Schweden:"Wenn der Staat eingreift, dann hart und gerecht"

Als Steuerminister sanierte Bo Lundgren einst das marode Bankensystem Schwedens - ein Paradebeispiel für einen staatlichen Eingriff ins Finanzsystem.

G. Herrmann

Bo Lundgren, 61, war Anfang der 90er Jahre schwedischer Steuerminister der liberalkonservativen Regierung unter Ministerpräsident Carl Bildt. Schwedens Banken befanden sich damals in einer tiefen Krise, mehrere Pleiten drohten. Lundgrens erste Aufgabe war darum die Sanierung der maroden Geldinstitute. Die Rettungsaktion der Regierung Bildt gilt als Beispiel für einen gelungenen staatlichen Eingriff ins Finanzsystem und wird derzeit auch in den USA immer wieder als Vorbild genannt. Lundgren ist heute Chef von "Riksgälden", der Behörde, die Schwedens Staatsschulden verwaltet.

Schweden: Früherer schwedischer Steuerminister Bo Lundgren.

Früherer schwedischer Steuerminister Bo Lundgren.

(Foto: Foto: AP)

SZ: Herr Lundgren, wie kam es zu der schwedischen Finanzkrise Anfang der 90er Jahre?

Lundgren: Wir hatten früher in Schweden strenge Regeln für die Vergabe von Krediten. Die wurden 1985 aufgehoben, und die Banken begannen, sehr viel Geld zu verleihen, besonders für den Kauf von Immobilien. Es gab eine Spekulationsblase. Als die platzte, fielen die Preise für Häuser und Grundstücke mancherorts um 50 Prozent. Da die Banken Immobilien als Sicherheiten für ihre Kredite genommen hatten, machten sie bald große Verluste. Die staatliche Nordbank war als Erste betroffen.

SZ: Wann erkannten Sie, dass die Krise die gesamte Branche betrifft?

Lundgren: Wir (die konservativen Moderaten, Anm. d. Red.) gewannen im Herbst 1991 die Wahl. Mein erster Arbeitstag als Minister war ein Freitag, am Montag wurde mir mitgeteilt, dass "Första Föreningssparbanken" - vergleichbar mit einer deutschen Sparkasse - vor dem Konkurs steht. Diese Bank durfte nicht fallen. Zum einen wegen der vielen Kunden. Zum anderen, weil sie viel Geld im Ausland geliehen hatte. Bei einem Konkurs hätten ausländische Investoren Angst vor Schweden bekommen. Mit Hilfe anderer Sparkassen konnten wir das Problem zunächst lösen. Im Sommer verschärfte dann eine Währungskrise die Situation, und im September 1992 kamen die Eigentümer der privaten Gotabank eines Abends zu uns und sagten: "Die Gotabank ist keine Bank mehr." Die hatten mehr als ein Drittel ihrer Kredite verloren. Völlig bizarr, eigentlich.

SZ: Retteten Sie die Gotabank?

Lundgren: Wir garantierten allen Gläubigern, dass ihr Geld sicher ist. Aber die Sache begann, das System zu destabilisieren. Keiner wagte mehr, Kredite zu geben - ähnlich wie heute. Die Regierung sprach darum auch eine Garantie für alle anderen Banken aus. Wir schützten das Kapital der Gläubiger und Kunden, aber nicht das der Bankaktionäre. Wir boten an, bei vorübergehenden Engpässen mit staatlichen Garantien zu helfen. Für die berechneten wir eine Gebühr. Aber wenn eine Bank Geld von uns brauchte, sagten wir den Aktionären: Wenn ihr vom Staat Kapital bekommt, wird er dafür den entsprechenden Einfluss im Unternehmen verlagen. Bei der Gotabank machten wir das so.

SZ: Der Staat verhielt sich ...

Lundgren: ... wie jeder andere Kapitalist. Aber er war eben der einzige Kapitalist, der es überhaupt noch wagte, in die Bank zu investieren. Die Übernahme war unsere einzige Möglichkeit, die Kosten für den Steuerzahler auf lange Sicht möglichst niedrig zu halten.

SZ: Wie sah die Zerschlagung der übernommenen Banken aus?

Lundgren: Sowohl für die Nordbank als auch für Gotabank bildeten wir eigene Abwicklungsunternehmen. Die hießen Securum und Retriva. Diese Unternehmen bekamen die schlechten Kredite, ein Startkapital und einige Jahre Zeit, um so viel von den Krediten zurückzuholen wie möglich. Die waren geschickt - am Ende bekam der Staat sogar etwas Geld raus. Die gesunden Teile der Gotabank und der Nordbank wurden fusioniert und heißen heute Nordea - 20 Prozent gehören immer noch dem Staat.

SZ: Andere Banken benötigten keine Hilfe?

Lundgren: Es baten einige um Unterstützung. Die Föreningssparbank - Vorläufer der heutigen Swedbank - bekam eine der erwähnten Garantien, die sie aber nie benötigte. Die interessantesten Verhandlungen hatten wir mit den Eigentümern der SEB. Die dachten, dass der Staat ihnen einfach so mit Geld hilft - ohne Einfluss zu verlangen. Sie argumentierten: Wenn der Staat eine Form von Hilfe anbietet, bei der die alten Aktionäre ihren Einfluss verlieren, könnten die alten Aktionäre dieses Angebot ausschlagen. Dann geht es der Bank noch schlechter, und das schadet der ganzen Volkswirtschaft. Darum sollte der Staat uns entgegenkommen.

SZ: Wie reagierten Sie?

