Süddeutsche Zeitung

Soziale Kontrolle:"Eine Videokamera kann kein Fenster ersetzen"

Ein intakte Nachbarschaft ist für die Sicherheit mindestens ebenso wichtig wie moderner Einbruchsschutz, wie das Beispiel Hannover zeigt.

Von Joachim Göres

Was ist für Mieter wichtig, wenn es ums Wohnen geht? Das wollte auch Andreas Wahl wissen, Vorstand der Ostland Wohnungsgenossenschaft aus Hannover. Nach einer Umfrage unter seinen Mietern ist für ihn klar: "An erster Stelle steht die Bezahlbarkeit, gefolgt von der Barrierefreiheit. Und dann kommt schon das Thema Sicherheit." Fühlen sich Bewohner in ihrem Quartier nicht sicher, drohen häufiger Wechsel, Konflikte und ein schlechter Ruf für eine Gegend. Im Jahr 2005 - damals war der Wohnungsmarkt noch weitgehend entspannt und Mieter umworben - begannen deshalb niedersächsische Wohnungsunternehmen zusammen mit Justiz, Polizei, Architekten, Sozialarbeitern und anderen Experten zu überlegen, was man für mehr Sicherheit tun kann. Die Überzeugung dahinter: Es reicht nicht aus, nur modernere Schlösser einzubauen - ein umfassendes Konzept ist nötig.

Mittlerweile hat das niedersächsische Justizministerium als Koordinator der "Sicherheitspartnerschaft im Städtebau in Niedersachsen" (www.sicherheit-staedtebau.de) für 28 Neubau- oder Sanierungsprojekte das Qualitätssiegel für sicheres Wohnen zwischen Wilhelmshaven und Herzberg am Harz verliehen, zuletzt an den Gemeinnützigen Bauverein Wunstorf. Für die Bewohner des dortigen Quartiers mit 34 Gebäuden und 298 Wohnungen gibt es einen speziellen Pavillon als Treffpunkt sowie ein Konfliktmanagement bei Unstimmigkeiten. Abschließbare Abstellanlagen für Fahrräder, besondere Abstellplätze für Rollatoren, lichte Gärten an den Mehrfamilienhäusern, gut einsehbare Park- und Garagenplätze und Plätze für die saubere Ablage der Müllsäcke sollen das Sicherheitsgefühl erhöhen.

"Eine Videokamera kann kein Fenster ersetzen. Fenster und Türen müssen sich zur Stadt hin ausrichten. Das erhöht die soziale Kontrolle und das Sicherheitsgefühl der Menschen im Quartier, die an den Häusern vorbeigehen", betont die Architektin Karin Kellner aus Hannover. Sie hat den 2014 errichteten Neubau von Wohn- und Geschäftshäusern am Herrenhäuser Markt geplant, der ebenfalls das Qualitätssiegel für sicheres Wohnen erhalten hat. Vorher stand hier in der Nähe ein Hochbunker, der lange Schatten warf und von vielen Fußgängern mit einem unguten Gefühl passiert wurde. "So eine tote Fassade kann Angst erzeugen. Er wurde abgerissen, genau wie eine unübersichtliche Wohnanlage mit Gewerbebetrieben und einem Lebensmittelmarkt. Wir haben an diesem Ort außer Büros, Arztpraxen und Läden zusätzlichen Wohnraum geschaffen", sagt Kellner.

Die 24 Wohneinheiten liegen in zwei viergeschossigen Bauten, dazwischen ein begrünter Innenhof mit Bänken, der von den Balkonen und Wohnungen einsehbar ist. Abends braucht man einen Schlüssel, um in den Innenhof zu gelangen. "Wir wollten diesen Innenraum nicht privatisieren, aber die Polizei hat sich dafür eingesetzt, dass er abends nur für Bewohner zugänglich ist. Das hat sich bewährt. Grundsätzlich wollen wir aber keine segregated communities - Wohnungsanlagen, zu denen die Öffentlichkeit keinen Zutritt mehr hat, wie es in immer mehr Großstädten inzwischen ganz normal ist", sagt Kellner.

Am Herrenhäuser Markt haben die Planer dafür gesorgt, dass alle Zugangswege gut ausgeleuchtet sind. Die weiße Putzfassade besteht aus einem Graffiti abweisendem Material - ausgehend von der Erfahrung, dass ein Graffiti schnell weitere nach sich zieht und auf Dauer durch Müll und Dreck schmuddelige Ecken zu entstehen drohen. Bis 22 Uhr ist ein Concierge-Dienst eingerichtet - hier können Mieter zum Beispiel Mängel melden.

Mehr Ordnung und Sicherheit haben für Hannoveraner Verhältnisse einen stolzen Preis: Die Miete pro Quadratmeter liegt bei 10,50 Euro. Sicherheit nur für die Bessergestellten und Gentrifizierung? "Die Wohnungen haben einen sehr hohen Standard. Durch sie bekommt man neue Leute in den Stadtteil, man tut etwas für die soziale Mischung. Eine Verdrängung von Menschen aus ihrer vertrauten Umgebung versuchen wir zu verhindern", entgegnet Kellner.

Der Polizist Dirk Behrmann und die Architektin Anke Schröder sind beim Landeskriminalamt Niedersachsen für das Thema Prävention im Städtebau zuständig. Sie analysieren die Art und den Umfang der bisherigen Kriminalität in einem Quartier und beraten Wohnungsgesellschaften, die dort bauen oder sanieren wollen. So haben sie es auch beim ebenfalls ausgezeichneten Neubau einer Wohnanlage im Gilde Carré in Hannover gemacht - eine Gegend in zentraler Stadtlage, die durch eine unübersichtliche und teilweise heruntergekommene Großsiedlung in der Nachbarschaft zum Anziehungspunkt für drogenabhängige Menschen wurde. "In Verbindung mit Drogenkriminalität war ein erhöhtes Einbruchrisiko zu erwarten. Neben der Verstärkung von Fenster und Türen wurden die Neubauten so ausgerichtet, dass die Bewohner immer einen Blick auf das Nachbargrundstück haben", sagt Behrmann. Die Zufahrtstraßen zu den Häusern fallen durch eine besondere Pflasterung auf. "Hier geht nur lang, wer auch hier wohnt", sagt Schröder.

Offen bleibt bei den von Behrmann und Schröder untersuchten Gebieten, wie sich nach der städtebaulichen Neugestaltung die Kriminalität entwickelt hat - dazu gibt es keine Studien. Entscheidend dürfte sein, was Mirella Mikolajewska von der Wohnungsgenossenschaft Ostland, die die inzwischen verkauften Häuser im Gilde Carré baute, über die dort gemachten Erfahrungen berichtet: "Durch viele Veranstaltungen ist im Gilde Carré eine gewachsene Nachbarschaft entstanden, in der man sich kennt und sich umeinander kümmert. Das schafft auch Sicherheit und erhöht die Wohnzufriedenheit. Es gibt nur wenig Fluktuation bei den Bewohnern."

Der 21. Deutsche Präventionstag findet am 6./7. Juni in Magdeburg statt. Dort geht es in den Vorträgen und Workshops unter anderem um Einbruchsprävention, internationale Erfahrungen bei der Schaffung sicherer Nachbarschaften und um die Bedeutung des Lichts bei der Kriminalprävention. Näheres unter www.praeventionstag.de

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Quelle:
SZ vom 27.05.2016
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