Sozialethiker Hengsbach:Schuldenrausch und Gerechtigkeit

Wie kommt Deutschland fair aus dem Schulden-Dilemma? Sozialethiker Friedhelm Hengsbach über seine Formel für Gerechtigkeit und das Milliardengrab HRE.

T. Dorfer

Friedhelm Hengsbach, 71, ist einer der renommiertesten Sozialethiker Deutschlands. Der Jesuit hat Philosophie und später Theologie und Wirtschaftswissenschaften studiert. Zwischen 1992 und 2006 leitete er das Oswald-von-Nell-Breuning-Institut für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik in Frankfurt am Main. In seinen Schriften versucht Hengsbach, die christliche Soziallehre mit wirtschaftlichen Fragestellungen zu verbinden. Heute lebt Friedhelm Hengsbach in Ludwigshafen und gehört der Jesuitengemeinschaft im dortigen Heinrich-Pesch-Haus an.

Friedhelm Hengsbach, Gerechtigkeit, Schuldenuhr, ddp

Sozialethiker Friedhelm Hengsbach befürchtet, die Politik habe sich bei der Bankenrettung von der Finanzwelt über den Tisch ziehen lassen.

(Foto: Foto: ddp, Baumgart)

sueddeutsche.de: Herr Hengsbach, wegen der Wirtschaftskrise wird Deutschland bis zum Jahr 2013 insgesamt 310 Milliarden Euro an neuen Schulden auftürmen. Die künftigen Generationen müssen diese Verbindlichkeiten abtragen. Ist das nicht ungerecht?

Friedhelm Hengsbach: Wenn das Geld in Bildung oder den ökologischen Umbau investiert wird, ist nichts dagegen einzuwenden. Wenn allerdings nur die Managementfehler der Vergangenheit kaschiert werden, ist das fragwürdig.

sueddeutsche.de: Im Klartext: Die Abwrackprämie ist Mist, ein Kredit für Quelle ebenfalls, die Milliarden für die Hypo Real Estate (HRE) waren notwendig und das Konjunkturprogramm der Regierung ist sinnvoll?

Hengsbach: Als Ganzes würde ich weder die Bankenrettung für notwendig, noch die Konjunkturpakete für sinnvoll halten.

sueddeutsche.de: Trotzdem: Milliarden fließen - und die Belastungen für die kommenden Generationen bleiben.

Hengsbach: Staatsschulden sind an sich nicht ungerecht. Die Nachkommen erben ja nicht nur Verbindlichkeiten, sondern auch Forderungen.

sueddeutsche.de: Welche Werte entstehen denn durch die Rettung der Hypo Real Estate, die in Deutsche Pfandbriefbank umgetauft wurde?

Hengsbach: In der Tat sehe ich die Reaktion im Fall Hypo Real Estate sehr kritisch. Die Politik hat die apokalyptische Darstellung der Finanzwelt einfach übernommen. Ich fürchte sogar, unsere Volksvertreter haben sich von den Banken über den Tisch ziehen lassen. Das ist, im Bezug auf die nachfolgenden Generationen, nicht fair.

sueddeutsche.de: Wäre es besser gewesen, die Hypo Real Estate pleitegehen zu lassen? Ihr Niedergang hätte die nachfolgenden Generationen wohl stärker belastet.

Hengsbach: Ob eine Pleite besser gewesen wäre, würde ich von außen nicht wagen zu behaupten. Aber die politisch Verantwortlichen durften diese und andere Banken nicht so groß werden lassen, dass sie systemrelevant wurden. Fast noch schlimmer finde ich jedoch, dass mit dem Eingreifen des Staates sich die verantwortlichen Manager aus der Affäre ziehen können.

sueddeutsche.de: Wie wirkt sich das auf die Gesellschaft aus?

Hengsbach: Das Vertrauen in die Politiker wird durchlöchert.

sueddeutsche.de: Woran machen Sie das fest?

Hengsbach: Man sieht doch, was Politiker in diesen Tagen versprechen. Die einen wollen Steuern senken, die anderen reden davon, sie zu erhöhen. Die Bevölkerung steht irritiert dazwischen und glaubt niemandem mehr. Ich denke, das kommt daher, weil die Menschen nicht überzeugt davon sind, dass die Politik richtig auf die Krise reagiert hat.

sueddeutsche.de: Wie hätte sie denn reagieren sollen?