Lundgren: Wir haben schnell ein Gesetz erlassen, das es dem Staat erlaubte, eine Bank auch gegen den Willen der Aktionäre zu übernehmen, wenn sie nicht mehr über die vorgeschriebene Kapitaldeckung verfügt.

SZ: Sie drohten mit Zwangsübernahme?

Lundgren: Ich bin zwar Marktliberaler, aber ich meine: Wenn der Staat eingreift, dann hart und gerecht. Das Gesetz führte jedenfalls dazu, dass die SEB-Spitze begriff, wie ernst wir es meinten. Zum Glück ging es wirtschaftlich zu diesem Zeitpunkt gerade wieder aufwärts. Und den Aktionären - vor allem der Familie Wallenberg - gelang es aus eigener Kraft, das nötige Kapital zu beschaffen, um die Bank zu retten. Das war gut, denn es hat den Steuerzahler nichts gekostet. Wären wir bei der SEB eingestiegen, hätten wir das Gleiche mit ihr gemacht wie mit den beiden anderen Banken.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Lundgrens Einschätzung zur aktuellen Finanzkrise.

"Wenn der Staat eingreift, dann hart und gerecht"

SZ: Wenn der Staat hilft, muss es also ein bisschen weh tun?

Lundgren: Es muss sogar sehr weh tun! In der Gotabank und der Nordbank feuerten wir die gesamte Führungsriege. Die hatten gute Fallschirme, aber letztlich haben sie nur zwei Jahresgehälter Entlassungsprämie bekommen statt der eigentlich vorgesehenen fünf. Denn wir haben uns das Geld später als Schadenersatz zurückgeholt. Wir haben die Vorstände und die Aufsichtsräte verklagt, weil sie den Banken - deren Eigentümer wir ja nun waren - so hohe Verluste verursacht hatten.

SZ: Hatte das harte Vorgehen politische Gründe?

Lundgren: Natürlich. Die Menschen sind verärgert, und darum muss man etwas tun, um sich Legitimität zu verschaffen. Aber ich finde, es gibt auch sachliche Gründe: Wenn man in einem Aufsichtsrat sitzt und eine Bank falsch leitet, dann sollte man nachher die Konsequenzen tragen. Und das mussten die dann auch.

SZ: Was halten Sie von der Rettungsaktion der US-Regierung?

Lundgren: In der ersten Version des Rettungspaketes hieß es, der Staat kann Vermögenswerte übernehmen, die stark an Wert verloren haben, etwa faule Kredite. Das bedeutet doch: Wenn etwas vor der Krise 100 wert war und jetzt nur noch 20, dann muss der Staat immer noch 60 bis 70 dafür bezahlen, damit sein Eingreifen etwas nützt.

SZ: Bekommt der Staat das Geld wieder?

Lundgren: Ja vielleicht, aber es gibt ein Risiko.

SZ: Haben die Aktionäre in der Bank etwas davon?

Lundgren: Nun, es geht ihnen sicher schlechter als vor der Krise. Aber es geht ihnen viel besser, als wenn der Staat die Bank übernommen hätte. Besser hätte ich gefunden, wenn der Staat sagt: Wir geben euch, aber wir wollen dafür die entsprechenden Anteile an eurer Bank. In dem neuen Paket der US-Regierung gibt es nun zumindest die Möglichkeit, so etwas zu tun. Das ist eine Verbesserung.

SZ: Kann man das Schweden der 90er Jahre einfach so mit den heutigen USA vergleichen?

Lundgren: Die Probleme in den USA sind komplexer und größer. Aber es gibt grundlegende Gemeinsamkeiten. In jeder Finanzkrise sind zwei Dinge wichtig, um sie zu meistern. Zum Ersten geht es darum, verlorenes Vertrauen in die Banken wieder herzustellen. Zweitens muss man sicherstellen, dass verloren gegangenes Kapital ersetzt wird, damit wieder Kredite an Unternehmen und Haushalte vergeben werden können. Diese Probleme sind die gleichen, egal ob in Schweden, Deutschland oder den USA. Nach meiner Erfahrung ist unerhört wichtig, dass die Aktionäre zuerst bezahlen, dass es kein leichtes Geld gibt. Dann muss der Staat nicht so stark eingreifen, denn man setzt den privaten Sektor unter Druck, damit er sich selbst hilft.

SZ: Sie gehören einer liberalkonservativen Partei an. Gab es keine Diskussionen über den starken Eingriff in die Eigentümerstruktur?

Lundgren: Nein. Ich meine, es war damals wichtig, in den übernommenen Banken schnell unabhängige Unternehmensführungen zu installieren. In den Aufsichtsräten hatten wir nur einen Vertreter des Finanzministeriums sitzen. Außerdem ist es natürlich wichtig, dass der Staat seine Anteile verkauft, sobald es möglich ist. Ich will einen kleinen Staat mit niedrigen Steuern. Aber wenn es Krieg gibt oder einen Hurrikan, erwarte ich, dass er etwas tut. Und bei einer Kernschmelze im Finanzsystem muss er auch eingreifen. Der Staat muss das System wieder herstellen. Das kann dauern - in Schweden haben wir ein paar Jahre gebraucht - aber durch das Wiederherstellen ist unser System besser geworden.

SZ: Was hat das Ganze gekostet?

Lundgren: Nach neuesten Berechnungen - die aber umstritten sind - machte der Staat bis 2007 etwa 154 Millionen Kronen Gewinn. Da ist der Wert der Nordea-Aktien eingerechnet, die der Staat immer noch besitzt. Im Großen und Ganzen haben wir demnach unser Geld wieder hereinbekommen.

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