Social Design:Bauten, die Probleme lösen

Social Design: Laden und Stromquelle zugleich: Der Solarkiosk wurde vom Architekturbüro Graft für abgelegene Gebiete in Afrika entwickelt.

Laden und Stromquelle zugleich: Der Solarkiosk wurde vom Architekturbüro Graft für abgelegene Gebiete in Afrika entwickelt.

(Foto: Andreas Spiess/Solarkiosk AG)

Eine Ausstellung zeigt, wie "Social Design" konkret funktionieren kann.

Von Joachim Göres

Können ungelernte Arbeitskräfte nach einer kurzen Schulung eine Bibliothek bauen? Können schlecht verarbeitete Materialien und Fehler bei der Montage, die wegen mangelnder Fachkenntnisse auftreten können, toleriert werden? Beim Bau einer Bibliothek in Ambepussa auf Sri Lanka lautete die Antwort: ja. Wichtiger als die korrekte Ausführung der Arbeiten war der Zweck des Neubaus: Menschen einen Zugang zu Bildung zu ermöglichen und durch die praktischen Kenntnisse auf der Baustelle eine berufliche Perspektive zu bieten in einem Land, das 30 Jahre Bürgerkrieg hinter sich hat. Dabei wurden robuste Gebäudelösungen gewählt, damit Mängel und Ungenauigkeiten den Aufbau nicht gefährden - so stehen die drei eingeschossigen Gebäudeteile auf Stampflehmwänden.

Das ist ein Beispiel von vielen, die derzeit in der Ausstellung "Social Design" in der Braunschweiger Brüdernkirche präsentiert werden. Social Design - mit diesem Begriff ist die Entwicklung und Gestaltung von Produkten gemeint, bei der es um die Lösung von ökologischen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen geht.

Der Italiener Arturo Vittori hatte die Idee für einen Wasserturm. Der sogenannte Warka Tower - der Name stammt von dem in Äthiopien verbreiteten Warka-Feigenbaum - kann von Dorfbewohnern leicht mit lokalen Materialien aufgebaut und betrieben werden. Er fängt in seinen Netzen Tau und Nebel auf, sodass täglich etwa 100 Liter Trinkwasser selbst in sehr trockenen Regionen gewonnen werden können. Seit 2015 versorgt der Warka Tower Dörfer in Afrika, Asien und Südamerika mit frischem Trinkwasser.

Social Design - damit ist auch die Beteiligung der Betroffenen gemeint. In Koudougou, der drittgrößten Stadt in Burkina Faso, hat der Architekt Francis Kéré zusammen mit den Nutzern ein Gymnasium entworfen und realisiert. Neun Module bilden das Gebäude, die in einem Kreis angeordnet sind; in der Mitte befindet sich der Innenhof als Treffpunkt. Die Wände der Module bestehen aus Laterit, ein Stein, der am Ort abgebaut wird. Er senkt die Raumtemperatur erheblich, auch die Anordnung der Räume sowie eine zweite Fassade schützen die Klassenzimmer vor Hitze, Staub und Wind. Die Schulmöbel wurden aus regionalem Hartholz und übrig gebliebenen Baumaterialien wie zum Beispiel Stahlresten vom Dach gefertigt.

Nach dem umfassenden Abriss historischer Bausubstanz in einem Viertel von Liverpool setzten sich Anwohner dafür ein, die letzten vier verbliebenen Straßen mit viktorianischen Reihenhäusern zu erhalten. Sie schlossen sich zu einer Eigentümergemeinschaft zusammen, um lange leer stehende Häuser in bezahlbaren Wohnraum zu verwandeln. Bei der Sanierung, bei der die engagierten Nachbarn selber mit anfassten, wurden einfache und preiswerte Materialien eingesetzt. Auch bei der Fertigung von Baukeramik für die zu renovierenden Häuser wurden sie aktiv und gestalteten zum Beispiel Kacheln selber.

Es geht ums Lernen, ums Wiederverwerten und ums Mitmachen

Neben insgesamt 24 Beispielen aus aller Welt werden auch ein Dutzend Projekte aus der Region Braunschweig gezeigt. Beim "Cup der guten Hoffnung" haben Studierende der TU Braunschweig ein pfandloses Mehrwegbechersystem entwickelt, wodurch die Zahl der 150 000 Einwegbecher reduziert werden soll, die bisher an der Uni jedes Jahr in den Müll wanderten. Zu sehen ist eine Säule mit bunten Bechern - solche Rückgaberöhren finden sich mittlerweile überall auf dem Campus.

Dieses Projekt ist Teil des TU-Modells "Sandkasten" - wer sich häufig auf dem Campus aufhält, soll diesen auch mitgestalten können. Durch diese Initiative wurde ein Gemeinschaftsgarten angelegt, bei dem sich inzwischen 40 aktive Gärtner mit den Prinzipien der Permakultur vertraut machen. Auf einem Uniplatz wurde zudem mit Hilfe von Sitzmöbeln aus alten Paletten ein Treffpunkt geschaffen. Ein Wochenmarkt soll auf dem Unigelände etabliert werden.

Design, das sparsam mit Ressourcen umgeht - das ist keine neue Idee. Daran erinnert Katharina Pfützner in einem der vielen Bücher, die in der Ausstellung ausliegen. Im Band "Social Design" hat sich die Dozentin für Industriedesign am National College of Art Dublin mit dem Design in der DDR auseinandergesetzt. Angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage entwickelten Designer dort zum Beispiel die Marke Simplexmöbel. Dabei wurden günstige, langlebige und leicht verfügbare Materialien benutzt sowie auf einfache Konstruktionen gesetzt, damit möglichst viel selbst montiert und bei geänderten Bedürfnissen umgebaut werden konnte. Zum Konzept gehörten ein schlichtes Aussehen der Möbel und eine kaum bearbeitete Oberfläche. Allerdings räumt Pfützner ein, dass solche Ideen bei den Direktoren der volkseigenen Betriebe oft auf Ablehnung stießen - sie waren mehr an Quantität als an Qualität interessiert. Und viele Verbraucher orientierten sich an Produkten, die sie aus dem Westen kannten.

Die Wanderausstellung des Museums für Gestaltung Zürich wird bis 14. 2. 21 in der Braunschweiger Brüdernkirche präsentiert. Öffnungszeiten: dienstags bis samstags 11 bis 18 Uhr, sonntags 12 bis 18 Uhr, Jeden 1. Dienstag im Monat bis 20 Uhr. Ein Katalog zur Ausstellung ist unter dem Titel "Social Design" (Hrsg. Museum für Gestaltung Zürich) erschienen.

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