Hengsbach: Zumindest mit einer gleichzeitigen Spurensicherung. Die Verhandlungen über den Rettungsschirm erfolgten unter Ausschluss des Parlaments. Die Demokratie verträgt keine Heimlichtuerei oder gar eine Art Bankgeheimnis. Die Herstellung von Öffentlichkeit ist eine Frage der Gerechtigkeit.

sueddeutsche.de: Warum?

Hengsbach: Weil an dem, was alle angeht, auch alle zu beteiligen sind. Weder die Bevölkerung noch die vom Volk gewählten Vertreter sind stumme Befehlsempfänger der Regierung oder eines kleinen Zirkels von Staatssekretären.

"Gerechtigkeit ist kein göttlicher Plan"

sueddeutsche.de: Inzwischen sind die HRE-Milliarden und etliche Konjunkturmaßnahmen gebilligt. In der Union gibt es Vorschläge, den Schuldenberg mit Steuererhöhungen abzutragen. Wie sieht es hier mit der Gerechtigkeit aus?

Hengsbach: Die Diskussion der Union über Erhöhungen der Mehrwertsteuer und Entlastungen bei der Einkommensteuer halte ich für fehlgeleitet. Steuersenkungen lösen nicht das ein, was sie wirtschaftspolitisch versprechen. Was nottut, ist eine Offensive öffentlicher Investitionen, die private Aufträge nach sich zieht.

sueddeutsche.de: Ist das Ihr Ernst? Wie soll der Bundeshaushalt durch höhere Ausgaben konsolidiert werden?

Hengsbach: Bei der realwirtschaftlichen Belebung geht es nicht zuerst darum, in den Kitas die Wände und Decken zu renovieren. Qualifizierte Personen sollen einen Arbeitsplatz finden, mit ihrem Einkommen die Binnennachfrage stärken und dann auch Steuern zahlen. Ein gerechtes Konsolidieren der öffentlichen Haushalte gelingt eher, indem der Wohlstand gesteigert und die Bedürfnisse der Menschen befriedigt werden, als durch öffentliches Sparen.

sueddeutsche.de: Der Philosoph Friedrich Nietzsche sagte einmal: "Jedem das Seine geben: Das wäre die Gerechtigkeit wollen und das Chaos erreichen."

Hengsbach: Dieser formale Grundsatz steht auch in dem Sozialrundschreiben des Vatikans. Dabei bleibt jedoch unklar, was jeder bekommt. Vielleicht das, was der Einzelne verdient, indem er seine Talente und Energien mobilisiert.

sueddeutsche.de: Wie lautet Ihre Formel für Gerechtigkeit?

Hengsbach: Für mich ist Gerechtigkeit zuerst eine Gleichheitsvermutung. Nicht die Gleichheit der Einkommen und Vermögen, sondern die wechselseitige Anerkennung der anderen Person als Gleiche. Demgegenüber sind die Differenzen der Einkommen zweitrangig. Sie sollten jedoch in persönlichen Eigenschaften gründen, und nicht im Einkommen und Bildungsstand der Eltern oder in den informellen Beziehungsnetzen geschlossener Eliten.

sueddeutsche.de: Dann müsste Ihnen das momentane Verhalten der Politik doch eigentlich zusagen. Union und FDP werben mit Steuersenkungen, die Linkspartei mit höheren Hartz-IV-Sätzen und einem Mindestlohn von zehn Euro. Sollte die Politik nicht doch mehr auf Nietzsche hören?

Hengsbach: Meiner Meinung hat die Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze, insbesondere für Alleinerziehende, eindeutigen Vorrang vor allgemeinen Steuersenkungen.

sueddeutsche.de: Ein teurer Spaß - und ziemlich einseitig zu Gunsten der sozial Schwachen. Ist das gerecht?

Hengsbach: Ein renommierter Gerechtigkeitsgrundsatz lautet, dass die Interessen der am wenigsten Begünstigten vorrangig zu berücksichtigen sind. Aber Gerechtigkeit ist kein göttlicher Plan. Jede Gesellschaft muss sich darüber verständigen, wie sie gemäß ihren normativen Überzeugungen auf eine bestimmte Situation reagiert. Die Politiker sind dabei zu reagieren. Endlich.

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