Schock nach Bonität-Herabstufung:Rating-Urteil vergrätzt die US-Politik

Die Regierung Obama ist verärgert, die Parteien überhäufen sich mit Schuldzuweisungen: Nachdem Standard & Poor's die Bonität der USA erstmals in der Geschichte des Landes herabgestuft hat, bricht ein neuer Streit aus. Und die Börsianer rätseln, ob der Markt diesen Schlag bereits im Voraus verarbeitet hat - oder ob der wahre Crash erst noch bevorsteht.

Die Weltwirtschaft kommt nicht zur Ruhe: Nach den angespannten Börsentagen und kurz nach der Einigung im Schuldenstreit hat die Ratingagentur Standard & Poor's die US-Bonität von der Bestnote "AAA" auf "AA+" herabgestuft - mit unabsehbaren Folgen.

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Die US-Regierung ist verärgert über die Herabstufung durch Standard & Poor's.

(Foto: AFP)

Die Senkung um eine Stufe erfolgte am Abend nach Handelsschluss an der Wall Street. Entsprechend blieb sie noch ohne Folgen für die Kursentwicklung an den Aktienmärkten - der Dow Jones hatte am Ende eines turbulenten Tages sogar im Plus geschlossen. Doch nun ist die Frage, wie die Börsen am Montag reagieren werden. Die Experten sind sich nicht einig.

"Ich glaube, wir werden am Montag eine reflexartige Reaktion haben", sagte Jack Ablin von der Harris Private Bank. Die Drohung einer Herabstufung der Bonität habe sich wahrscheinlich bereits im Börsensturz in dieser Woche widergespiegelt, sagte hingegen Harvey Neiman vom Neiman Large Cap Value Fund. "Der Markt ist bereits ausgeschüttelt worden. Er wusste, dass die Herabstufung kommt."

Mit der gesenkten Bonitätsnote dürften Kredite für die Regierung, aber auch für Unternehmen und Verbraucher in den USA teurer werden. Experten rechnen damit, dass sich die staatlichen Kreditkosten mit der Zeit um 100 Milliarden Dollar verteuern könnten.

Der Hauptgrund für die Herabstufung war der aus Agentursicht unzureichende Schuldendeal zwischen Demokraten und Republikanern. Dieser sieht eine Erhöhung des Schuldenlimits von derzeit 14,3 Billionen Dollar (rund 10 Billionen Euro) vor. Dies solle mit Sparmaßnahmen in Höhe von 2,5 Billionen Dollar (1,7 Billionen Euro) einhergehen. S&P hatte aber bereits zuvor gewarnt, es seien Einsparungen in Höhe von vier Billionen notwendig.

"Die Herabstufung spiegelt unsere Meinung wider, dass der Plan zur Haushaltskonsolidierung, den der Kongress und die Regierung kürzlich vereinbart haben, nicht ausreicht, um die mittelfristige Dynamik bei den Staatsschulden zu stabilisieren", erklärte S&P. Es sei zudem zweifelhaft, dass sich Demokraten und Republikaner auf zusätzliche Einsparungen einigen können.

Allerdings begründete Standard & Poor's die Herabstufung auch mit Schwierigkeiten, die es bei der "Überbrückung der Kluft zwischen politischen Parteien" gebe. Sowohl die Demokraten als auch die Republikaner nahmen den Bericht der Ratingagentur zum Anlass, die jeweils andere Partei anzugreifen. Der republikanische Präsident des Repräsentantenhauses, John Boehner, sagte, er hoffe, die Herabstufung diene als Weckruf für die Demokraten. Der Mehrheitsführer der Demokraten im Senat, Harry Reid, sagte, der Schritt von Standard & Poor's zeige, dass die von den Demokraten bevorzugte Herangehensweise an die Haushaltspolitik - eine Mischung aus Steuererhöhungen und Haushaltskürzungen - der korrekte Weg vorwärts sei.

Harsche Kritik aus China

Das Weiße Haus äußerte sich zunächst nicht zur Bonitätsabstufung. Präsident Obama traf sich am späten Freitagnachmittag (Ortszeit) mit Finanzminister Timothy Geithner, bevor er zu einem Aufenthalt im Präsidentenlandsitz Camp David aufbrach, wo er das Wochenende verbringen wollte. Dass die Herabstufung die Regierung von Obama verärgert hat, war dennoch mehr als deutlich.

File photo of Standard and Poor's building in New York

"Die Herabstufung spiegelt unsere Meinung wider, dass der Plan zur Haushaltskonsolidierung, den der Kongress und die Regierung kürzlich vereinbart haben, nicht ausreicht, um die mittelfristige Dynamik bei den Staatsschulden zu stabilisieren", erklärt S&P.

(Foto: REUTERS)

Aus Regierungskreisen in Washington verlautete, das Weiße Haus sei der Ansicht, dass die Analyse der Ratingagentur "fundamentale Fehler" aufweise. In einer Erklärung des Finanzministeriums hieß es, ein Urteil, das mit einem Fehler von zwei Billionen Dollar behaftet sei, "spricht für sich selbst".

Standard & Poor's hatte erstmals im April vor einer Herabstufung gewarnt. Die Ratingagentur Moody's kündigte nach der Einigung zwischen Republikanern und Demokraten im Schuldenstreit an, die "AAA"-Bewertung der USA vorerst beizubehalten. Die Ratingagentur Fitch erklärte, um die Note "AAA" zu behalten, müssten die USA ihr Staatsdefizit auf "ein nachhaltigeres Niveau" senken.

Offene Kritik kam bereits Stunden nach der Schuldeneinigung aus China, dem größten Gläubigerland der USA: Die Ratingagentur Dagong stufte die US-Bonität von "A+" auf "A" zurück. Den weiteren Ausblick bewertete sie als negativ. Zur Begründung hieß, das Schuldenproblem sei langfristig nicht gelöst. Der politische Schuldenstreit in Washington habe gezeigt, "dass die US-Regierung Schwierigkeiten hat, die Schuldenkreise letztlich zu lösen".

Für die Finanzmärkte kann die Herabstufung kaum zu einem ungünstigeren Zeitpunkt kommen. Die Furcht vor einer erneuten Rezession in den USA und einer Ausweitung der europäischen Schuldenkrise hatten in dieser Woche weltweit zu Panikverkäufen an den Börsen geführt.

Die S&P-Entscheidung komme aber nicht völlig unerwartet, sagte Analyst Vassili Serebriakov von Wells Fargo. "Sie dürfte bereits teilweise in den Dollar-Kurs eingepreist sein. Wir erwarten zwar weiter großen Druck auf den Dollar, aber ein großer Ausverkauf ist nach unserer Einschätzung unwahrscheinlich." Das liege wohl aber auch daran, das es nur wenige Alternativen zu US-Staatsanleihen gebe.

Mit der Herabstufung werden US-Staatsanleihen, die einst als die weltweit unbestritten sicherste Geldanlage galten, nun niedriger bewertet als Anleihen von Ländern wie Deutschland, Großbritannien, Frankreich oder Kanada.

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