Schuldenkrise und Börsencrash:Angst vor dem Endlos-Trauma

Wer den Euro-Bund zusammenhalten will, braucht einen Retter, der rasch und ohne Rücksichten handeln kann - mit einer tiefen Tasche voller Geld. Nur wer soll das sein? Kein Wunder, dass die Märkte in Aufruhr sind und Banker sagen: Die Stimmung ist schlimm. So schlimm wie in der Lehman-Krise 2008.

Martin Hesse und Catherine Hoffmann

Euro gerettet, ab in den Urlaub. So gingen Kanzlerin Angela Merkel und die anderen Teilnehmer des Brüsseler Krisengipfels vor zwei Wochen auseinander. Erleichtert angesichts des vermeintlichen Erfolges und auch ein bisschen stolz. Doch kaum hatte die politische Elite Brüssel und Berlin verlassen, da knallte es erneut an den Finanzmärkten. Die Schuldenkrise in Europa hat ein neues, dramatisches Stadium erreicht. Was war, was kommt?

TV crews film the DAX board at the Frankfurt stock exchange

Auch an der Frankfurter Börse ging es bergab. An den Märkten droht eine Liquiditätskrise.

(Foto: REUTERS)

Märkte in Aufruhr

Nackte Angst hat die Investoren an den Finanzmärkten ergriffen. "Es ist eine Stimmung wie im Herbst 2008", sagt eine Investmentbankerin. Das war das Jahr, in dem die Investmentbank Lehman Brothers pleite ging. Jetzt scheint sich die Geschichte zu wiederholen. Frankfurter Banker berichten, dass ihre Großkunden alles meiden, was nach Risiko riecht. Wo aber keiner kaufen will, müssen gar nicht viele verkaufen, um die Kurse rutschen zu lassen. Es droht eine Liquiditätskrise, die Märkte könnten einfrieren - wie im Herbst 2008.

Besonders trifft es die Staatsanleihen Spaniens und Italiens. Banken, Versicherungen und Vermögensverwalter bauen ihre Bestände ab und treiben die Zinsen nach oben, welche die dritt- und die viertgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone auf ihre Staatsanleihen zahlen müssen. Binnen zwei Wochen sind die Renditen Italiens und Spaniens um rund einen Prozentpunkt gestiegen, zeitweise bis auf 6,5 Prozent. Bei rund sieben Prozent flüchteten sich Griechenland, Irland und Portugal unter den Rettungsschirm. Damit ist klar: Italien und Spanien haben sich angesteckt. Es besteht die Gefahr, dass sie sich nicht aus eigener Kraft aus der Schuldenfalle befreien können.

Italien und Spanien brennen

Aber warum misstrauen die Investoren Italien und Spanien gerade jetzt? Aus den beiden Länden selbst gibt es kaum Neues, was den Stimmungswandel erklären könnte. Verändert haben sich die Bedingungen um sie herum: Erstens fürchten Anleger ein deutlich langsameres Wirtschaftswachstum in der Welt. Außerdem hat die wochenlange Diskussion um die Schuldengrenze in den USA Investoren vor Augen geführt, dass die Politik unfähig ist, die Schuldenprobleme mit grundlegenden Reformen anzugehen. Auch Italien und Spanien sprechen Anleger diese Fähigkeit zunehmen ab.

Zweitens machte der jüngste Euro-Rettungspakt den privaten Gläubigern deutlich, wie gefährlich die Staatsschuldenkrise für sie werden kann. Zwar sollen sie nur auf 21 Prozent des Geldes verzichten, das sie Griechenland geliehen haben. Doch das ist womöglich nur der Anfang. Der Banken-Stresstest förderte zutage, welch hohe Summen Europas Banken in Euro-Staatsanleihen investiert haben: 289 Milliarden Euro in Italien, 686 Milliarden Euro in den fünf Krisenländern Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien (PIIGS). Seit der Umschuldung Griechenlands sind die Ausfallrisiken plötzlich real.

Drittens hat der Rettungspakt selbst entscheidende Schwächen: Er räumt zwar dem Hilfsfonds EFSF mehr Macht ein. Doch die Beschlüsse sind nicht ausgearbeitet und schon gar nicht umgesetzt. Die Krisenstaaten brauchen aber schon jetzt jede Woche neues Geld. Außerdem beschlossen die Euro-Staaten keine Aufstockung des Fonds. "Der Fonds hat neue Waffen, aber keine Munition", kommentierte die Citigroup die Pläne.

Die Politik streitet

EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso drängt daher auf eine Aufstockung des 440 Milliarden Euro schweren EFSF. Die Regierungen müssten sicherstellen, dass der Fonds "über die Mittel verfügt, um Ansteckungsgefahren zu bekämpfen". Dabei können die Krisenmanager bislang noch nicht einmal über die 440 Milliarden Euro verfügen. Da die Parlamente der letzten Erhöhung noch nicht zugestimmt haben, bleibt das Volumen vorerst auf 255 Milliarden Euro beschränkt. Die Bundesregierung lehnt Barrosos Vorschlag brüsk ab, sie kennt den Widerstand im deutschen Parlament. Da die Politik nicht handlungsfähig ist, springt EZB-Chef Jean-Claude Trichet in die Bresche. Er signalisiert, dass er durchaus bereit ist einzugreifen und Anleihen schlingernder Staaten zu kaufen. Ob er damit auch Italien und Spanien meint, bleibt der Spekulation überlassen. Peinliches Ergebnis der hilflosen Aktion: Verluste an den Börsen soweit das Auge reicht.

