Süddeutsche Zeitung

Serielles Sanieren:Fassaden aus der Fabrik

Mit industriell vorgefertigten Fassaden und Dächern lassen sich Häuser nicht nur bauen, sondern auch modernisieren. In den Niederlanden ist dieses Konzept schon weit verbreitet. Jetzt kommt es auch nach Deutschland.

Von Ralph Diermann

Die beiden Mehrfamilienhäuser im Kölner Stadtteil Zollstock sind typische Wohnbauten aus den Fünfzigerjahren: schlichte Fassaden, zweckmäßig gestaltet, mit dünnen, gänzlich ungedämmten Wänden. Energieeffizienz genoss nicht gerade höchste Priorität in der Nachkriegszeit, als innerhalb weniger Jahre viel günstiger Wohnraum geschaffen werden musste. Der Eigentümer der beiden Acht-Parteien-Häuser, die Kölner Wohnungsgenossenschaft am Vorgebirgspark, hat Hunderte solcher und ähnlicher Wohnungen im Bestand. "Da muss etwas gemacht werden, keine Frage. Aber anders als große Wohnungsbaugesellschaften haben wir nicht die Ressourcen, unseren Bestand in der Breite energetisch zu sanieren", sagt Thomas Meißner, geschäftsführender Vorstand der Genossenschaft.

Gute Gründe für das Unternehmen, nun ein neues Konzept testen, das industrielle Prozesse auf die Sanierung überträgt: Statt wie üblich Dämmplatte für Dämmplatte auf die Fassaden und zwischen die Dachsparren zu setzen, bekommen die Gebäude eine neue Hülle übergezogen, die in einer Fabrik vorgefertigt wurde - komplett mit Fenstern, Dämmung und Putz. Serielles Sanieren heißt diese Vorgehensweise. Maßgeblich entwickelt wurde sie von der niederländischen "Energiesprong"-Initiative, die von der dortigen Wohnungswirtschaft, der Bauindustrie und Kommunen getragen wird. Etwa 4500 Wohngebäude, zumeist Reihenhäuser, sind in den Niederlanden bereits auf diese Weise energetisch modernisiert worden.

Jetzt soll das Konzept auch nach Deutschland kommen. So hat die Deutsche Energie-Agentur dena mit Unterstützung des Wohnungswirtschaftsverbands GdW Unternehmen aus der Wohnungs- und der Baubranche zusammengebracht, um Prototypen für serielle Sanierungen zu schaffen. "Mehrere Wohnungsunternehmen aus ganz Deutschland haben sich schon bereit erklärt, das Konzept umzusetzen", erklärt Kristina Zimmermann, Expertin für energieeffiziente Gebäude bei der dena. Etwa fünfzig Bau- und Zuliefererbetriebe wollen sich ihren Angaben zufolge bislang daran beteiligen. Noch in diesem Jahr sollen die ersten Gebäude auf diese Weise saniert werden, darunter die beiden Häuser in Köln.

Wie geht eine serielle Sanierung vonstatten? Am Beginn steht die Vermessung des Gebäudes mit einem dreidimensionalen Laserscan. Anhand dieser Daten fertigen die Hersteller in ihren Fabriken aus Standardbauteilen die nötigen Fassaden- und Dachelemente, angepasst an die jeweiligen Maße der Gebäude und die individuellen gestalterischen Anforderungen. Auf der Baustelle werden sie dann wie eine neue Außenhaut über die alte Hülle des Hauses gelegt und dort befestigt. Die Fenster sind dabei integriert, ebenso eine automatische Lüftungsanlage. Anschließend wird eine großflächige Photovoltaikanlage auf das Dach montiert. Zudem wird die Gas- oder Ölheizung durch eine effiziente Wärmepumpe ersetzt.

Die beteiligten Firmen können eine langjährige Garantie auf die energetischen Eigenschaften der Komponenten geben. "Das ist möglich, weil die Bauteile und die Technikmodule in einem Gesamtkonzept optimiert und in einer Fabrik unter Idealbedingungen gefertigt werden", sagt Zimmermann. "Daher ist deren Qualität konstant hoch. Zudem werden Montage und Installation vor Ort vereinfacht und Fehlerquellen reduziert."

Die Energiekosten sinken so stark, dass die Miete trotz der Sanierung gleich bleibt

Das Energiesprong-Konzept zielt auf einen anspruchsvollen energetischen Standard: Die Gebäude erfüllen nach der Sanierung die Vorgaben eines KfW-55-Effizienzhauses. Das entspricht einem jährlichen Wärmebedarf von gerade einmal dreißig bis vierzig Kilowattstunden pro Quadratmeter. Dabei wird der gesamte Wärme- und Stromverbrauch der Bewohner rechnerisch über das Jahr hinweg durch die Wärmepumpe und Photovoltaikanlage gedeckt. Mit dem hohen Effizienzstandard sollen die Energiekosten der Bewohner so stark sinken, dass sich die Sanierungen warmmietenneutral durchführen lassen.

"Das Energiesprong-Konzept kann einen wichtigen Beitrag zur Auflösung des Sanierungsstaus leisten, da es die Frage nach der Bezahlbarkeit energetischer Modernisierungen entschärft", ist dena-Expertin Zimmermann überzeugt. Zwar ist der Investitionsbedarf nicht unbedingt geringer als beim üblichen Vorgehen. Der serielle Ansatz soll aber wirtschaftlicher sein, da er einen höheren Effizienzstandard und mehr Qualität biete.

Darüber hinaus verspricht das Konzept eine deutliche Verkürzung der Sanierungszeit. In den Niederlanden waren oft nur ein, zwei Tage nötig, um aus jahrzehntealten Reihenhäusern moderne Niedrigstenergiegebäude zu machen. Bei Mehrfamilienhäusern dauert es zwar ein wenig länger - ist aber auch nur eine Sache von Tagen statt wie bei einer konventionellen Sanierung von Wochen oder gar Monaten. Das ist auch für die Kölner Wohnungsgenossenschaft ein wichtiges Argument. "Unsere Mieter profitieren sehr, wenn die Arbeiten deutlich schneller abgeschlossen sind", sagt Vorstandsmitglied Meißner. Schließlich ist es für die Bewohner nicht gerade angenehm, wenn monatelang ein Gerüst vor ihren Fenstern steht.

Für Herbert Dannecker, Vorstand des Deutschen Energieberater-Netzwerks (DEN), hat dieses Modell durchaus Charme. "Ich halte das grundsätzlich für einen sehr guten Ansatz. Man muss nur sehr genau prüfen, ob sich ein Gebäude auch tatsächlich dafür eignet", erklärt er. Je kleinteiliger die Fassade sei, desto weniger komme eine serielle Sanierung in Frage. "Ist ein Gebäude dagegen 'quadratisch, praktisch, gut', kann das Konzept absolut sinnvoll sein", meint der Berater.

Das Konzept könnte später auch auf Einfamilienhäuser übertragen werden

Das sieht auch Fabian Viehrig so, der beim GdW den Bereich Bauen und Technik leitet. "Das serielle Sanieren ist derzeit vor allem etwa für Siedlungen der Nachkriegsjahre interessant, da sie eine relativ gleichförmige, eher schlichte Gebäudehülle aufweisen", erklärt er. Sind sie noch nicht saniert, brauchen solche Immobilien im Durchschnitt drei bis vier Mal mehr Energie als KfW-55-Häuser. Oftmals sind die Gebäude einer Siedlung im Eigentum eines einzigen Wohnungsbauunternehmens. Das hat den Vorteil, dass die Hersteller Bauteile mit gleichen Maßen in großer Stückzahl produzieren können. "Je mehr gleichartige Bestandsgebäude eines Unternehmens kurz- und mittelfristig eine energetische Sanierung benötigen, desto attraktiver ist das Konzept. Denn so können sie Skaleneffekte bei der Vorfertigung der Bauteile erzielen, die zu niedrigeren Kosten führen", sagt Viehrig.

Deutschlandweit eignen sich etwa 500 000 Mehrfamilienhäuser für eine serielle Sanierung, hat die Deutsche Energie-Agentur dena ausgerechnet. Würde nur ein kleiner Teil von ihnen auf diese Weise modernisiert, brächte das die Energiewende im Gebäudebereich ein gutes Stück voran. Hat die Bauindustrie erst einmal die nötigen Bauteile entwickelt und Erfahrungen mit dem Konzept gesammelt, könnte das Konzept auch auf Einfamilienhäuser übertragen werden - hier ist der Sanierungsbedarf besonders groß.

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Quelle:
SZ vom 22.02.2019
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