Schlingensief und die Deutsche Bank:Schmeißt das Geld weg!

Wie der verstorbene Regisseur Christoph Schlingensief einmal versuchte, etliche 1000-Mark-Scheine der Deutschen Bank vom Reichstag herabregnen zu lassen.

Willi Winkler

Die Stimmung an diesem Tag im Frankfurter Hochhaus der Deutschen Bank war gereizt. "Er will was?" fragte der damalige Vorstandssprecher Rolf-E. Breuer ungläubig. "Das Geld verteilen", wiederholte Brigitte Seebacher-Brandt vorsichtig.

CHRISTOPH SCHLINGENSIEF

Vorsicht, Schlingensief! Als der Aktionskünstler einst vor der Filiale der Deutschen Bank auftauchte, ließen die Angestellten sofort den Rolladen runter.

(Foto: AP)

Die Witwe des ehemaligen Bundeskanzlers Willy Brandt wirkte inzwischen als Leiterin der Abteilung Kultur und Gesellschaft bei der Deutschen Bank und nahm ihre Arbeit sehr ernst. Sie verfügte über einen großzügig bemessenen Etat, der es zum Beispiel dem ehemaligen Vietcong-Sympathisanten Peter Stein ermöglichte, auf der Expo 2000 in Hannover einen stadttheatersteifen Komplett-Faust zu inszenieren. Aber das mit Schlingensief, nein, das ging zu weit.

Der Regisseur Christoph Schlingensief, im Jahr 1999 bereits auf dem besten Weg zum Hofnarren der Deutschland AG, wollte tatsächlich Geld ausgeben. Das wäre bei einem Theatermacher nicht ungewöhnlich, doch hatte er an der Berliner Volksbühne ein Projekt ausgeheckt, das die Deutsche Bank großzügig fördern wollte. Die wollte im Gegenzug etwas abhaben von dem anarchistischen Kultur-Glanz und bat Schlingensief und seine Truppe zur Jahrestagung der Alfred-Herrhausen-Gesellschaft im Restaurant des Reichstags.

Der Künstler seinerseits wollte unter den nicht unvermögenden Gästen für ein Jugendtheater-Projekt im kriegszerstörten Jugoslawien 100.000 Mark sammeln. Sollte diese Summe nicht zusammenkommen, womit nicht zu rechnen war, wollte er den Ertrag einschließlich der eigenen Regiegage sogleich unters Volk streuen. Was für eine Szene: Während die hochgemuten Gäste im Restaurant des Reichstags tafelten, wollte sich Schlingensief auf einen Balkon auf dem Reichstag stellen und etliche Tausend Mark (ja, es war noch die gute alte D-Mark!) in kleinen Scheinen auf die Passanten herabregnen lassen.

"Kann er nicht einfach Theater machen, Schiller oder so was, ,Die Räuber', meinetwegen als Punk-Oper?" schimpfte Breuer weiter. "Herr Schlingensief", begann Frau Seebacher wieder, "will sich nicht dreinreden lassen. Er hat ein Konzept ...". "Welches Konzept denn?" brüllte Breuer. "Rettet den Kapitalismus ...", begann die Kulturreferentin, aber weiter kam sie nicht. "Rettet den Kapitalismus", höhnte Breuer. "Als wenn wir dafür einen dahergelaufenen Künstler bräuchten! Das können wir immer noch am besten." "... schmeißt das Geld weg!" sagte die Witwe schnell, als Breuer doch einmal Luft holen musste. "???" "Ja, so heißt die Aktion: 'Rettet den Kapitalismus - schmeißt das Geld weg!'" Breuer lief violett an und schnappte nach Luft.

Schlingensiefs betrügerische Kalkulation

War es so? Nein, bestimmt nicht, aber so könnte es gewesen sein, im Juni 1999 bei der Deutschen Bank in Frankfurt. Künstler können bekanntlich nicht mit Geld umgehen. Schlingensief konnte es sehr wohl und er holte es sich da, wo es massenhaft herumlag: bei der Deutschen Bank. Die Kulturabteilung hatte bereits 100.000 Mark für sein Projekt genehmigt. Dafür sollte irgendwas kulturell besonders Wertvolles entstehen, denn die Bank wollte nicht immer nur als eiskaltes Monster erscheinen, sondern auch einmal als großzügiger Mäzen.

Kunst kommt, jedenfalls seit Joseph Beuys, auch von Denken, und damit war die Bank naturgemäß überfordert. Sie konnte sich nicht denken, dass der Künstler Schlingensief mit seinem Plan ernst machen und das wegwerfen würde, was ihm mit großzügiger Geste spendiert wurde. Beleidigt schlug die Deutsche Bank zurück, sprach, ausgerechnet, von "betrügerischer Kalkulation" und kippte das Projekt.

"Die Bank lebt nicht vom Geld allein", nannte Breuers Vorgänger Hilmar Kopper sein bilanzierendes Buch, aber so etwas kann nur ein Privatier behaupten. Ohne Geld ist alles nichts, sondern bloß Kunst. Schlingensief mag als Filme- Theater-, Opern-, und genialer Windmacher in die Kulturgeschichte eingehen, doch sein Wirken als Philosoph harrt noch der Deutung. Den Kapitalismus konnte er nicht retten, aber er hat gezeigt, dass es kein größeres Verbrechen gibt, als sich am Geld zu versündigen, es womöglich nicht ernst zu nehmen. Also: Schmeißt das Geld weg!

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: