Société Générale: Der Fall Kerviel:Das Säuseln der Spekulanten

Milliardenspekulant Jérôme Kerviel erzählte einem Börsenmakler alles über seine windigen Deals. Noch ist nicht klar, ob der Mann an den Geschäften beteiligt war.

Michael Kläsgen

Der Chat der beiden Banker liest sich wie ein Psychogramm eines Menschen kurz vor seinem Kollaps. Am 11. Oktober 2007 mailte Jérôme Kerviel seinem Freund und Börsenmakler Moussa Bakir: "Du hast doch nichts über unsere Geschäfte erzählt, oder? Sonst mach' ich dich platt." Darauf chattet Bakir zurück: "Hast du sie noch alle? Das bleibt zwischen dir und mir." Die Mail zeigt: Bakir wusste von den krummen Geschäften Kerviels, die die Société Générale (SocGen) fast fünf Milliarden Euro kosteten. Er fieberte mit Kerviel mit.

Société Générale: Der Fall Kerviel: Milliardenspekulant Jérôme Kerviel - sein Freund Moussa Bakir wollte ihn beruhigen: "Sei nicht so negativ. Konzentriere dich auf den Markt."

Milliardenspekulant Jérôme Kerviel - sein Freund Moussa Bakir wollte ihn beruhigen: "Sei nicht so negativ. Konzentriere dich auf den Markt."

(Foto: Foto: AFP)

Am 13. Dezember rät Bakir seinem Geschäftspartner: "Du brauchst unbedingt Urlaub." "Im Knast", antwortet Kerviel darauf ebenso lakonisch wie weitsichtig. Er sitzt inzwischen in der Prominenten-Abteilung des Pariser Gefängnis Santé ein. "Blödsinn", schreibt Bakir ihm zurück. "Was hast Du schon Schlimmes gemacht? Du hast niemanden vergewaltigt. Juristisch gesehen, hast du nicht illegal gehandelt.

Die beiden Freunde schreiben sich im französischen Slang, für den es im Deutschen keine Entsprechung gibt: "Chui" heißt "Je suis" (Ich bin), "G" steht für "J'ai" (Ich habe) und "C" für "C'est" (Das ist). Wie die Kids in der Banlieue verdrehen die beiden Banker auch einzelne Wörter: "fou" (verrückt) heißt dann "ouf".

Freund, Kollege - aber wohl kein Komplize

Die auf der Internetseite vom Nouvel Observateur veröffentlichten Mails zeigen: Börsenmakler Moussa Bakir, 32, war ein Freund, ein Kollege, aber nach gegenwärtigem Erkenntnisstand der Ermittler kein Komplize von Kerviel. Bakirs wahre Rolle in dem Milliardenskandal wird sich aber erst in den kommenden Wochen zeigen, sind Experten wie der Pariser Anwalt Christopher Mesnooh überzeugt. Vorerst machte die Staatsanwaltschaft den Broker zu einem "témoin assisté". Damit ist er halb Zeuge, halb Verdächtiger. In den kommenden Tagen wollen ihn die Ermittler noch einmal vernehmen.

Seiner Arbeit beim Brokerhaus Newedge auf den Champs-Elysées kann er solange nicht nachgehen. Newedge ist ein neues Unternehmen, das aus der Fusion der ehemaligen SocGen-Tochter Fimat und einer Crédit-Agricole-Tochter entstand. Bakir arbeitete für Fimat, ein Brokerhaus, über das Kerviel viele seiner Termingeschäfte abwickelte. Dass Bakir mit Kerviel Geschäfte abschloss, steht fest. Dass er auch in den Skandal verwickelt ist, konnten die Ermittler bislang nicht nachweisen. Bakir zeigte sich ihnen gegenüber im Gegensatz zu Kerviel nicht besonders gesprächig. Sein Anwalt beharrt darauf, dass alles korrekt gelaufen sei und die Vorgesetzten von den Vorgängen gewusst haben.

Das Säuseln der Spekulanten

Einziger Anhaltspunkt für die mögliche Mittäterschaft Bakirs ist ein Satz aus einer seiner Mails, die er schrieb, kurz bevor Kerviels Scheingeschäfte aufflogen. Alle Mails verschickten beiden nicht über ihre offiziellen Adresse, sondern über ein internes Reuters-System. Über die offizielle Adresse sendete Kerviel nur etwa 60 Mails pro Jahr. Beide glaubten sich so sicher vor fremden Einblicken. "Ich schickte dir die Bestätigung", schrieb Bakir am 17. Januar 2008. Doch da war es schon zu spät. Das Wort Bestätigung kürzte er auf französisch mit "conf" ab. Dabei könnte es sich um die fingierte "confirmation" für ein Scheingeschäft mit der Deutschen Bank handeln. Bei diesem Scheingeschäft entlarvte die Bank Kerviel schließlich. Er machte einen gewaltigen Fehler. Er deklarierte das Scheingeschäft zunächst als Termingeschäft mit der Baader Bank, einer kleinen Wertpapierhandelsbank in Unterschleißheim. Doch dann musste er erkennen, dass es die Kreditlinie der kleinen Bank sprengen würde. Daraufhin erklärte er gegenüber seinen Vorgesetzten, er habe sich geirrt, er sei den Terminkontrakt mit der Deutschen Bank eingegangen.

Drei Tag nichts gegessen

Bakir sollte und wollte nach eigenem Bekunden dafür die Bestätigung liefern. Diese liegt der Staatsanwaltschaft nun zwar Schwarz auf Weiß vor. Es kann aber sein, dass Kerviel sie sich selber mailte. Die These, wonach es sich bei dem Milliardenskandal um einen Komplott mehrerer Personen handelte, ist jedoch haltlos - bislang jedenfalls. Dies ist ein Sieg für die Geschäftsführung der Société Générale, die immer wieder behauptete, es handele sich bei Kerviel um einen "Einzeltäter". Andererseits war Bakir bis in alle Einzelheiten eingeweiht. Er traf sich abends mit Kerviel in Kneipen. Sie simsten, mailten und telefonierten fast täglich. Die meisten Telefonanrufe von Kerviels privatem Handy gingen bei Bakir ein. Und das waren viele: Kerviels Handy-Rechnungen beliefen sich in manchen Monaten auf etwa 1000 Euro. Bakier spielte dabei verschiedene Rollen. Mal beschwichtigte er, mal erteilte er Kerviel väterlichen Rat.

Als die Terminbörse Eurex in Frankfurt im vergangenen November stutzig wurde und Kerviel Rückfragen aus der Kontrollabteilung erhielt, riet Bakir: "Frag sie, wie sie darauf kommen. Oder sag ihnen, dass die Netto-Positionen falsch sind." Als Kerviel anfing zu ahnen, dass alles böse enden könnte, beruhigte Bakir ihn: "Sei nicht so negativ. Konzentriere dich auf den Markt." Am Tag als Kerviel dann von seinen Vorgesetzten überführt wurde, mailten sie viel.

"Ich stecke tief in der Scheiße", schrieb Kerviel am 17. Januar eine halbe Stunde vor dem ersten Gespräch mit seinem Chef. Bakir wollte auf dem Laufenden gehalten werden und bat Kerviel, sich anschließend zu melden. Am Abend wollten sie was Essen gehen. Kerviel hatte seit drei Tagen nichts mehr gegessen. In einer Mail legte Bakir Kerviel sogar die Verteidigungsstrategie nahe, die er dann tatsächlich übernahm. Er solle sich als Unschuldslamm gerieren, "als einfacher, zurückhaltender Junge, der eine Menge Geld macht, aber dessen wahrer Wert nicht honoriert wird".

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