Société Générale: Der Fall Kerviel:"Ich sitze in der Scheiße"

Ein Mann und fast fünf Milliarden Euro Schaden: Der Prozess um den Ex-Banker Jérôme Kerviel beginnt - sein Ausgang ist völlig offen. Der Prozess wird ein Lehrstück über die Kunst des Wegschauens sein.

Michael Kläsgen, Paris

Selbst dem großen Jean-Marie Messier stiehlt er die Schau, im negativen Sinne. Alle interessieren sich nur für ihn, Jérôme Kerviel, den geschassten Börsenhändler, der seinen Arbeitgeber, die französische Großbank Société Générale, in Verruf brachte.

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Jérôme Kerviel, 33 Jahre alt und ehemaliger Börsenhändler der französischen Großbank Société Générale, soll einen Schaden von 4,9 Milliarden Euro verursacht haben. Jetzt steht er in Paris vor Gericht.

(Foto: afp)

Von diesem Dienstag an teilt sich der 33-jährige Franzose mit dem gefeuerten Chef des früheren Medienimperiums Vivendi Universal den gleichen Gerichtssaal, die Salle des Criées im Pariser Justizpalast. Der eine kommt vormittags dran, der andere nachmittags, und umgekehrt.

Früher schrien die Menschen hier, wie der über den drei Flügeltüren in Stein gemeißelte Name andeutet. Nicht weil einer gequält worden wäre, sondern weil hier die Auktionen stattfanden. Marie Antoinette, die österreichische Königsgattin, wurde vor mehr als 200 Jahren im Saal nebenan zum Tode verurteilt. Das Gemäuer atmet Geschichte.

Alles ist gesagt - aber noch viele Fragen offen

Wären die Scheiben nicht so milchig, könnte Kerviel durch die Fensterfront auf eines der berühmtesten Baudenkmäler der Gotik blicken, die Palastkapelle der ehemaligen königlichen Residenz, die der Palast auf der Seine-Insel einmal war. Die Justiz nutzt den ehemaligen Auktionssaal heute, wenn der Andrang von Prozessbeobachtern und Presse besonders groß ist.

Wenn Messier aufläuft, hält sich das Gedrängel gleichwohl in Grenzen. Für Kerviel hingegen haben sich 91 Medien angemeldet, darunter aus dem Ausland so viele wie noch nie, sagt eine Justizsprecherin.

Dabei scheint im Prinzip alles zu diesem Prozess gesagt worden zu sein. Kerviel schummelte, belog seine Vorgesetzten, überlistete sämtliche Sicherheitssysteme und sprengte alle Handelslimits. Er nannte das "spiel", ein im Deutschen nicht gebräuchlicher bankinterner Begriff.

Kurz bevor seine Praktiken im Januar 2008 aufflogen, jonglierte er mit 50Milliarden Euro, also mit mehr Geld, als die Bank Eigenkapital hat. Seine Handelspositionen, zum größten Teil Termingeschäfte auf den deutschen Leitindex Dax, musste die Bank an drei schwarzen Börsentagen abwickeln. Am Ende stand ein Verlust von 4,9 Milliarden Euro.

Einmal Elch, immer Elch

Kerviel weiß, dass es eng wird für ihn. Vor drei Wochen bäumte er sich noch einmal auf, veröffentlichte ein Buch und gab französischen Medien Interviews. Er beteuerte, während des Prozesses zur Moralisierung der Märkte beitragen zu wollen und bekundete Mitleid für Unternehmen, die er an den Rand des Ruins spekuliert habe. "Die größten Kritiker der Elche waren früher selber welche", reimt der Volksmund über solche Sinneswandel.

Société Générale: Der Fall Kerviel: Bei der Société Générale will niemand etwas von Kerviels illegalen Geschäften gewusst haben.

Bei der Société Générale will niemand etwas von Kerviels illegalen Geschäften gewusst haben.

(Foto: afp)

Im Prozess geht es gar nicht um "die" Finanzmärkte. Angeklagt ist Kerviel ganz profan der Fälschung von Dokumenten, des Vertrauensmissbrauchs und des widerrechtlichen Eindringens in ein Computersystem. Bis zu fünf Jahre Haft drohen ihm und eine Geldstrafe von 375.000 Euro.

Drei Wochen dauert das Verfahren, voraussichtlich im September fällt das Urteil. Und vielleicht gibt es doch eine Überraschung.

