Süddeutsche Zeitung

Schottland:Verfluchte Villa

Der Sandstein ist marode, der Putz fällt ab, es regnet hinein. Dennoch gilt das Hill House in der schottischen Stadt Helensburgh als architektonisches Glanzstück. Nun wird es aufwendig renoviert - fünfzehn Jahre lang steht das Haus unter einer gigantischen Stahlhülle.

Von Evelyn Pschak

Beanstandungen gab es schon, da war diese Villa im schottischen Helensburgh noch nicht einmal fertig gestellt: Ein örtlicher Verputzer soll bereits zu Bauzeiten zum künftigen Hausbesitzer Walter Blackie gesagt haben: "Um der Architektur willen tat Mister Mackintosh einige Dinge, die keine gute Baupraxis waren". Ein recht kühner Vorstoß, befand sich Charles Rennie Mackintosh, der damals 33-jährige Architekt des Hill House, doch auf dem Höhepunkt seiner Karriere, als er von 1902 bis 1904 das Familienheim des Glasgower Verlegerpaars Anne und Walter Blackie und deren fünf Kinder errichtete. Denn zur gleichen Zeit baute Mackintosh am heute bekanntesten Trakt der Glasgow School of Art, gehörte zum bedeutenden Kreis der dem Jugendstil zugewandten schottischen Künstler und Gestalter der Glasgow School und war zudem federführend an der Entstehung des geometrischen Glasgow Style beteiligt, in dem Elemente aus keltischer und japanischer Kunst verschmelzen.

Und doch sollte der Verputzer recht behalten.

Im Jahr 1902 war Zement noch ein recht neues Baumaterial. Stets innovationsgetrieben, hatte Mackintosh damit bereits an der Glasgow School of Art experimentiert. Zementverputz ummantelte die unterschiedlichen architektonischen Formen der Villa perfekt und glatt, nahm Kurven genauso leicht mit wie scharfe Ecken. Doch dem regenreich-stürmischen Wetter der schottischen Westküste war er nicht gewachsen. Mackintoshs modernes Material ließ Feuchtigkeit ein und verursachte so Schäden für Wände und Inneneinrichtung. Denn während das üblicherweise in Schottland aufgetragene Harl - eine seit dem Mittelalter gängige Kalkverputztechnik, bei der kleine, teilweise versunkene Kieselsteine zusätzlich verwitterungsreduzierend die Ablaufgeschwindigkeit des Regens verringern - einem Gebäude erlaubt, zu atmen, hat der vom Architekten eingesetzte Portland Zement ganz andere Eigenschaften: Der flexible Zementputz zieht sich bei Kälte zusammen und dehnt sich in der Wärme, wodurch Risse entstehen, durch die Wasser eintritt.

Das darunterliegende, minderwertige Baumaterial - schlecht gebrannte Ziegel und poröser Sandstein - saugte sich voll und zerfiel. Die fatalen Folgen fasst Neil Oliver, Präsident des National Trust for Scotland (NTS), einer gemeinnützigen Stiftung, in deren Besitz sich das denkmalgeschützte Haus heute befindet, in drastische Worte: "Das Hill House löst sich auf wie eine Aspirin in einem Glas Wasser." Seit 1982 führt der National Trust die Villa in Helensburgh, etwa 40 Kilometer westlich von Glasgow, am Nordufer des Firth of Clyde, als Museum. Denn trotz aller baulichen Mängel gilt das Hill House als Glanzstück aus der Hand des meist gefeierten Architekten Schottlands. Und als vollständigster und besterhaltener Wohnbau von seinem Reißbrett. Bis heute ist der Hügel am Nordrand der Stadt eine teure Wohngegend, Fußballspieler der Lokalrivalen Glasgow Rangers und Celtic Glasgow haben hier nun ihre Bleibe. Im 18. Jahrhundert als Seebad gegründet, war die Stadt seit jeher Rückzugsort für die erfolgreichen Geschäftsleute Glasgows. Inmitten ihres architektonischen Sammelsuriums aus roten Backsteinfassaden der Arts-and-Crafts-Landsitzarchitektur und dem Prunk turmreicher viktorianischer Schlösschen setzte Mackintosh, in Zusammenarbeit mit seiner Frau, der Malerin und Glaskünstlerin Margaret Macdonald Mackintosh, geradezu auftrumpfend einen Bau von bewusster, reflektierter Schlichtheit. Wenngleich er mit Türmchen, unterschiedlichen Fenstergrößen und gewaltigen Kaminen auf einige Anleihen am Baronial-Stil, der schottischen Spielart der Neugotik, auch nicht verzichtete.

