Serie: Auf Wohnungssuche:Je neuer der Bau, desto kleiner das Zimmer

In Singapur ist Raum Mangelware. Die Wirtschaftsmetropole ist von der Fläche her etwa so groß wie Hamburg, aber es leben dort dreimal so viele Menschen.

Von Arne Perras

Der Zwerghamster Phodopus Roborovskii ist eine Spezies, die sich als Haustier im Stadtstaat Singapur besonderer Beliebtheit erfreut. Nachts rast er unermüdlich in seinem Rad, während er tagsüber in einer winzigen Höhle schlummert, die in die Ecke eines sehr überschaubaren Käfigs passt. Sein Siegeszug in Singapur dürfte kaum Zufall sein. Denn der pausbäckige Mongole, kaum größer als ein Frühstücksei, findet selbst in kleinsten Wohnungen noch Platz. Womit das Maß aller Dinge schon umrissen ist: Der Raum für menschliche Behausungen ist im dicht besiedelten Singapur äußerst knapp.

Die asiatische Wirtschaftsmetropole ist beinahe so groß wie Hamburg, was die Fläche angeht. Doch leben hier dreimal so viele Menschen. Bei 5,5 Millionen Bewohnern ist Platz mit Abstand das kostbarste Gut, was auch jeder schnell spürt, der hier mit einem Makler auf Wohnungssuche geht. Ohne Vermittler, die der Verkäufer oder Vermieter bezahlt, ist es für Ausländer sehr schwer, fündig zu werden.

Die Dichte des Raums ist das eine, der geballte Reichtum das andere. Denn auf den 719 Quadratkilometern Singapurs wohnen inzwischen mehr als 180 000 Millionäre, nur noch getoppt von den Milliardären, die auch schon die Stärke von drei Fußballmannschaften erreicht haben. Der Reichtum dieser Stadt hat seinen unverwechselbaren Klang, er ist gar nicht zu überhören, wenn wieder mal ein Ferrari, Maserati oder Bugatti die Shopping-Meile an der Orchard Road entlangröhrt. Richtig aufdrehen kann man da ja nicht, aber es mag trösten, dass der Fahrer zumindest gut zu sehen ist vom einkaufenden Fußvolk, das an der Ampel wartet.

Von hier aus ist es nicht mehr weit zu einem der exklusiven Wohntürme der Innenstadt, dem 30-stöckigen Hamilton Scotts, der Liebhaber teurer Autos ganz besonders beglückt. Man kann dort nämlich per Fingerabdruck seinen Wagen im gläsernen Aufzug nach oben schicken, wo er dann direkt neben dem Apartment parkt, vom Wohnzimmer lediglich durch eine breite Glasfront getrennt. So kann der Besitzer jeden Abend seinen Singapore Sling schlürfen und sich gleichzeitig an seinem Luxusfahrzeug auf Augenhöhe ergötzen.

Die verglaste Himmelsgarage mit angefügtem Wohnraum hat natürlich ihren Preis. Für ein 250-Quadratmeter-Apartment im Hamilton Scotts muss man sechseinhalb Millionen Euro hinlegen, das mehrstöckige Penthouse kostet 23 Millionen Euro. Wer lieber mietet, muss für eines der kleineren Apartments 9000 Euro oder mehr hinblättern - im Monat natürlich. Womit sich schon erahnen lässt, dass sich die Wohnungssuche für die Mehrheit der nach Singapur entsandten Ausländer doch einige Etagen tiefer bewegen dürfte.

People arrive at the 'Diner en blanc' event outside the ArtScience Museum at the Marina Bay Sands in Singapore

Reich, beeindruckend, gegensätzlich, so ist Singapur. Nur viel Platz gibt es selten.

(Foto: Tim Chong/Reuters)

Angesichts des Platzmangels überrascht es aber doch, dass es eine ganze Palette von Wohnmöglichkeiten für die aus allen Himmelsrichtungen zugezogenen Banker, Unternehmer, Händler, Ingenieure und Forscher gibt. Das ist vor allem der Erfindung des sogenannten Condos zu verdanken, das in Asien weit häufiger anzutreffen ist als in den Großstädten Europas. Ein "Condominium" ist so etwas wie eine Mini-Stadt in der Stadt, oft ausgestattet mit Swimmingpool, Gym oder Tennisplatz auf dem Dach. In diese dicht gestaffelten Wohnanlagen drängen sich auf engem Raum manchmal mehr als tausend Menschen, was mal mehr, mal weniger auffällt, je nachdem, wie geschickt die Blöcke jeweils miteinander verschachtelt sind.

Wer im hinteren Teil zum Fenster hinaussieht, den springt schon der Urwald an. Besser gesagt der Affe

Je neuer die Condo-Bauten sind, umso kleiner fallen meistens die Zimmer darin aus, was sich besonders auf die Kinderzimmer auswirken kann. Neben Bett und Schreibtisch ist da manchmal nur noch Platz für eines: den Zwerghamster. Doch selbst in dicht gebauten Anlagen liegt die Monatsmiete für eine Vier-Zimmer-Wohnung oft schon bei 4000 bis 5000 Euro oder noch höher. Häufig übernehmen die Firmen die Wohnkosten, andere Betriebe zahlen Mietzuschüsse. Als Drehscheibe der Wirtschaft ist Singapur für viele Unternehmen, die sich in Asien engagieren, immer noch ohne Alternative. Dennoch ist es so, dass die Mieten derzeit sogar leicht sinken, weil der Zuzug von Ausländern gedrosselt wurde und gleichzeitig viel gebaut wird.