Lehren aus Lehman

Am 15. September 2008 ließ die US-Regierung die Investmentbank Lehman Brothers kollabieren. Es war für einige Zeit der letzte größere Fehler, den die Politik in der Bekämpfung der damaligen Finanzkrise machte. Kurz darauf reagierten die Regierungen der größten Industrienationen geschlossen und mit Macht auf die Probleme der Banken. Deshalb funktionierte damals das Krisenmanagement. Allein die Bundesregierung stellte einen Bankenrettungsfonds mit 500 Milliarden Euro auf die Beine. Letztlich brauchten die Kreditinstitute gerade einmal 18 Milliarden Euro Kapital. Insgesamt haben Europas Politiker fast zwei Billionen Euro für Bankenhilfe und Konjunkturprogramme gespendet - allerdings mit dem traurigen Resultat, dass viele Staaten nun überschuldet sind.

Hilflose Krisenmanager

Heute können die Regierungen nicht noch einmal einen so großen Geldtopf auf den Tisch stellen, dazu fehlen die Mittel. Auch der IWF, der ein Drittel der Summe beisteuern müsste, sperrt sich. Ein großer Betrag aber wäre gefragt. Die PIIGS-Staaten haben allein in den kommenden drei Jahren einen Finanzierungsbedarf von 919 Milliarden Euro. Um die Börsianer zu beeindrucken, müsste der Fonds also mit einem Volumen von ein oder zwei Billionen Euro überzeugen - illusorisch. Scheitern dürfte der Plan allein daran, dass im Ernstfall Italien und Spanien als Geldgeber ausfallen. Sie müssen 30 Prozent der Mittel aufbringen, Deutschland 27 Prozent. Schon die Mitte September geplante nächste Rate des Hilfskredits für Griechenland könnten die Notsituation auslösen. Während Athen für die Kredite neuerdings nur 3,5 Prozent zahlt, müssen sich Italien und Spanien als Geldgeber fast doppelt so teuer finanzieren. Sie zahlen also drauf; das birgt Sprengkraft. Brächen die beiden Mittelmeerländer weg, müsste Berlin fast die Hälfte des Geldes stemmen, das der Fonds braucht.

Auch die EZB ist nicht bereit, noch einmal eine so dominante Rolle als Retter zu spielen, zumal heute nicht die Banken im Feuer stehen, sondern die Staaten. Die beiden deutschen Währungshüter im EZB-Rat, Bundesbankchef Jens Weidmann und EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark, laufen Sturm gegen den erneuten Ankauf von Ramschanleihen finanziell angeschlagener Euro-Länder durch die EZB. Sie fordern eine Finanzierung der Hilfen durch die Staatshaushalte.

Das dicke Ende

Ein bisschen mehr Geld für den Rettungsfonds oder Anleihenkäufe sind also allenfalls eine weitere Etappe auf dem Weg zur Lösung der Schuldenkrise, aber nicht ihr Endpunkt. Wer den Euro-Bund zusammenhalten will, braucht einen Retter mit tiefen Tasche, der schnell und ohne politische Rücksichten handeln kann. Für diese Rolle kommt nur Trichet in Frage. Er könnte alle Staatsanleihen aufkaufen, die niemand will. Faktisch würde dann die Notenbank die Staatshaushalte finanzieren. Das war in Deutschland schon einmal das Rezept für Hyperinflation, in der Weimarer Republik. Eine Wiederholung verbietet sich.

Der einstige Chefvolkswirt von Bundesbank und EZB, Otmar Issing, verurteilt derartige Gedankenspiele. Er schlägt vor, Griechenland nach einer Umschuldung aus der Währungsunion auszuschließen. Im FAS-Interview wagt er deshalb die Prognose: "Der Euro wird nicht lange überleben." Das ist eine Lösung, die politisch nicht gewünscht ist. Kanzlerin Angela Merkel bezeichnete es erst im Juli nach dem Brüsseler Gipfel als "unsere historische Aufgabe, den Euro zu schützen". Sie ist überzeugt: "Das ist jede Anstrengung wert."

Die Anstrengung muss groß sein, denn in der Logik der Finanzmärkte gibt es nur einen Weg, die Währungsunion zusammenzuhalten: weiter voranzumarschieren in Richtung Haftungs- und Transferunion. Mit gemeinsamen Euro-Bonds ließe sich die Misere lösen. Betrachtet man die Euro-Gemeinschaft wie die Vereinigten Staaten von Amerika, dann sind sie zahlungsfähig. Die Bonität ist hoch genug, um am Markt Geld aufzunehmen. Die Schulden sind gewaltig, aber nicht erdrückend. Das Wachstum reicht, um die Aufgabe zu bewältigen. So ließe sich die Krise eindämmen.

Der Preis dafür wäre allerdings hoch: Euro-Bonds schaffen Anreize, schlecht zu haushalten. Wenn eine abstrakte Gemeinschaft zahlt, gibt jede Regierung das Geld gerne aus. Deshalb müsste mangelnde Haushaltsdisziplin mit harten Sanktionen bestraft werden. Nur dann vertrauen Anleger den gemeinsamen europäischen Staatsanleihen.

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