Schatzsucher:Schicksalsstein der Habsburger

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200 Jahre lang gehörte ein Diamant, groß wie eine Walnuss, dem Haus der Habsburger. Als deren Macht zerfällt, verschwindet er - und taucht nie wieder auf.

Hannah Wilhelm

Es ist der frühe Morgen des 1. November 1918. Die österreichische k.u.k-Monarchie steht vor dem Abgrund, im Land toben Unruhen, in der Hauptstadt Wien ebenso. Vorbei sind die Zeiten des von Robert Musils ironisch "Kakanien" genannten bürokratischen Riesenreichs, den Vielvölkerstaat zerreißt es dieser Tage. Mittendrin in diesem Chaos stapft in einer verregneten Herbststunde der Oberkämmerer Leopold Graf Berchtold mit einigen Kaisertreuen durch Wien, durch die Gassen Richtung Hofburg, in der der Familienschmuck der Familie Habsburg verwahrt wird.

In den Vitrinen VII. und XIII. in der Schatzkammer der Burg liegen sie, die Reichsinsignien und auch die Juwelen: die Kronen, der Schmuck, das Gold, das die Habsburger im Laufe der Jahrhunderte angesammelt haben. Dazu gehört ein Diamant, groß wie eine Walnuss. Gelb, funkelnd, klar. "Der Florentiner" wird er genannt, seit die legendäre Maria Theresia von Österreich ihn Mitte des 18. Jahrhunderts zärtlich so taufte. Er gilt als der viertgrößte Diamant der Welt. Vor rund 200 Jahren haben ihn die Habsburger aus dem Schatz der mächtigen Medici-Familie übernommen.

Blumenstrauß aus Edelsteinen

Ein großer Teil des Schatzes stammt aus dem 18. Jahrhundert, aus der großen Zeit der Habsburger und des Herrscherpaares Maria Theresia und Franz Stephan. Sie liebten Prunk und Gold. Einst schenkte Maria Theresia ihrem Gatten als Zeichen ihrer Liebe einen Blumenstrauß aus Edelsteinen in einer Vase aus Bergkristall. Dafür ließ sie 761 bunte Edelsteine und 2102 Diamanten verarbeiten.

Sogar kleine kunstvoll nachgebildete Insekten tummeln sich auf diesem Bouquet aus Stein, das man bis heute im Naturhistorischen Museum in Wien bewundern kann. Es konnte wirklich nicht protzig und teuer genug sein für Maria Theresia. Ihr riesiger Schatz aus Schmuck und Juwelen konnte sich damals höchstens noch mit dem Schatz der französischen Königsfamilie messen lassen. Ja, wohl wahr, die Habsburger waren würdige Besitzer des Florentiner Riesendiamanten, dieses einzigartigen Prachtstücks.

150 Jahre später, in den frühen Morgenstunden des 1. November 1918. Berchtold lässt den Schatz der Habsburger in Koffer zusammenpacken, Stück für Stück. Die diamantene Krone der Kaiserin Elisabeth. Die österreichische Krone von Kaiser Rudolf II. aus dem Jahr 1602. Und eben auch den majestätisch glasklar strahlenden Florentiner-Diamanten mit der langen Geschichte: Franz Stephan von Lothringen hatte ihn in die Hauskrone der Habsburger einsetzen lassen, als er 1745 in Frankfurt zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation gekrönt wurde. Im Jahre 1810 hatte ihn Marie-Louise von Österreich zu ihrer Hochzeit mit Napoléon Bonaparte geschenkt bekommen.

Der Oberkämmerer nimmt den Stein aus der Vitrine Nummer XII. und verstaut ihn, mit all den anderen Juwelen. Er handelt im Auftrag von Kaiser Karl I., dem - auch wenn er das zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß - letzten Kaiser von Österreich und letzten König von Ungarn. Jetzt versucht der Monarch zu retten, was zu retten ist.

