Schuldenstaat Griechenland:Thilo Sarrazin: Athen ähnlich wie Bremen

Thilo Sarrazin analysiert die griechische Tragödie. Als Gast von CSU-Politiker Gauweiler gefällt sich der Bundesbanker als düsterer Mahner.

Tobias Dorfer

In Griechenland gerät die Finanzwelt aus den Fugen, und 2000 Kilometer nordwestlich warten im Festsaal des Münchner Nobelhotels Bayerischer Hof mehr als hundert Menschen auf klärende Worte des Bundesbankers Thilo Sarrazin - dem ja zu allem etwas einfällt, selbst zu "Kopftuchmädchen".

Thilo Sarrazin, ddp

Angesichts der Probleme Griechenlands gefällt dem ewigen Provokateur Thilo Sarrazin nun einmal die Rolle des düsteren Mahners.

(Foto: Foto: ddp)

Einige nippen an einem Glas Mineralwasser, der Viertelliter zu 4,10 Euro. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler hat geladen und präsentiert den streibaren Bundesbank-Vize. Ja, es soll um die öffentlichen Finanzen gehen, und damit natürlich auch um Griechenland und die Europäische Währungsunion.

Das Problem ist, dass Griechenland jahrelang, ähnlich wie die USA, über seine Verhältnisse gelebt hat. Man könnte sagen, hier wurde zu oft Wasser für 4,10 Euro pro Viertelliter konsumiert. Die Lage ist kompliziert. Und die Hoffnung der Zuhörer im Bayerischen Hof ist, dass Thilo Sarrazin die griechische Schuldensituation verständlich analysieren und glaubhaft einen Weg aus der Misere aufzeigen kann.

Schließlich hat der streitfreudige SPD-Politiker als Berliner Finanzsenator einst das Kunststück vollbracht, die Kassenlage der Bundeshauptstadt in geordnete Bahnen zu bringen.

"Wenn Sie einschlafen, ist das nicht schlimm"

Thilo Sarrazin hat von den Ereignissen, die sich am frühen Dienstagabend zugetragen haben, nichts mitbekommen. Er weiß zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass die Ratingagentur Standard & Poor's die griechischen Anleihen als "Ramsch" deklariert hat. Er hat nicht mitbekommen, dass der Dax in Frankfurt zum Handelsschluss eingebrochen und der Euro auf den tiefsten Stand seit zwölf Monaten gerutscht ist.

So etwas kümmert Thilo Sarrazin auch nicht weiter - denn er ist nicht nach München gekommen, um in Manier des RTL-Schuldenfachmanns Peter Zwegat den Kassensturz Athens einzuleiten. Nein, der Bundesbanker knöpft sich die Europäische Gemeinschaft vor.

In Stile einer volkswirtschaftlichen Vorlesung im überheizten Hörsaal widmet er sich dem Weg Athens ins Debit-Dilemma. 50 Powerpoint-Folien hat Sarrazin mitgebracht, von denen er allerdings nur 39 vorführt. Sie zeigen Grafiken, Zeitleisten, Tabellen und jede Menge Zahlen. Keine Kopftuchmädchen-Rhetorik, keine Hartz-IV-Provokation.

Einige Zuhörer sacken auf ihren Stühlen zusammen. "Wenn Sie jetzt einschlafen, ist das auch nicht schlimm", sagt Sarrazin. Die Sache mit dem Euro und Athen ist kompliziert.

Alle, die sich ein Nickerchen im Festsaal gönnen, verpassen eine Abrechnung mit dem Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt. Die ist im Vokabular für sarrazinistische Verhältnisse zwar weitgehend harmlos, in der Sache jedoch umso schonungsloser. Der Referent aus Frankfurt bemängelt die Wirkungslosigkeit der Maastricht-Abmachungen, die nicht vorhandenen Verfahren zur Bekämpfung des Schulden-Wahnsinns - und das Fehlen einer funktionierenden Kontrolle der EU-Partner. All das habe er im Kleinen als Finanzsenator in Berlin auch erlebt, sagt Sarrazin. Damals habe auch keiner nachgeprüft, ob die Zahlen, die Bremen vorgelegt hat, tatsächlich stimmten.

Egal, ob Bremen oder Griechenland - irgendwie scheinen sich die politischen Muster quer durch Hierarchien und Institutionen zu gleichen.

