redaktion geändert) bisher nicht wusste, was für ein Typ Mensch sie ist, so weiß sie es jetzt. Andrea Korn ist eine Hedonistin. Eine an Spaß orientierte Frau mit ausschweifendem Lebensstil. Das behauptet zumindest die Hamburger Sparkasse (Haspa), wo Korn ein Konto hat. Nachzulesen in der dreiseitigen Kundenakte, die sich die 49-Jährige kürzlich ausdrucken ließ.

Hamburger Sparkasse

Auf die Psyche des Kunden wirken: Die Hamburger Sparkasse nutzt offenbar Neuromarketing, um ihren Kunden Aktien und Versicherungen zu verkaufen.

(Foto: ddp)

Was lustig klingen mag, ist alles andere als komisch. Hinter der wohltönenden Einordnung steckt angeblich ein System, dass die Umsätze treiben soll. Seit drei Jahren wendet die größte deutsche Sparkasse womöglich ein Konzept an, um Kunden wie Andrea Korn mehr Versicherungen und Aktien zu verkaufen. Das ergaben Recherchen von NDR Info, dem auf Nachrichten spezialisierten Kanal des Norddeutschen Rundfunks.

"Sensus" nennt sich die bisher geheime Verkaufsmasche. Danach teilt die Haspa ihre Kunden in sieben verschiedene Typen ein. Neben den Hedonisten gibt es auch ängstliche Bewahrer, freiheitssuchende Abenteurer oder machtbewusste Performer, zu deutsch Leistungserbringer. Sie alle lassen sich durch gezielte Worte und besonderes Verhalten zu teuren Finanzprodukten verführen - so lautet demnach das Kalkül.

Seit 2007 hat die Haspa etliche Berater im hauseigenen Schulungszentrum in Hamburg-Hammerbrook auf Sensus geschult. Damit diese bei einem Bewahrer "Ängste aufbauen" und etwa einen Performer mit elitären Angeboten locken können. Festgehalten sind solche - aus Kundensicht meist eher unangenehmen Ratschläge - in den Schulungsunterlagen zu Sensus, die der SZ vorliegen. Für die Berater ist es eine lukrative Methode, viele werden nur für ihre Abschlüsse bezahlt. Die Kunden wissen nichts davon.

Die Sparkasse will sich nicht zu Sensus äußern. "Eine Einordnung in Schubladen findet bei uns nicht statt", sagt eine Sprecherin. Die Haspa nutze lediglich "Erkenntnisse über die Bedürfnisse und Wünsche" der Kunden, um sie "besser zu verstehen und ihre Sprache zu sprechen".

Dass Kunden bei solchen aggressiven Vertriebsmethoden eher weniger zu wünschen haben, alarmiert die Verbraucherschützer. "Wenn ich mir diese Unterlagen anschaue, dann finde ich das ekelhaft", sagt Edda Castelló von der Hamburger Verbraucherzentrale. Die Haspa versuche anscheinend gar nicht erst, ihre Kunden zu vernünftigen Entscheidungen zu bewegen, meint Castelló. "Man versucht, indem man sich ins Gehirn hineinschleimt, Vertrauen zu finden und den Verbraucher zu beeinflussen in einer Weise, die nicht in seinem Interesse ist."

Das Gehirn gezielt aktivieren

Wer verstehen will, wie Sensus funktioniert, muss die neuere Wissenschaft bemühen. Neuromarketing nennen Forscher die Methode, mit der sie bei Kunden unterschwellig Gefühle zu Produkten erzeugen. Werden bestimmte Areale im Gehirn gezielt durch Schlüsselwörter oder Verhaltensweisen aktiviert, erzeugt das Emotionen wie etwa die Lust zum Kauf. Das glaubt zumindest Hans-Georg Häusel von der Marketingagentur Nymphenburg. Ende September hat der Psychologe bei einer Sparkassen-Fachtagung in Hannover einen Vortrag zum durchschlagenden Erfolg von Neuromarketing gehalten. "Hirngerecht verkaufen und begeistern", schwärmte Häusel damals vor den Sparkassenvertretern.

Häusel hat ein System entwickelt, das er Limbic nennt - und das als Vorlage für Sensus dient. Die Haspa habe ihm das System abgekauft und "es auf die Bedürfnisse der Sparkassenkunden adaptiert", bestätigt Häusel der SZ. Die Aufregung über die Methode kann er nicht nachvollziehen. "Das ist doch keine geheimnisvolle Verführung." Es sei zudem nichts Neues, das Banken ihre Kunden nach deren Bedürfnissen segmentierten. "Jede Bank hat ein System der Zielgruppenanalyse."

Die Methode der Haspa, Sensus einzusetzen und die Kunden nicht zu informieren, könnte aber gegen das Gesetz verstoßen. Das glaubt zumindest Klaus Fleischer, Bankenprofessor an der Hochschule München. Anders als in den USA sei Neuromarketing in Deutschland in seiner reinen Form verboten und daher unüblich, sagt Fleischer. "Ich kenne kein deutsches Kreditinstitut, das Neuromarketing offen verwendet."

Der Bankenexperte hält es für grenzwertig, dass Kunden gar nicht erst gefragt würden, ob sie mit ihrer Typisierung einverstanden seien. "Wenn Neuromarketing eingesetzt werden sollte, müsste dies auch Aufsichtsgremien wie der Bafin gemeldet werden", meint Fleischer. Zudem müssten die erfolgten Einstufungen für Kunden protokolliert und ihnen vorgelegt werden. "Sonst läuft die Bank Gefahr, gegen das Beratungsgesetz zu verstoßen."

Der Verstoß könnte aber noch weiter gehen. Bisher ist unklar, auf welcher Basis die Bank einen Kunden zum Hedonisten oder zum Bewahrer erklärt. Andrea Korn etwa hatte nur zwei Gespräche mit ihrem Berater geführt. Ein Blick in die Verträge verrät, wie die Bank an zusätzliche Daten kommen könnte, damit eine Einordnung möglich ist.

Wer einen Rahmenvertrag für ein so genanntes Joker-Konto unterschreibt, erteilt der Haspa große Freiheiten: "In diesem Rahmen entbinden der Kunde und der Partner die Haspa zugleich vom Bankgeheimnis", lautet die entsprechende Passage. Mit der Unterschrift erlaubt der Kunde, dass seine Daten zur Leistungserbringung "ausgewertet werden dürfen". Würden Kunden dieses Vorgehen kennen, könnten sie wohl kaum noch auf der Hamburger Reeperbahn nachts um halb eins 1000 Euro abheben, ohne sich gleich als Hedonist in der Bankendatei wiederzufinden.

Die Sparkasse will sich nicht dazu äußern, ob sie ihre Profile womöglich mithilfe von Kontodaten erstellt. Alles sei gesetzeskonform, versichert die Sprecherin. "Die Haspa wertet Daten ausschließlich im engen Rahmen des Bundesdatenschutzgesetzes aus." Andrea Korn fragt sich bis heute, wie sie zu ihrem Image als Hedonistin gekommen ist.

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