Die Restauratoren haben es schwer, in dem Gebäude wird es nur sehr langsam trocken. Dabei ist in vielen Zimmern Eile geboten

Für die nun anstehende Renovierung hat der National Trust etwa 15 Jahre angesetzt, muss man doch die Villa trocken legen, maroden Sandstein reparieren, undichte Stellen abdichten und den unglücksbringenden Putz ersetzen. Angesichts dieser Langwierigkeit war es dem NTS wichtig, eine Lösung zu finden, die das Haus trotz der Reparaturmaßnahmen der Öffentlichkeit zugänglich erhalten würde. 2017 wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, den das Londoner Architekturbüro Carmody Groarke gewann. Gleich das Willkommensschild vor dem Museumseingang erklärt die Dringlichkeit der Aufgabe: Carmody Groarke müsse nichts Geringeres leisten als "eine denkmalpflegerische Herausforderung fürs 21. Jahrhundert", und überhaupt handele es sich um "eines der ehrgeizigsten Bauerbe-Schutzprojekte weltweit".

Im vergangenen Juni hat nun der temporäre - und dennoch spektakuläre - Schutzbau der Londoner eröffnet. Ihr Konzept einer "Hill House Box" besteht aus mehreren Modulen. Zunächst errichteten sie über dem Haus ein von Querträgern gestütztes Stahldach. Unter diesem Stahldach lässt sich über ein Fußgängersystem aus Metallstegen die Baustelle umrunden und sogar das Hill House selbst überqueren, was eine sehr ungewohnte Draufsicht auf die mit Schiefer beschindelten Satteldächer und die Kamine des zweistöckigen Gebäudes ermöglicht.

Einen besonderen Anteil an der architektonischen Rettungsmaßnahme hat das Edelstahlgeflecht der Firma Alphamesh aus dem baden-württembergischen Mühlacker. Ursprünglich als Gewebe für Schutzausrüstungen entwickelt, wurde das Material inzwischen auch von Architekten entdeckt, die es als Raumtrenner oder für Ummantelungen nutzen.

Nach Helensburgh lieferten die Badener insgesamt 32,4 Millionen von je 12 Millimeter breiten Ringen. Der Vertriebsleiter Christian Urbas erklärt das aufwendige Prozedere: "Das Mesh wurde in Bahnen mit einer Breite von 2,40 Meter und Höhen von bis zu 20 Metern an die Baustelle geliefert. Die einzelnen Segmente wurden dann an die neu geschaffene Stahlkonstruktion montiert, mittels Edelstahlseilen "vernäht" und abschließend gespannt, um eventuellen Wind- und Schneelasten vorzugreifen."

Das semitransparente, insgesamt 2700 Quadratmeter umfassende Maschengeflecht ist nur in kurzer Distanz als solches zu erkennen, ermöglicht dem Auge aber im Weitblick gute - wenn auch leicht pixelige - Sicht, sodass von den Laufstegen aus nichts den Blick auf den Clyde, den dichten Baumbewuchs der Villengärten und auf die Stadt Greenock der gegenüberliegenden Flussseite verwehrt. Zusätzlich unters Geflecht schoben die Architekten einen schwarzen Quader als neuen Zugang zur Villa samt Besucherempfang, Museumsladen und -café sowie einer Außenterrasse auf dem Boxendach.