Kalkuliertes Wegschauen

Denn viele Fragen sind bislang unbeantwortet geblieben. Eine der wichtigsten lautet: Kann ein Einzelner über Monate hinweg eine ganze Armada von Kontrolleuren hinters Licht führen? Stimmt es nicht doch, dass um ihn herum alle bestens informiert waren und die windigen Geschäfte duldeten, wenn nicht sogar guthießen, weil sie selber auf einen Super-Bonus hofften, den Kerviels Tricks auch ihnen versprach? Inwieweit also handelten seine Vorgesetzten möglicherweise mit Vorsatz oder zumindest fahrlässig?

An diesem Punkt will Olivier Metzner, der Staranwalt, der Kerviel vertritt, ansetzen. Von den gut 40 Zeugen hat er allein zwei Drittel geladen. "500 Personen in der Bank konnten die von Jérôme Kerviel getätigten Geschäfte einsehen und prüfen, aber niemand wollte eingreifen", sagte Metzner der Süddeutschen Zeitung. Wie bewusst und kalkuliert das Wegschauen gewesen sei, würden neue Dokumente belegen, die er während des Prozesses vorlegen will.

1,5 Milliarden plus Zinsen

"Unter den fiktiven Geschäften, die Jérôme tätigte, fällt vor allem eine Operation ins Auge, die vermuten lässt, er habe fünf Prozent des Kapitals der Deutschen Bank gekauft. Die Société Générale aber gibt vor, nicht gesehen zu haben, dass es sich um fiktive Geschäfte gehandelt hat. Sie gibt damit also vor, ernsthaft geglaubt zu haben, Jérôme Kerviel habe allein fast fünf Prozent seines Konkurrenten gekauft? Das ist undenkbar."

Metzner will auch beweisen, dass die Bank von dem extrem hohen Gewinn von 1,5 Milliarden Euro gewusst habe, die Kerviel zum Jahresabschluss 2007 gemacht hatte. "Dieser Gewinn fand sich sehr wohl auf den Konten der Bank wieder und er warf Zinsen für die Bank ab", sagt Metzner. Der Anwalt will deswegen auf Freispruch plädieren.

Alles oder nichts

Und es gibt tatsächlich gute Gründe, stutzig zu werden. So geht aus der Anklageschrift, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt, nicht nur hervor, dass die beiden Briefe, die die Handelsüberwachungsstelle Eurex in Frankfurt an die Société Générale schickte, sich an mehrere Personen und ganze Abteilungen richtete.

Darin zeigt sich auch, dass die Antworten lange auf sich warten ließen und schließlich von offizieller Seite so vage formuliert waren, dass die Aufseher in Frankfurt daraus nicht schlau werden konnten. Gab es also Mitwisser? Oder war Kerviel so gerissen, alle Bedenken seiner Vorgesetzten auszuräumen und das gesamte Kontrollsystem auszutricksen?

Davon ist der Anwalt der Société Générale überzeugt, die ebenfalls prominent vertreten wird: Jean Veil ist der Sohn der ehemaligen französischen Politikerin und KZ-Überlebenden Simone Veil.

Urlaub im Knast

Die Verhörprotokolle sprechen für Veils Einzeltäter-These: "Die Société Générale wusste nichts von meinen Positionen", sagte Kerviel vor dem Untersuchungsrichter. Seine Vorgesetzten hätten auch nichts von seinem Riesengewinn Ende 2007 gewusst. Er gestand zudem ein, E-Mails gefälscht zu haben.

Und als Eurex nachforschte, chattete er mit seinem Freund und Geschäftspartner Moussa Bakir: "Ich sitze in der Scheiße." "Warum?", fragte Bakir. "Ich hab zu viel Kohle gemacht ... Eurex zermalmt mir noch die Eier..." Und einen Monat später, Mitte Dezember 2007, antwortete Kerviel auf den Ratschlag des Freundes, unbedingt Urlaub zu nehmen: "Jau, im Knast." Bank-Anwalt Veil sieht in dem Chat deutlicher vielleicht noch als in den Aussagen vor der Polizei und den Untersuchungsrichtern das Eingeständnis, strafbar gehandelt zu haben.

Doch Veil will Kerviel nicht nur verurteilt sehen: "Ich werde zudem die Wiedergutmachung des Schadens einfordern, den die Bank erlitten hat, einerseits den finanziellen Schaden in Höhe von 4,9 Milliarden Euro, andererseits den Imageschaden, den die Bank gerade ermittelt."

Die Summe könnte in den zweistelligen Milliardenbereich gehen. Für Kerviel steht alles auf dem Spiel.

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