Société Générale:Che Guevara der Finanzen

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Der Börsenhändler Jérôme Kerviel hat seine Bank um 4,9 Milliarden Euro erleichtert - jetzt ist er der neue Star im Internet.

Alexander Mühlauer

Von Gesetzesbrechern geht eine besondere Anziehungskraft aus, vor allem wenn sie in den Augen der Bewunderer Gutes tun und am besten noch die da oben lächerlich machen, so wie Robin Hood zum Beispiel. Oder wenn sie als Sündenbock der Mächtigen für deren eigene Fehler herhalten müssen - so wie Jérôme Kerviel, 31, der seine Bank Société Générale um 4,9 Milliarden Euro erleichterte. Zumindest sieht das die Mehrheit der Franzosen so. Nur für 13 Prozent der Befragten ist Kerviel der Hauptschuldige des Milliardenskandals, die Hälfte findet, dass die oberste Etage der Großbank für die Zockerei verantwortlich sei.

(Foto: Foto: oH)

Seit der Name des Börsenhändlers bekannt ist, steigt die Zahl der Google-Treffer täglich, wenn man "Jérôme Kerviel" eintippt. Waren es am Wochenende noch 200.000, sind es am Montagnachmittag schon mehr als eine Million Seiten, die sich mit dem berühmten Trader beschäftigen. Spätestens seit die linksliberale Pariser Tageszeitung Libération Kerviel vergangene Woche zum neuen Star des Netzes ausrief, ist "la kervielmania" in Frankreich ausgebrochen. Kein Blog, kein Internet-Forum, auch nicht Wikipedia oder Facebook kommt an dem 31-jährigen Bretonen vorbei.

Ein Slip und viele T-Shirts

Der "Che Guevara der Finanzen" oder "James Bond der Société Générale", wie Fans Kerviel nennen, inspirierte Menschen weltweit, Unterstützungsinitiativen zu gründen. Unter www.cafepress.com/misskerviel bieten Amerikaner einen Slip und viele T-Shirts für Kerviel-Begeisterte an. Für unter 20 Dollar kann man sich Sprüche wie "Jérôme Kerviel is a hero" oder "Jérôme Kerviel's girlfriend" auf Stoff drucken lassen.

So ein Bekenntnis-Shirt ist immer eine Gratwanderung zwischen Originalität und Peinlichkeit. Auf jeden Fall will der Träger damit provozieren, ein Spruch auf Baumwolle ist ein Statement - manchmal klug, meistens ironisch, oft aber auch ziemlich dämlich. Die T-Shirt-Botschaften haben den Autoaufkleber in puncto Aufmerksamkeit abgelöst. Aber das Problem bleibt dasselbe wie beim "Schwarz, rot, geil"-Sticker der Bild-Zeitung zum Fußball-WM-Sommer 2006, der auf deutschen Autos klebte: Die Texte sind beliebig, belanglos, so relevant wie ein gelbes Post-it - schnell lesen, schnell abhaken.

Wer sich im Internet auf die Suche nach Kerviel-Diskussionsforen macht, stellt schnell fest: Die meisten davon sind wie so vieles im Netz - virtueller Müll. Bei Youtube täuscht derselbe Typ einen hysterischen Anfall vor, der schon beim Sorgerechtsstreit von Britney Spears um die Sängerin weinte, nur hat er jetzt den Namen getauscht: "Lasst Jérôme Kerviel in Ruhe!" Andere fordern den Wirtschaftsnobelpreis für den französischen Skandal-Händler.

Es gibt aber auch kluge Blogger, die sich mit der Frage auseinandersetzen, inwieweit Kerviel den Nerv einer kapitalismuskritischen Gesellschaft getroffen hat, die nicht zusehen mag, wie Banken die Weltwirtschaft durch laxe Kreditgeschäfte ins Taumeln bringen. Und die nicht versteht, warum Manager sich hohe Gehälter genehmigen, obwohl sie die eigene Firma gegen die Wand fahren.

Für viele Menschen hat Kerviels Tat einen ungewöhnlichen Charme. Denn der Händler hat der Fratze des Kapitalismus den Mittelfinger gezeigt und die da oben mit ihren eigenen Waffen geschlagen. Das imponiert der linken Web-Schickeria. Ein Fanklub träumt sogar von einer Rehabilitation Kerviels: "Wenn fünf Milliarden Personen unserer Gruppe beitreten und jeder einen Euro zahlt, dann retten wir die Karriere von Jérôme Kerviel." Der Börsenhändler sollte dann, meint ein Internet-Nutzer, die Summe doch unter den Armen verteilen. Und so zum modernen Robin Hood werden.

© SZ vom 05.02.2008/mah - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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