Richard Williams, Geschäftsführer beim National Trust for Scotland für Glasgow und den westlichen Einzugsbereich, begründet diese durchlässige Materialwahl: "Die architektonische Lösung entstand aus der Notwendigkeit, dass man das feuchte atmosphärische Umfeld sichern und erhalten musste, um weitere Risse zu vermeiden, da ein zu schnelle Trockenlegung dem denkmalgeschützten Bauwerk nur noch mehr Schaden zugefügt hätte." Über Dach und Seitengeflecht würden rechnerisch 86,5 Prozent des Regens gestoppt, fügt Williams hinzu, der restliche Niederschlag gelange allerdings noch durch die Öffnungen.

Das zeitaufwendig langsame Trocknen spielt den Restauratoren nicht gerade in die Hände, denn in vielen Zimmern des Hill House ist Eile geboten. Die zarten Blüten auf den schablonierten Tapeten sind teilweise von Fäulnis angegriffen, Putz fällt, vom Dampf abgelöst, von der Decke, Wasserflecken zeichnen Rinnsalmuster ins Parkett. Aber dass Hausherr Walter Blackie trotz der früh auftretenden Schwierigkeiten das Haus für einen Erfolg hielt, ist dennoch leicht nachzuvollziehen: Der japanisch inspirierte Eingangsbereich beruhigt durch dunkles Holz. An Details lässt sich Mackintoshs Bezugnahme auf die Natur ablesen, etwa die abstrahierte Zeichnung von Wildem Silberblatt im Dekor der Dielenlampen.

Im Haus codieren Buntglaseinsätze in den schweren Holztüren die Bestimmung der Zimmer dahinter: Blautöne weisen auf männliche Bewohner, etwa auf die Bibliothek Walter Blackies. Pinktöne auf weibliche, wie das Kinderzimmer der beiden ältesten Töchter. Helle und dunkle Raumgestaltungen folgen aufeinander im dramatischen Wechsel. Durch die Gestaltung von Tapeten, Möbeln und Besteck, dem Kachelmuster der Kaminummantelungen, den kleinen Vierecken in der Teppichrasterung, der Textilkunst der Antimakassars auf dem Sofarücken, ja selbst noch den Schlüsselchen zu den Kabinettschränken präsentiert das Ehepaar Mackintosh dem Besucher hier noch heute die Gültigkeit eines geschlossenen, allumfassenden großen Wurfs.

Emma Sweeney ist im Hill House verantwortlich für die Besucherführungen. Die Kunsthistorikerin erzählt, wie eine Autorin des stiftungseigenen National-Trust-Magazins bei einer Recherche nach den verfluchten Orten des Trusts auch bei ihr anklopfte. Das sei doch Unsinn, erinnert sich Sweeney an ihre erste Reaktion auf die Anfrage. Aber kurz danach habe eine ihrer langjährigen Führerinnen von der "Erscheinung mit Kapuze" berichtet, die sie auf einem ihrer Rundgänge durch die Villa kurz gesehen hätte. Und von Pfeifenrauch, morgens in der Library. Walter Blackie habe die Pfeife geraucht, nickt sich das Aufsichtspersonal rund um Sweeney verschwörerisch zu.

Die Bibliothek soll sein Lieblingsraum gewesen sein, ein Herrenzimmer mit gemütlichen Sesseln vor dem Kamin, die Wände voller Bücher aus dem eigenen Verlag, einige der Ausgaben tragen die geometrische Ornamentik typischer Mackintosh-Entwürfe auf ihrem Einband. Im Jahr 1953 verkaufte die Familie dann das Haus, da waren die Eimer im Wohnzimmer, um das Regenwasser, das durch die Decke tropfte, aufzufangen, bereits ein alltägliches Bild. Aber wer weiß, wenn es erst einmal nicht mehr reinregnet ins Hill House, kann der Geist seine Kapuze vielleicht sogar abnehmen.

Das Ticket für Erwachsene kostet 12,50 Pfund. Adresse und Internetadresse: Upper Colquhoun Street, Helensburgh G84 9AJ, Vereintes Königreich, https://www.nts.org.uk/visit/places/the-hill-house/highlights/hill-house-box

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Quelle:
SZ vom 01.02.2020
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