Lesen Sie auf Seite 2, warum Griechenland nach Ansicht von Sarrazin auch bei großen Sparbemühungen und ansehnlichem Wirtschaftswachstum weiter im Schuldensumpf versinken wird.

"Zu Staub zerfallen"

Wie die perfekte Währungsunion aussieht, skizziert der streitbare Bundesbanker anhand eines Buches, das zwölf Jahre alt ist. Es trägt den Titel Der Euro - Chance oder Abenteuer? und wurde praktischerweise von Thilo Sarrazin selbst geschrieben.

Öffentliches Defizit der Euroländer 2009; Graphik: sueddeutsche.de
(Foto: Graphik: sueddeutsche.de)

Das Credo des Werkes: Nicht die Staatengemeinschaft, sondern die Zinssätze für Kredite disziplinieren die Schuldner - wer schlecht wirtschaftet, muss mit teuren Krediten leben. Staatshilfen für allzu ausgabefreudige Staaten sind in dem Konzept nicht vorgesehen.

"Die Mitgliedsländer werden umso eher eine selbstverantwortliche und stabilitätsgerechte Finanzpolitik betreiben, je eindeutiger jedwede Hoffnung auf direkte oder indirekte Hilfe der EU bei finanziellen Notlagen ausgeschlossen werden kann", zitiert Sarrazin genüsslich.

"Zu Staub zerfallen"

Die Euroländer haben das einmal ähnlich gesehen und vertraglich festgehalten, dass notleidende Partner kein Geld von der Gemeinschaft bekommen sollen. Wie schnell sich so eine Meinung drehen kann, zeigt der Bundesbank-Vize auf Folie 23 anhand von Zitaten des Bundesfinanzministers.

Anfang Februar sagte Wolfgang Schäuble: "Wenn man längere Zeit über die Verhältnisse lebt, dann zahlt man dafür einen Preis, den einem niemand ersparen kann." Zweieinhalb Monate später kommentierte der CDU-Mann den Hilfsplan folgendermaßen: "Das ist kein Akt der Großzügigkeit, sondern der Wahrnehmung der Verantwortung für die Stabilität des Euro."

Vielleicht ist Schäuble genauso von den Ereignissen überrumpelt worden wie Sarrazin. Der sagt jetzt, das Prinzip, "an das ich bis vor wenigen Monaten geglaubt habe, ist zu Staub zerfallen".

Und nun? Sollen die EU-Partner Griechenland helfen? Und das im Wissen, dass Portugal, Spanien und Italien ähnliche Probleme haben? Ist eine Umschuldung die Lösung? Oder soll am Ende Griechenland den Staatsbankrott wagen?

Thilo Sarrazin behält seine Meinung für sich. Dafür stellt er eine Rechnung auf, die Schlimmes befürchten lässt: Selbst wenn sich die optimistische Annahme bewahrheiten sollte, dass die griechische Wirtschaft jährlich um zwei Prozent wächst, die Regierung ihre Ausgaben um zehn Prozent kürzt und Kredite zu fünf Prozent Zins aufzunehmen sind, würde sich Athens Schuldenstand in sieben Jahren von derzeit 113,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf 148,2 Prozent erhöhen.

Konkret: Auch wenn Griechenland drastisch spart, das Wachstum ordentlich ist und die Zinssätze moderat, gerät das Land immer tiefer in den Schuldensumpf.

An diesem Abend spitzt der streitbare Bundesbanker mit Zahlen zu, nicht mit Sprüchen. Für Bierzelt-Rhetorik ist hier nur Peter Gauweiler zuständig. Der poltert gegen die Banken, die mit dem Leid Griechenlands Geld verdienten. Nicht die Steuerzahler sollten die Zeche zahlen, sondern die Institute, wütet der CSU-Politiker.

Es ist nicht ganz klar, ob sein Kopf wegen des hellen Jacketts so rot wirkt oder wegen seines Zorns. Gauweiler redet vom Monopoly-Spiel der Krisenstaaten. Er schreit, er wütet, er witzelt.

Und Thilo Sarrazin? Der Wirtschaftsexperte sitzt neben ihm und stützt nachdenklich den Kopf auf die Hände. Er lächelt kein einziges Mal.

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