Süddeutsche Zeitung

Schuldenkrise in Italien:Berlusconis Rückzugsplan beflügelt Börsen

Italiens Premier Berlusconi will gehen - aber nicht sofort: Er werde zurücktreten, sobald das von der EU geforderte Stabilitätsgesetz verabschiedet sei. Die Anleger reagieren erleichtert: Die Börsen in Frankfurt und Tokio verbuchen Gewinne, der Dow Jones schließt im Plus. In Italien ist die Debatte über die Nachfolge des Cavaliere voll entbrannt.

Mehr als 17 Jahre hat Silvio Berlusconi Italiens Politik geprägt. Nun muss er selbst einräumen, dass seine Mitte-rechts-Koalition am Ende ist, zum Schluss hatte er nicht einmal mehr das eigene Lager hinter sich. Am Dienstagabend dann stellte er seinen Rückzug in Raten in Aussicht. Zunächst wolle er noch das von der EU geforderte Reformgesetz für mehr Wachstum durchsetzen, erklärte er nach einem Krisengespräch mit Staatspräsident Giorgio Napolitano.

"Die Regierung hat nicht mehr die Mehrheit, die wir zu haben glaubten", sagte der gescheiterte Regierungschef dem italienischen Fernsehen. "Wir müssen also diese Situation realistisch zur Kenntnis nehmen und uns um die Lage Italiens kümmern und um das, was auf den Finanzmärkten geschieht", fügte er an.

Die Rücktrittsankündigung Berlusconis sorgte für leichte Entspannung an den Finanzmärkten, wenngleich der Euro am Mittwoch zunächst wieder unter die 1,38-Dollar-Marke fiel. Mit 1,3790 Dollar lag er unter seinem Vortagesschluss von 1,3834 Dollar. Der deutsche Aktienmarkt startete dagegen mit Gewinnen in den Handel, ähnlich wie die Börsen in Asien und wie der Dow-Jones-Index an der New Yorker Wall Street am Vorabend geschlossen hatte.

Der Dax zog im frühen Handel um 1,05 Prozent auf 6023 Punkte an. Für den MDax ging es um 1,00 Prozent auf 9155 Punkte aufwärts und auch der TecDax gewann 0,77 Prozent auf 707 Punkte. "Zwar wird diese personelle Veränderung an der Regierungsspitze Italiens nichts an dem riesigen Schuldenberg des Landes ändern", kommentierte Roger Peeters, Vorstand von Close Brothers Seydler Research. Allerdings sei dies ein Signal, das eine "Atmosphäre der Veränderung" verbreite. Das helfe den Märkten.

Euphorisch fiel die Stimmung aber nicht aus. Selbst wenn Berlusconi gehe, bleibe die Unsicherheit in Italien groß, sagte Yuuki Sakurai, Chef von Fukoku Asset Management: "Das Austauschen von Politikern garantiert noch nicht, dass sich die finanzielle Situation in Italien verbessert." Dass die Anleger weiter verunsichert sind, zeigte sich auch am Rentenmarkt.

Berlusconi hatte am Dienstag die Konsequenz aus dem Verlust der Parlamentsmehrheit gezogen und seinen Rücktritt angekündigt. Er wird nach eigenen Worten sein Amt abgeben, sobald die von den europäischen Partnern verlangten Reformen vom Parlament verabschiedet sind.

Die Aussicht auf einen baldigen Rückzug hatte die Kurse an der Wall Street am Dienstag beflügelt: Die New Yorker Börse schloss mit Gewinnen, der Dow-Jones-Index der 30 führenden Industriewerte legte um 102 Punkte oder 0,8 Prozent auf 12.170 Zähler zu. Der Index der Technologiebörse Nasdaq stieg um 32 Punkte oder 1,2 Prozent und notierte bei 2727 Zählern.

Auch die Börsen in Asien starteten optimistisch in den Tag. Anleger schöpften Hoffnung, dass das schuldengeplagte Land nun dringend benötigte Reformen vorantreibt und so eine Ausweitung der europäischen Schuldenkrise verhindert wird. Der 225 Werte umfassende Nikkei-Index tendierte 0,9 Prozent im Plus bei 8735 Punkten. Der breiter gefasste Topix-Index legte um 1,2 Prozent zu auf 747 Zähler.

Italien wartet nun auf Staatspräsident Napolitano. Dieser muss nach der Rücktrittsankündigung Berlusconis das weitere Vorgehen sondieren. Nach der Abstimmung über die Maßnahmen im Stabilitätsgesetz werde es Konsultationen mit den Parteien geben, hieß es am Abend in Rom.

Dabei wolle der Staatspräsident den Vorschlägen und Positionen der politischen Kräfte in Italien "höchste Aufmerksamkeit" widmen. Nach den Fahrplänen des Parlaments dürfte zunächst der Senat vom 15. bis 18. November das Stabilitätsgesetz mit den Reformzusätzen der Regierung behandeln. Dann geht der Entwurf in das Abgeordnetenhaus.

Im Anschluss könnte Napolitano Neuwahlen ansetzen oder einen anderen Politiker mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragen.

Auslöser der Rücktrittsankündigung Berlusconis war ein kritisches Votum im römischen Parlament am Dienstag: Zwar passierte dort sein Rechenschaftsbericht 2010, doch stimmten nur 308 der 630 Abgeordneten dafür. Die absolute Mehrheit wären 316 Stimmen gewesen. Der Vorsitzende der Koalitionspartei Lega Nord, Umberto Bossi, hatte Berlusconi vor dem Votum aufgefordert, sein Amt aufzugeben.

Die Debatte über Berlusconis Nachfolger läuft auf Hochtouren. Ersetzt werden könnte er durch den Generalsekretär der Regierungspartei PDL (Volk der Freiheit), Angelino Alfano. "Jetzt schlägt Alfanos Stunde, er wird unser Kandidat sein. Er ist gut", sagte Berlusconi. Der Ministerpräsident lobte vor allem die "Führungskraft" seines Parteikollegen. Zunächst jedoch müsse Italien seinen Pflichten im Kampf gegen die Schuldenkrise nachgehen, sagte Berlusconi weiter. "Wir müssen den Märkten umgehend Antworten liefern." Er habe sich gegenüber der EU verpflichtet, sagte er. "Bevor ich gehe, möchte ich mein Versprechen halten."

Bei möglichen vorgezogenen Neuwahlen will der noch amtierende Ministerpräsident nicht wieder antreten. "Ich werde nicht wieder kandidieren", sagte er der Zeitung La Stampa. Er fühle sich zudem "erleichtert". Ob es zu Neuwahlen kommt oder eine Übergangsregierung eingerichtet wird, ist allerdings noch unklar.

Im Gespräch sind auch andere Kandidaten, darunter der ehemalige EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti als Chef einer Übergangsregierung aus Technokraten. Berlusconi könnte auch sein enger Vertrauter, Kabinettsminister Gianni Letta, als Regierungschef beerben.

Anhaltendes Misstrauen gegen Berlusconi

Ganz allerdings scheint die Opposition noch nicht überzeugt, dass Berlusconi seiner Rücktrittsankündigung nachkommt. Was diesen Schritt angehe, da vertraue er auf den Staatschef, erklärte Enrico Lette, Vizechef der größten Oppositionspartei PD - und drückte damit sein Misstrauen gegenüber Berlusconi aus. Die Opposition will in jedem Fall, dass Berlusconi seinen Schritt jetzt rasch "formalisiert".

Italien ist hochverschuldet, steht im Visier der Finanzmärkte und muss immer mehr Zinsen für frisches Geld bezahlen. Die Europäische Union und der Internationale Währungsfonds IWF überwachen inzwischen die Sanierungsschritte Italiens. Nach Athen weist Rom den höchsten Schuldenstand der Euro-Zone gemessen an der Wirtschaftsleistung auf.

US-Finanzminister Timothy Geithner bescheinigte dem Land derweil Fortschritte im Kampf gegen die Schuldenkrise. "Ich denke, dass sie vorankommen", sagte Geithner bei einem Besuch im US-Bundesstaat Arizona. "Es geht nicht so schnell, wie es die Welt braucht, aber sie machen Fortschritte."

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