Süddeutsche Zeitung

Schuldenkrise in Griechenland:Was Sarkozy und Merkel verschweigen

Wer zahlt für Griechenland? Die privaten Gläubiger sollten sich schon aus Eigeninteresse beteiligen. Allerdings muss die Politik den Bürgern auch die Wahrheit sagen: In einem solchen Fall bräuchte Europa einen neuen Bankenrettungsfonds - und der kostet den Steuerzahler. Aber Angela Merkel druckst herum, und Nicolas Sarkozy schweigt.

Claus Hulverscheidt

Es ist ein Thema, das Stammtische in Wallung, Parlamente in Aufruhr und Präsidentenberater in Verzückung versetzt, eines, das markige Worte, große Auftritte und ordentlich Säbelrasseln erlaubt, kurz: ein Thema wie gemacht für Nicolas Sarkozy.

Seit Wochen wird in der Euro-Zone darüber gestritten, wer eigentlich die Kosten der gigantischen Hilfspakete für Griechenland am Ende wird tragen müssen - die europäischen Steuerzahler allein oder auch die großen Banken, Versicherungen und Investmentfonds der Welt, von denen es heißt, sie hätten sich am Elend der Griechen zunächst bereichert und sich dann vom Acker gemacht. Vom großen Franzosen jedoch hört man seit Wochen nur eines - nämlich nichts.

Das beredte Schweigen des Reflex-Politikers Sarkozy ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass das Thema Gläubigerbeteiligung weitaus komplizierter ist, als es auf den ersten Blick erscheint. Zwar sind die Akteure der jüngsten Krise dieselben wie beim Banken-Desaster des Jahres 2008. Während es aber damals eindeutig die Geldhäuser waren, die das Finanzsystem mit ihrer Mischung aus Gier und Skrupellosigkeit ins Wanken brachten, liegen die Dinge heute anders.

Diesmal sind es demokratisch gewählte Regierungen wie die in Athen, die die Hauptverantwortung tragen: Weil sie seit Jahrzehnten nicht mit dem Geld auskommen, das ihnen die Bürger zur Verfügung stellen, entstanden Schuldenberge, die ihnen nun die Luft zum Atmen nehmen.

Die Verantwortung für die Schuldenkrise einfach bei den Banken abzuladen und sie zu einer Umschuldung zu zwingen, kommt damit nicht in Frage. Das wäre nichts anderes als Enteignung, ein Eingriff in bestehende Verträge, eine Beugung des Rechts, die sich nicht einmal moralisch rechtfertigen ließe. Denn entgegen der landläufigen Meinung haben die Banken vor Ausbruch der Krise keineswegs über Gebühr an den Schuldscheinen aus Athen verdient. Im Gegenteil: Die Zinsen waren lächerlich gering, weil das Land wegen seiner Euro-Zugehörigkeit als unverwundbar galt. Auch werden die Griechen nach Überwindung der Krise wieder auf privates Kapital angewiesen sein - Kapital, das sie nicht bekommen werden, wenn sie die Geldgeber jetzt nachhaltig vor den Kopf stoßen.

All das heißt nicht, dass die Finanzhäuser keinen Beitrag zur Lösung der Probleme leisten müssen. Wer Geld verleiht, nimmt das Risiko in Kauf, dass er es am Ende nicht oder nur teilweise zurückbekommt. Dafür erhält er eine ordentliche Entschädigung, den Zins, der umso höher ausfällt, je größer das Ausfallrisiko ist. Dieser Mechanismus war den Banken bekannt, auch wenn er im Fall Griechenland teilweise außer Kraft gesetzt war.

Darüber hinaus müssen die Geldhäuser auch aus ureigenem Interesse an einer Lösung mitwirken, denn in den meisten Alternativszenarien sind sie die großen Verlierer: Sollte die einst stolze Griechische Republik - und in der Folge womöglich das ein oder andere Euro-Partnerland - etwa unkontrolliert pleitegehen, wird sie manche private Geschäftsbank mit in den Abgrund reißen.

Dieses Eigeninteresse der Finanzkonzerne sollte die Politik nutzen, indem sie einen starken Anreiz für einen freiwilligen Forderungsverzicht setzt. Ein taugliches Instrument dafür wären sogenannte Brady Bonds, die sich in der südamerikanischen Schuldenkrise der 1980er Jahre bewährt haben.

Dabei tauschen die Gläubiger ihre Anleihen in neue Papiere mit reduziertem Zinssatz und längerer Laufzeit um, was einem Teilschuldenerlass gleichkommt. Allein die Rückzahlung dieser Brady Bonds würde durch die Euro-Staaten garantiert. Die Banken könnten also wählen, ob sie ihre alten, höchst ausfallgefährdeten Papiere behalten oder sie gegen neue, weniger günstige, dafür sichere Titel eintauschen.

Wer eine Beteiligung privater Gläubiger an einer Lösung für Griechenland fordert, muss den EU-Bürgern allerdings zugleich sagen, was das bedeuten würde: Aller Voraussicht nach müssten die 17 Euro-Länder nämlich einen neuen Bankenrettungsfonds mit zugehöriger Insolvenzordnung schaffen, der strauchelnde Geldhäuser auffängt oder aber geordnet abwickelt.

Das hieße nichts anderes, als dass noch mehr Steuergeld für Bürgschaften bereitgestellt werden müsste. Ein ebenso nötiger wie unpopulärer Schritt, vor dem die Spitzenpolitiker bislang zurückschrecken - die herumdrucksende Angela Merkel ebenso wie der schweigende Nicolas Sarkozy, der sich aus Sorge, dass eine der tief im Griechen-Sumpf steckenden französischen Banken in Schieflage gerät, alle populistischen Reflexe verkneift.

Bleiben zwei Punkte, die einer Lastenteilung zwischen Steuerzahlern und Banken im Wege stehen: das Verhalten der Ratingagenturen, die eine Gläubigerbeteiligung hintertreiben, und die Klage, ein Heranziehen der wenigen verbliebenen privaten Geldgeber Griechenlands sei allenfalls Symbolpolitik.

Wer aber zwingt demokratisch gewählte Regierungen und gesetzlich legitimierte Notenbanken eigentlich dazu, sich vom Urteil einer Ratingagentur abhängig zu machen? Und was spricht dagegen, dass Politik zu Symbolen greift? Würde etwa endlich das Signal gegeben, dass die alte Regel von der Privatisierung der Gewinne und der Sozialisierung aller Verluste ausgedient hat, wäre schon viel erreicht.

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SZ vom 21.06.2011/jab
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