Schuldenkrise:Rettung des Euro - um jeden Preis

Die Griechenland-Krise könnte weite Kreise ziehen - und doch ist ein Schuldenschnitt möglich, ohne dass dabei die ganze Welt angesteckt wird. Damit alles gutgeht, muss die EU klarmachen, dass Athen ein Sonderfall ist und die Verhältnisse in anderen Ländern ungleich leichter zu beherrschen sind.

Nikolaus Piper

Griechenland ist ein kleines Land am Rande Europas. Aber es könnte mit seiner Schuldenkrise die ganze Welt anstecken. Geschähe dies, würden sich die schlimmen Ereignisse nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers im September 2008 wiederholen - diese Angst grassiert heute auf den Finanzmärkten. Zu Recht?

New Finance Minister of Greece Evangelos Venizelos

Griechenlands neuer Finanzminister Evangelos Venizelos soll hart durchgreifen - und die Wirtschaft effizienter machen.

(Foto: dpa)

Wer das Schlimmste verhindern will, muss sich dieses Schlimmste vorstellen können.

Im Falle Lehman hatte sich die Wall Street mehr oder weniger darauf verlassen, dass die amerikanische Regierung die Investmentbank irgendwie retten würde. Umso größer war der Schock, als dies nicht der Fall war. Plötzlich wusste niemand mehr, wer wie hoch mit Lehman-Papieren belastet war, keine Bank traute der anderen, die Kreditmärkte froren buchstäblich ein. Hätte Konkurrent Morgan Stanley nicht im letzten Augenblick privates Kapital gefunden, wäre der Sturz in den Abgrund vermutlich nicht mehr aufzuhalten gewesen.

Heute sähe der schlimmste Fall so aus: Griechenland bedient seine Schulden nicht mehr, der Glaube setzt sich fest, Portugal, Irland und sogar Spanien stünden kurz davor, das Gleiche zu tun. Jeder weiß, dass dies enorm teuer für viele Banken in Frankreich und Deutschland wird, von Griechenland und den anderen Schuldenländern ganz zu schweigen. Der Umfang der Lasten bleibt im Dunkeln (die EU hat bisher öffentliche, harte Stresstests abgelehnt), daher wird die Geldbeschaffung für die Institute prohibitiv teuer. Weil die Finanzmärkte weltweit integriert sind, springt die Panik auch auf die Vereinigten Staaten über. So das Szenario.

Zum Wochenende ist es den Europäern wieder einmal gelungen, so eine globale Panik abzuwehren. Angela Merkel und Nicolas Sarkozy versprachen den Griechen neue Hilfen und legten fest, dass private Anleihegläubiger sich "in vollem Umfang freiwillig" an den Kosten beteiligen. Es ist eine etwas skurrile Umschreibung der Tatsache, dass sich die privaten Banken eben nicht beteiligen müssen. Die Finanzmärkte sind erleichtert, der Kurs des Euro gegenüber dem Dollar erholt sich wieder.

Für Merkels und Sarkozys Vorgehen gibt es einen schönen englischen Ausdruck: "To kick the can down the road" - die Büchse weiter die Straße hinunter kicken. Man hat das Problem ein wenig von sich gestoßen, ohne es zu beseitigen. Irgendwann aber muss jemand die Dose nehmen und entsorgen. Konkret: Irgendwann muss Griechenland einen Teil seiner Schulden loswerden. So etwas nennt man einen Staatsbankrott - und der ist wegen der Ansteckungsgefahr alles andere als ungefährlich; von daher sind die Bedenken Frankreichs und der Europäischen Zentralbank durchaus nachzuvollziehen. Nur gibt es eben zur Restrukturierung der griechischen Schulden (vulgo: Staatsbankrott) - und das ist die andere Seite - keine Alternative. Der griechische Schuldenberg ist heute auf das Anderthalbfache seiner Wirtschaftsleistung gestiegen. Die Zinsen für zweijährige Staatspapiere erreichten diese Woche groteske 28 Prozent.

Keine Alternative

Theoretisch kann ein Land selbst aus einer derart gravierenden Schuldenmisere herauswachsen, der Zustand Griechenlands mit seiner notorischen Wachstumsschwäche lässt diese Hoffnung aber nicht zu. Die Kosten der Restrukturierung einfach den europäischen Steuerzahlern aufzubürden, hätte verheerende Folgen für das gesamte Projekt der europäischen Einigung. Das dürfte das wichtigste Motiv hinter Bundesfinanzminister Wolfgang Schäubles Beharren auf einer Beteiligung privater Gläubiger am Schuldenschnitt sein. Aber auch die Bereitschaft des griechischen Volkes zu weiteren Opfern hat seine Grenzen erreicht, wie das Chaos in Athen zeigt.

Daher gibt es keine Alternative zu einer geordneten Umstrukturierung der griechischen Schulden. Diese Umstrukturierung muss nicht notwendigerweise heute kommen, doch je länger man wartet, desto größer werden die Risiken. Griechische Anleihen sind heute toxische Papiere, die die Bankbilanzen belasten, so wie dies während der Finanzkrise amerikanische Hypothekenanleihen taten. Wird die Illusion genährt, sie könnten irgendwann zum vollen Wert verkauft werden, macht dies die Lage nur brisanter.

Im Idealfall würde ein Schuldenschnitt in dem Augenblick verkündet, in dem die griechische Regierung wahrnehmbare Erfolge zu Hause melden kann. Nach der jüngsten Regierungsumbildung in Athen wird dies wohl eine vergebliche Hoffnung bleiben. Im Idealfall wären auch die europäischen Banken vier Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise so gut mit Reserven ausgestattet, dass sie größere Schocks aushalten können. Aber diese Erwartung ist wohl überoptimistisch. Trotzdem ist ein Schuldenschnitt möglich, ohne dass dabei die ganze Welt angesteckt wird.

Damit alles gutgeht, muss die EU klarmachen, dass Athen ein Sonderfall ist und die Verhältnisse in Dublin und Lissabon ungleich leichter zu beherrschen sind. Es muss klar sein, dass Europa Spanien unter allen Umständen verteidigen wird. Und Frankreich und Deutschland müssen der Welt klarmachen, dass sie fast jeden Preis für die Rettung des Euro zahlen werden. Bisher hat ihnen die Welt das abgenommen, weshalb sie den hohen Preis nicht tatsächlich entrichten mussten. Es ist entscheidend, dass sich an diesem Bekenntnis nichts ändert.

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