Süddeutsche Zeitung

Schimmel im Neubau:Die unterschätzte Gefahr

Werden Trockenzeiten nicht eingehalten, drohen Schäden, sagt der Sachverständige Gerhard Führer.

Interview von Marianne Körber

Schimmel ist nicht nur in alten Gemäuern ein Problem, sondern auch in Neubauten. In Deutschland könnte jedes zweite Gebäude einen relevanten Schimmelschaden haben, befürchten Experten. Einer von ihnen ist Gerhard Führer. Er ist Gründer und Leiter des Sachverständigen-Instituts Peridomus in Himmelstadt bei Würzburg und zählt europaweit zu den führenden Experten im Bereich der Schadstoffe in Innenräumen. Schimmel wird von vielen Bauschaffenden und auch von Gutachtern oft übersehen, meint Führer, den Schaden habe dann der Bauherr.

SZ: Herr Führer, wie groß ist das Schimmel-Problem in Neubauten?

Gerhard Führer: Groß. Bis März 2013 wurden bei Peridomus 72 Auftragsarbeiten zu Schimmel in Neubauten bearbeitet. Anlass für unsere Auftraggeber waren beispielsweise Geruchsauffälligkeiten, Feuchteanzeichen oder sichtbares Schimmelwachstum. Bei den untersuchten Projekten handelte es sich sowohl um Ein- und Mehrfamilienwohnhäuser als auch um öffentliche Gebäude und Bürokomplexe. Das Ergebnis war, dass in den meisten untersuchten Gebäuden große Schimmelschäden nachgewiesen wurden. Vor diesem Hintergrund wurde im Jahr 2014 im Rahmen einer Masterthesis an der Donau-Universität Krems in Österreich eine Risikoanalyse für Schimmel in Neubauten erstellt. Diese Studie kam zu dem Ergebnis, dass bei Neubauten eine erhöhte bis hohe Wahrscheinlichkeit für verdeckte, nicht sichtbare Feuchte- und Schimmelschäden besteht.

Wo treten die Schäden auf?

Überall da, wo Feuchtigkeit hingekommen ist und nicht schell genug abtrocknen konnte. Beispielsweise werden bei einem massiv errichteten Einfamilienhaus - bestehend aus gemauerten Wänden, Zementputz, Kellerwänden und Geschossdecken aus Beton - etwa 10 000 Liter Wasser eingesetzt, das heißt, in das Gebäude eingebaut. Feuchtigkeit ist die Grundlage für jedes Schimmelwachstum. Neben sichtbaren Schäden können verdeckte Schimmelschäden deshalb bei entsprechendem Feuchteaufkommen in allen nicht einsehbaren Hohlräumen und Dämmebenen auftreten. Bei gezielter Suche werden vor allem in Fußbodenkonstruktionen und benachbarten Wandfüßen Schimmelbesiedelungen gefunden. Betroffen sind auch Dachkonstruktionen, wenngleich die Schadenshäufigkeit dort weniger hoch ist.

Woran erkennt man die Schäden denn?

Es gibt verschiedene Verdachtsmomente: Typische dumpf-muffige Geruchsauffälligkeiten, Feuchteanzeichen an Wänden, Decken oder anderen Bauteiloberflächen als Hinweis auf eine prinzipiell zu hohe Feuchtigkeit im Gebäude, eine schnelle Bauzeit ohne ausreichende Trocknungszeiten, Winterbauten mit Kondenswasserbildung, ein Wasserschaden während der Bauzeit oder sichtbares Schimmelwachstum. Offensichtlicher Schimmel ist regelmäßig nur die Spitze des Eisberges und geht sehr häufig mit verdeckten, nicht sichtbaren Schimmelschäden einher.

Was sind die Ursachen?

Als ein Ergebnis der Studie zur Risikoanalyse für Schimmel in Neubauten wurden drei Hauptauslöser für Schimmelwachstum erkannt: Erstens der lockere und unbedachte Umgang der Bauschaffenden mit Wasser. Zweitens Witterungseinflüsse wie Regen und niedrige Temperaturen im Winterhalbjahr mit Kondensationsfeuchte wegen unvollständiger oder fehlender Luftdichtigkeitsebene oder Wärmedämmung. Und drittens Wasserfreisetzung durch Trocknungsprozesse von Putzen, Estrichen, Mörtel und Beton.

Und wer zahlt dafür?

Der Verursacher. Vereinfacht dargestellt bestellt der Bauherr ein schimmelfreies Gebäude und bekommt vom Bauträger oder Generalübernehmer einen Feuchte- oder Schimmelschaden geliefert. Werkvertraglich ist dies ein eindeutiger Sachverhalt, der beispielsweise Nachbesserungsarbeiten zur Folge hat. Bei einem Architektenhaus muss bei einem verdeckten Schimmelschaden davon ausgegangen werden, dass unabhängig von handwerklichen Unzulänglichkeiten die Art und Weise der Bauleitung beziehungsweise Bauüberwachung ungenügend war und damit Haftungs- und Gewährleistungsansprüche entstehen.

Was können private Bauherren tun, um solche Schäden zu verhindern?