Die Koffer werden in die Schweiz geschafft. Nur einige Tage später, am 12. November 1918 wird in Österreich die Republik ausgerufen. Aus, vorbei sind die Zeiten von Monarchie, von kaiserlich-königlichem Prunk und den vielen Besitztümern. Es werden andere Zeiten kommen, das Reich der Habsburger ist nur noch ein Scherbenhaufen. Kaiser Karl I. und seine Frau Zita fliehen in die Schweiz, wo auch ihre Wertsachen versteckt sind. In der Folge versprengt es die Kronjuwelen in alle Himmelsrichtungen. Seit diesen Umbruchstagen wurde der walnussgroße Florentiner-Diamant nicht mehr gesehen. Er ist verschollen, ging verloren, zwischen den Zeiten, zwischen Monarchie und Republik, irgendwie, irgendwo in der Zeitenwende am Anfang des 20. Jahrhunderts.

Ein Schweizer Juwelier, Alphonse de Sondheimer, schreibt in seinen Memoiren, der Schmuck sei zersägt, zerbrochen, auseinandergenommen und verkauft worden. Denn Karl I. habe Geld gebraucht, weil er wenigstens in Ungarn wieder die Monarchie einführen wollte. Und für ein solches Unterfangen braucht man Geld und nicht Schmuck. Also habe er verkauft, was zu verkaufen war. Den Schmuck versilbert, zu Geld gemacht - und sei dabei mehrfach betrogen worden.

Ein Stein, viele Namen

Auch den Florentiner habe er zu Geld gemacht, heißt es, den wunderbar gelben Stein. Ihn habe man, so der Juwelier Sondheimer, aus der Spitze einer Anstecknadel gelöst und zerteilt. Welch ein unrühmliches Ende für einen Stein, der wichtige Familien wie die Habsburger und die Medici durch die Jahrhunderte begleitet hatte. So berichtet der Spiegel in den sechziger Jahren, der Herausgeber der Sondheimer-Memoiren sei zu dem Schluss gekommen, der Verkauf der Kronjuwelen sei "eines der schlechtesten Geschäfte der Welt überhaupt" gewesen. Und mit der Rückeroberung Ungarns klappte es dann auch nicht. Armer Karl.

Seit Jahrzehnten suchen Menschen nach dem verwunschenen Diamanten. Immer wieder gibt es Gerüchte, dass Teile des Steins aufgetaucht seien. Laut dem Buchautor Wolfgang Meyer-Hentrich, der einen Aufsatz über "Des Kaisers Diamanten" verfasst hat, zuletzt im November 1981: Auf der Herbstauktion des Hauses Christie's im vornehmen Genfer Hotel "Le Richmond" wird ein gelber, lupenreiner Diamant angeboten, kleiner als der Florentiner - aber er könnte ja umgeschliffen worden sein. Er ist eingerahmt von 14 kleinen Brillanten an einer goldenen Kette mit Rückenverschluss - und er trägt keinen Namen. Ungewöhnlich für einen Diamanten von solch einer Größe. Ein anonymer Bieter ersteigert den Stein - am Telefon. Für 600.000 Schweizer Franken.

Der Stein hatte viele Namen. Florentiner war nur einer von ihnen, "Großherzog der Toskana" ein anderer oder einfach der "Österreicher". Und er wurde auch der "Schicksalsstein" genannt - gab es doch immer Gerüchte, er sei verflucht, er begleite den Aufstieg der Großen und Mächtigen durch die Epochen, aber vor allem begleite er sie auch bei ihrem Niedergang, wenn sie aufgerieben von den Machtspielen der Politik ihr Leben aushauchten.

Seit seinem möglichen Verkauf im Jahr 1981 ist es still geworden um den Schicksalsstein. Aber manch ein Schatzsucher hofft und wartet noch, ob der Florentiner nicht doch wieder auftaucht. Bei irgendeiner Auktion. Damit er den Schicksalsstein sein nennen kann, der den Aufstieg vieler Mächtiger begleitet hat, vor allem aber deren Niedergang.

© SZ vom 19.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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