Schuldenkrise in Europa:"Amerika führt uns an der Nase herum"

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So müsst ihr das machen! US-Politiker belehren ihre europäischen Kollegen, wie diese die Finanzkrise lösen sollen. Viele Verantwortliche in Europa nervt das zusehends, und zu der atmosphärischen Störung kommt eine inhaltliche Spaltung: Zwischen den beiden alten und früher so eng verbündeten Ökonomie-Machtblöcken entwickelt sich ein Wirtschaftskrieg.

Hans-Jürgen Jakobs

Wenn es ums Geld geht, zählt auch eine Freiheitsmedaille nicht viel. Diese Erfahrung musste Angela Merkel mit Barack Obama machen, der ihr im Sommer mit viel Brimborium die Medal of Freedom im Weißen Haus verlieh. Völlig überraschend für die Bundeskanzlerin hatte der US-Präsident bei einem Besuch der Internetfirma LinkedIn im kalifornischen Mountain View Ende September die Europäer rüde beschuldigt. In der Schulden- und Finanzkrise seien ihre Aktionen nicht ganz so schnell gewesen, "wie es nötig war", stichelte er, sie hätten "nie umfassend auf all die Herausforderungen reagiert, denen ihr Bankensystem ausgesetzt war". Die Krise sei durch die akuten Probleme Griechenlands noch verschärft worden: "Das jagt der Welt Angst ein."

Kanzlerin Angela Merkel ist von den wirtschaftspolitischen Empfehlungen aus dem Lager von Barack Obama zunehmend genervt. (Foto: dpa)

Im vertrauten Kreis fragte sich Merkel danach, ob das denn wirklich nötig war, diese Belehrung aus der amerikanischen Provinz. Noch am Tag zuvor hatte die Kanzlerin, wie so oft, mit Obama telefoniert. Von einer anstehenden Generalabrechnung mit Europa sagte er kein Wort. Die Attacke aus Mountain View hat den Ton vorgegeben.

Es war der Beginn eines lauten Konflikts, eines Scharmützels um die richtige Wirtschaftspolitik, das Europa und die USA immer stärker beschäftigt. Mehr oder weniger offen entwickelt sich ein Wirtschaftskrieg zweier alter Ökonomie-Machtblöcke, deren Wohlergehen längst von aufstrebenden Ländern wie China, Indien oder Brasilien abhängig ist. Der Zwist spielte auch beim Treffen der Finanzminister der G-20-Staaten in Paris am Wochenende eine Rolle. Das jahrelang gepflegte schöne Bild der "transatlantischen Brücke" jedenfalls zeigt bedenkliche Risse.

In wichtigen Fragen herrscht Dissens. Die Finanztransaktionssteuer zum Beispiel würden die Europäer gern überall auf der Welt einführen. Sie soll auf Umsätze der Finanzfirmen erhoben werden, um die Lust am Spekulieren zu dämpfen und den Staatshaushalten Geld zuzuführen. Die US-Regierung aber sperrt sich, genau wie Großbritannien. Die Banken der Wall Street sollen geschützt werden. "Es kann nicht sein, dass sich auch Länder außerhalb des Euro-Raums, die uns immer wieder von außen zum Handeln auffordern, um die Schuldenkrise zu bewältigen, gleichzeitig einer Finanztransaktionssteuer umfassend verweigern", keilt Merkel gegen Obama, ihren Telefonfreund, zurück: "Ich finde das nicht in Ordnung."

Hier ist vieles nicht in Ordnung. Besonders genervt ist die Kanzlerin, dass eine Bankenrettungsidee der Amerikaner derzeit Konjunktur hat und nun auch in Paris vorangetrieben wurde: die Zwangskapitalisierung der Geldhäuser. Damit hatte die US-Regierung in der Finanzkrise 2008 Erfolg ("Tarp-Programm").

Alle Banken mussten den Staat, der Milliarden Dollar beisteuerte, als Mitaktionär aufnehmen und später wieder auszahlen. Das soll nun womöglich auch in Europa klappen. Viele Banken halten dort halbfaule Staatsanleihen aus Ländern wie Griechenland, Italien, Belgien oder Spanien, die über ihre Verhältnisse gelebt und hohe Schulden angesammelt haben. US-Finanzminister Timothy Geithner preist die Zwangsbeglückung als Exportmodell.

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Obamas Ex-Wirtschaftsberater Austan Golsbee sagt, die USA äußerten Europa gegenüber eine Bitte, weil sie in der gleichen Lage gewesen seien: "Es ist viel besser und billiger, die Probleme rasch anzugehen, statt zu warten, bis alle in Panik geraten." Die G-20-Minister fordern nun einen Extra-Kapitalzuschlag von bis zu 2,5 Prozent für große, systemrelevante Banken.

Mehr Bankenkapital, ein Schuldenschnitt für Griechenland sowie ein Euro-Rettungsschirm über zwei Billionen Euro - mit diesem Dreiklang wollen die USA den Freundfeind Europa gerettet sehen. Seit Wochen äußern sich Obama und seine Leute deshalb abfällig über die vorhandenen - moderateren - Pläne. US-Finanzminister Geithner rät auch zu großen Konjunkturprogrammen und hält wenig vom Konsolidieren und Sparen, wie es gerade der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble preist.

"Amerika führt uns an der Nase herum", klagt ein deutscher Spitzenbanker. Da werde planmäßig Stimmung aus Washington gemacht. Er spricht von "Euro-Bashing" und von Kampagnen. Große Investoren von der Wall Street setzen an den Börsen auf einen Kursverlust wichtiger europäischer Staatsanleihen und Probleme großer Banken. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) spiele eine merkwürdige Rolle.

An der Spitze steht seit kurzem ausgerechnet die Französin Christine Lagarde, bis dato wichtigste Mitstreiterin des Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy. Gleich zum IWF-Dienstbeginn hat sie eine Kapitallücke von 200 Milliarden Euro bei Europas Banken öffentlich kritisiert. Sie habe in ihrer Rede wohl vorgelesen, was ihr aufgeschrieben wurde, klagt der deutsche Top-Banker. Nun soll der von den USA stark beeinflusste IWF, wie beim G-20-Treffen im Palais de Chaillot klar wurde, in Europa stärker als bisher die Feuerwehr spielen. Frankreichs Banken dürfen hier auf Unterstützung hoffen, sehr zum Verdruss von Minister Schäuble und Bundesbank-Präsident Jens Weidmann.

Viele europäische Spitzenmanager und Politiker verstehen nicht, dass coram publico permanent nur über Europa geredet wird. Tatsächlich sind die USA, das Ursprungsland der Finanzkrise 2008, viel stärker in der Bredouille. Die Schulden sind insgesamt so hoch wie die Wirtschaftsleistung. US-Produkte werden weltweit so wenig nachgefragt, dass Jahr für Jahr ein Riesendefizit im Außenhandel zustande kommt. Die Arbeitslosenquote liegt bei neun Prozent, die Ratingagentur Standard & Poor's hat die USA bereits herabgestuft. Weil Obama im nächsten Jahr in den Wahlkampf muss, könne er mit der Euro-Kritik wunderbar von eigenen Problemen ablenken, heißt es im Umfeld des Kanzleramts.

So liegt der Ball nun im Feld der Europäer. Sie müssen auf dem EU-Gipfel am kommenden Wochenende liefern. Es braucht einen Konter gegen Amerika. Optimist Schäuble. "Wir werden die Probleme in der Euro-Zone lösen."

© SZ vom 17.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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