Wer Neubauten scheut und lieber den kolonialen Flair des früheren britischen Freihafens atmen möchte, kann sich um eine der Kolonialvillen bemühen, die der Staat vermietet. Die sogenannten Black-and-White-Houses haben nicht immer den Komfort einer Neubauwohnung, aber meistens einen Garten, was in Singapur als Luxus gilt. Die Mieten für solche Liebhaber-Häuser schwanken je nach Lage und Zustand, die Preise werden durch ein Versteigerungssystem festgesetzt. Historischen Charme haben auch die modernisierten chinesischen Shophouses, deren Besitzer traditionell im Erdgeschoss ihr Geschäft betreiben und in der oberen Etage wohnen. Einige dieser restaurierten Schmuckstücke sind inzwischen komplett zu bewohnen, doch ist der Markt für solche Häuser begrenzt.

Und wie wohnen einheimische Singapurer, die nicht zur Klasse der Superreichen gehören? Ganz überwiegend leben sie in einer parallelen Immobilienwelt, die von einer Behörde, dem "Housing and Development Board", verwaltet wird, kurz HDB. Hinter den drei Buchstaben verbirgt sich ein gewaltiges und stark reguliertes staatliches Wohnungsbauprogramm, das es Singapurern ermöglicht, im Laufe ihres Lebens mit günstigen Hypotheken ein Eigenheim zu erwerben. 85 Prozent aller Be-wohner leben in solchen "HDB-Flats", sie ballen sich in Wohnanlagen zusammen, ganz ähnlich wie die Condo-Apartments, die zum freien Markt gehören.

Serie: Auf Wohnungssuche: SZ-Serie, letzte Folge: Kapstadt

SZ-Serie, letzte Folge: Kapstadt

All diese dicht besiedelten Räume sind meist mit hübschen Grünanlagen, Sport- und Spielmöglichkeiten aufgelockert, so dass sie selten trist wirken. Singapur will eine "Stadt im Garten" sein, und daran wird akribisch gearbeitet. Wer doch größeren Auslauf will, muss deutlich mehr Geld ausgeben als die Mieter in einem gewöhnlichen Condo. Dabei finden sich dann auch Plätze, wo man von der Hektik kaum etwas mitbekommt. Manche Häuser sind direkt an den Dschungel des "Bukit Timah Nature Reserve" gebaut, zum Beispiel in der Anlage "Mont Timah", die der Makler Alliston Chung präsentiert: "Das hier ist keine Massenware, sondern etwas für Individualisten mit gehobenem Anspruch", sagt er. Durch den Garten plätschert ein Bächlein mit runden Felsen, daneben liegt ein schmaler Pool unter Bäumen, links und rechts verteilen sich locker stehende Doppelhäuser. Würfel aus Beton und Glas, schlichte Eleganz in tropischem Grün. Monatsmiete für eine Haushälfte mit fünf Zimmern auf drei Ebenen: 8300 Euro.

Wer im hinteren Teil zum Fenster hinaussieht, den springt schon der Urwald an. Was einerseits paradiesisch wirkt, andererseits aber Tücken hat, weniger in Mont Timah, aber doch in anderen "naturnahen" Lagen: So gibt es in Singapur Häuser, in denen man kein Fenster unbeaufsichtigt öffnen kann, weil ansonsten ein Affe einsteigt, um Vorräte zu plündern oder das Sofa zu verwüsten. Da sie heftig beißen können, ist stets Vorsicht angebracht.

In solchen Momenten rückt ins Gedächtnis, dass Singapur - allen arktisch gekühlten Shoppingmalls zum Trotz - eben doch am Äquator liegt. Und als Land in den Tropen ist es mit reichhaltiger Tierwelt gesegnet, deren Vertreter sich auch mal im häuslichen Biotop einer Manager-Familie umsehen. So wunderte sich der Bewohner eines Condos im Westen Singapurs, warum sich seine Anzughose so schwer anfühlte, als er sie am Bügel aus dem Schrank zog. Und siehe da: Schon plumpste ihm eine Schlange vor die Füße. Der morgendliche Espresso, um wach zu werden, war da nicht mehr nötig.

Andere Mieter, die in eine Kolonialvilla einzogen, brachten ihre Perserkätzchen aus Frankreich mit. Nun trauert der Besitzer, weil beide verschwunden sind, zuerst konnte es sich keiner erklären, aber dann entdeckte jemand den Python im Garten. Er sah aus, als hätte er ein Rugby-Ei verschluckt. Nun ja, die Tropen. Der Alltag für die meisten Mieter ist freilich weniger aufregend, auch wenn Experten der Wildtierabteilung rund um die Uhr bereitstehen, um nach Möglichkeit alles lebend wieder einzufangen, was in Singapur kreucht und fleucht. Der Stadtstaat ist stolz auf seine Artenvielfalt, die in den grünen Adern zwischen den Hochhäusern überlebt hat.

Die SZ berichtet in dieser Serie in loser Folge über den Wohnungsmarkt in den wichtigen Metropolen der Welt. Bisher sind erschienen: Madrid (23. 10.), Peking (30. 10.), Rio de Janeiro (6. 11.), Sydney (13. 11.), London (20. 11.), Tokio (27. 11.), Wien (11. 12.), Goma (2./3. 1.), Tel Aviv (8. 1.), Paris (15.1.), Brüssel (22. 1.), New York (29. 1.), Vancouver (5. 2.), Zürich (12. 2.), Rom (26. 2.), Moskau (4. 3.), Stockholm (1. 4.), Istanbul (6. 5.) Los Angeles (20. 5.) und Warschau (17.6.)

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