Süddeutsche Zeitung

Schweizer Nationalbank senkt Leitzins:Schock am Nationalfeiertag

Medikamente, Uhren, Käse: Weil der Franken immer weiter steigt, wird es schwierig für Schweizer Unternehmen, ihre Produkte im Ausland loszuwerden. Jetzt hat die Nationalbank gehandelt und den Leitzins gesenkt.

Wolfgang Koydl, Zürich

Beim Bootsanleger vor dem Hauptbahnhof in Luzern ist von einer Währungskrise nichts zu spüren: Hier, wo die Ausflugsschiffe in den Vierwaldstätter-See stechen, wimmelt es nur so von Touristen. Man hat den Eindruck, dass die Stärke des Schweizer Frankens gegenüber dem Euro oder dem US-Dollar dem Fremdenverkehr nicht geschadet hätte. Erst wenn man etwas näher hinsieht und hinhört bemerkt man, dass die meisten Touristen nicht mehr aus den USA oder der Euro-Zone kommen, sondern aus China, Indien oder Russland.

Die Feriengäste aus den aufstrebenden Volkswirtschaften sind auch der Grund, weshalb der Schweizer Tourismus bei weitem noch nicht unter dem Höhenflug der nationalen Währung gelitten hat wie andere Wirtschaftszweige. Dem Andenken-Händler ist es letztlich gleichgültig, wem er die Kuckucksuhr verkauft. Wenn ein Teil der globalen Kundschaft momentan ein wenig klamm ist, gibt es immer andere kaufkräftige Nationen.

So leicht können es sich die Pharma-, Uhren- oder Maschinenbau-Unternehmen und Käsereien der Schweiz leider nicht machen. Nicht einmal so sehr das Ausmaß des Verfalles von Euro und Dollar gegenüber dem Franken (minus 18 und minus 24 Prozent seit Anfang des Jahres) bereiten ihnen Kopfschmerzen, sondern das Tempo dieses Umbruches.

Ein neuer Rekord wurde ausgerechnet am 1. August, dem Schweizer Nationalfeiertag, erreicht: Während die Schweizer bei strahlendem Sonnenschein im Garten grillten und das abendliche Feuerwerk vorbereiteten, schoss ihre Währung binnen Stundenfrist in unglaubliche Höhen: von 1,13 Franken für einen Euro am Tagesbeginn auf weniger als 1,10 Franken zu Börsenschluss. Ganze 93 Cent musste man also für einen Franken zahlen.

Damit war für die Schweizer Nationalbank (SNB) die Schmerzgrenze überschritten. In einem Überraschungscoup senkte sie einen wichtigen Leitzins auf nahezu Null ab und pumpte massiv Franken in den Geldkreislauf. Das Zielband für den Drei-Monats-Libor, zu dem sich Banken untereinander Geld leihen, wurde auf null bis 0,25 Prozent verengt. Zugleich gab die SNB eine allmähliche Erhöhung der Giroguthaben der Banken von 30 auf 80 Milliarden Franken bekannt. Damit wird die Liquidität erhöht, die durch die massiven Franken-Aufkäufe ausländischer Hegdefonds in den letzten Monaten schwer gelitten hatte. Die Schweizer Währung sei derzeit massiv überbewertet, erklärte die Notenbank. Zudem hätten sich die weltweiten Wirtschaftsaussichten eingetrübt. Dies bedrohe die Entwicklung der Wirtschaft in der Schweiz.

Ob diese Schritte der Zentralbanker ausreichen werden, um Franken-Spekulanten Einhalt zu gebieten, wird sich erst zeigen. Sicher ist nur, dass der Spielraum der SNB beschränkt ist. An Vorschlägen hatte es ja nicht gemangelt. Swatch-Chef Nicolas Hayek etwa hatte weitere Euro-Aufkäufe der Bank gefordert - obwohl erst im Mai letzten Jahres derartige Käufe bei einem Kurs von 1,40 Franken zum Euro der Nationalbank Buchverluste von mehr als zehn Milliarden Franken beschert haben.

Ex-Nationalbanker Niklaus Blattner wies zudem darauf hin, dass allein das schiere Volumen der weltweit von den Spekulationen erfassten Geldmengen - Hunderte Milliarden an Dollar und Euro - die Möglichkeiten der Schweizer Währungshüter ganz einfach überstiegen: Das Meer könne man nicht alleine austrinken. Ähnlich argumentierte der Wirtschaftswissenschaftler Walter Wittmann von der Universität Freiburg. Wenn sie wirklich helfen wolle, rechnete er vor, müsse die SNB 500 bis 1000 Milliarden Franken drucken. Aber allein dieser Gedanke sei lächerlich. Am realistischsten sah es Martin Neff, der Chef-Ökonom der Großbank Credit Suisse, der völlig irrationale Ängste der Anleger für die Franken-Hausse verantwortlich machte. Eine Verbesserung sei erst wieder denkbar, "wenn sich die Märkte ausgekotzt" hätten.

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SZ vom 04.08.2011/jab
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