Zunächst wäre ein Feuchtemanagement von dem ausführenden Unternehmen oder dem baubegleitenden Architekten zu fordern. Unnötige Feuchtigkeit sollte verhindert werden. So wären beispielsweise die Baugrube gegen Wassereinträge zu sichern, die Mauerkronen bei Regen und Schnee abzudecken und kein im Freiland gelagertes regennasses Material einzubauen. Benötigte Feuchtigkeit wie Anmachwasser von Putzen und Mörteln ist schnellstmöglich wieder aus dem Haus zu entfernen. Grundlage hierfür ist ein regelkonformes Bauen mit dem Einhalten von entsprechenden Trocknungszeiten, was gegebenenfalls durch technische Trocknung unterstützt werden kann. Hier ist auch der Bauherr gefordert: Im Hinblick auf ausreichende Trocknungszeiten kann kein Gebäude innerhalb von wenigen Monaten fertiggestellt und bezogen werden. Schließlich: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.

... kontrolliert wird ja auf vielfältige Art und Weise ...

Ohne entsprechende messtechnische Hilfsmittel sind Neubauschäden nicht zu erkennen. Allein durch einen sensorischen Eindruck verdeckte, nicht sichtbare Schimmelschäden ausschließen zu wollen, wie dies aktuell regelmäßig geschieht, grenzt an Handauflegen und Kaffeesatzleserei. Von bestimmten Kreisen gerne eingesetzte Raumluftuntersuchungen auf Schimmelsporen sind unzureichend, da mit dieser Methode häufig kein vorliegender verdeckter Schimmelschaden nachweisbar ist.

Was sollten Eigentümer also tun?

Letztendlich geht bei unklarem Sachverhalt das Schimmelrisiko bei der Abnahme auf den Bauherren über - er übernimmt vom Hersteller oder vom Architekten beziehungsweise beauftragten Unternehmen sozusagen die Katze im Sack mit allen einhergehenden Neben- oder Nachwirkungen. Und weil diese bei fachgerechter Bearbeitung zu extremen Kosten führen, ist der Eigentümer gut beraten, wenn er verdeckte, nicht sichtbare Feuchte- oder Schimmelschäden im Rahmen der Abnahme nachweisen oder ausschließen lässt. Wenn sich dabei ein begründeter Schimmelverdacht ergibt, sollte keine Abnahme erfolgen, weil dabei dann die Beweislast umgekehrt wird. Im Schadenfall sind Rechts- und Beratungskosten vom Schadenverursacher zu tragen.

In neuen Wohnbauten gibt es nun Vorschriften für Lüftungssysteme - laut DIN-Verordnung 1946-6 ist seit 2009 ein Lüftungskonzept vorgeschrieben. Wie hilfreich ist das?

Ein optimiertes Lüften ist immer sinnvoll, um das Symptom "schlechte Luft" zu verbessern. Bei einem neu errichteten Gebäude kommt aber ein Lüftungssystem zu spät: Es geht erst in Betrieb, wenn die entsprechenden luftführenden Systeme montiert und die Elektroinstallation in Betrieb gegangen ist. Zu diesem Zeitpunkt liegen aber typische Neubau-Schimmelschäden - sichtbar oder viel häufiger verdeckt in Hohlräumen - bereits vor.

Sind Altbauten denn gesünder?

Das kommt darauf an. In älteren Bestandsgebäuden kommen unter Umständen chemische Schadfaktoren aus der Erstellungszeit dazu. Beispielhaft erwähnt seien PAK (polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe) in Asphaltestrichen oder Fußbodenklebern, PCB (polychlorierte Biphenyle) in Fugenmassen oder Brandschutzanstrichen und Holzschutzmittelanstriche unter Einsatz von langzeitig gesundheitsrelevanten Insektiziden und Fungiziden. Auch waren alle Altbauten irgendwann einmal ein Neubau mit der geschilderten Neubauproblematik. Bei mehr als einer Million Wasserschäden pro Jahr in Deutschland ist ein Schimmelschaden im Bestand sehr wahrscheinlich. Und ob dieser fachgerecht saniert - also nicht nur getrocknet, sondern auch die gebildete Schimmelbiomasse beseitigt wurde -, ist mindestens ungeklärt und hinsichtlich neuerer Erkenntnisse kritisch zu hinterfragen. Letztendlich ist ein Pauschales Für oder Wider einen Altbau nicht möglich. Jede Wohnung und jedes Haus hat seine eigene Charakteristik und ist unter innenraumhygienischen und damit gesundheitlichen Gesichtspunkten jeweils als Einzelfall zu behandeln.

Noch etwas?

Die Politik sollte Studien zur Charakterisierung von Wohnungen und Gebäuden unter innenraumhygienischen Gesichtspunkten fördern, um repräsentative Daten zu erhalten. Es besteht überdies Forschungsbedarf zum Erkennen und zur Verbesserung der Innenraumsituation. Beispielsweise ist zu klären, ob das Auftreten von Zeigerorganismen beziehungsweise tierischen Bioindikatoren wie Silberfischchen, Staubläusen und Kellerasseln im Sinne eines einfachen und kostengünstigen Vortestsystems für Schimmelschäden genutzt werden kann. Diese Tierarten ernähren sich von Schimmel und leben in der gleichen feucht-warmen Wohnumwelt.

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Quelle:
SZ vom 28.07.2017
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