Süddeutsche Zeitung

Schatzsucher:Mythos zwischen Schlingpflanzen

Traum oder Wirklichkeit? Irgendwo am Amazonas soll sich die sagenumwobene Goldene Stadt El Dorado verbergen.

Peter Burghardt

Das Goldmuseum von Bogotá ist eine sagenhafte Schatzkammer, in den Vitrinen lagern ungefähr 50.000 Schmuckstücke. Manche von ihnen blenden vor Pracht - keine andere Ausstellung der Welt versammelt so viele goldene Objekte wie dieses Museo de Oro in der Altstadt der kolumbianischen Metropole. Die meisten von ihnen stammen aus der Zeit vor der Landung des Entdeckers Christoph Kolumbus, nach dem die Republik im Nordwesten Südamerikas benannt ist. Sie illustrieren, zu welchen Glanzleistungen die Einwohner in dieser Gegend auch vor Ankunft der Europäer fähig waren.

Ein Exemplar sticht aus der Sammlung heraus: die 19,2 Zentimeter lange, 10,1 Zentimeter breite und 10,2 Zentimeter hohe Balsa de Eldorado. Das berühmte Floß von El Dorado. Diese Miniatur eines Mythos, der ein bisschen Traum ist und vielleicht auch ein bisschen Wirklichkeit.

Entdeckt wurde die feingliedrige Kostbarkeit 1969 in einem Keramikbehälter in einer Höhle südlich von Bogotá. Das goldene Modell mit den Figuren darauf gilt als Nachbildung jenes Floßes, mit der die Legende von El Dorado begann.

Demnach ruderte das Volk der Muisca ihren Herrscher zum Amtsantritt auf den See Guatavita bei Bogotá, um den Sonnengott gnädig zu stimmen. Der künftige Anführer wurde für die Zeremonie mit Goldstaub bepudert, in der Mitte des Gewässers wusch man die Schicht ab und ließ die Partikel gemeinsam mit Smaragden und anderen standesgemäßen Opfergaben in die Tiefe sinken. Die spanischen Eroberer hörten die Erzählung bei ihren Feldzügen im 16. Jahrhundert von den Eingeborenen und bekamen große Augen und Ohren: Wo, fragten sie sich, war das viele Gold hergekommen? Auch Nachgeborene beschäftigte das Rätsel in den folgenden Jahrhunderten, es führte ins Dickicht der Phantasie und des größten Regenwaldes des Globus.

Gier nach Bodenschätzen

Die Gier nach Bodenschätzen war ja einer der wesentlichen Antriebe für die Konquistadoren, sie plünderten unter anderem die Silberminen von Potosí in Bolivien und finanzierten der Krone ein ausschweifendes Leben. Nichts faszinierte die Iberer mehr als der Gedanke an ein geheimnisvolles Imperium aus Gold, versteckt in ihren Kolonien. Eine Entdeckung wie später Machu Picchu in den Anden, bloß noch wertvoller.

El Dorado wurde zum geflügelten Wort und ging über "in die Gefilde mythologischer Fiktionen", vermerkte der deutsche Naturforscher Alexander von Humboldt. Das den Ureinwohnern heilige Edelmetall inspirierte Schriftsteller, Filmemacher und Musiker, von Joseph von Eichendorff über Joseph Conrad bis Werner Herzog, Carlos Saura und Leonard Bernstein.

Schummrige Bars und Western mit John Wayne benannten sich danach, El Dorado verselbständigte sich zum Synonym für schnelles, riskantes Geld. Die Illusion brachte Scharen von Wissenschaftlern und Glückrittern dazu, den Dschungel zu durchforsten, auf dass sich das Phantom endlich materialisiere.

Zu den Pionieren zählten die Spanier Francisco de Orellana und Gonzálo Pizarro, die 1541 von Quito aus eine verlustreiche Tour wagten. Orellana gelang dabei die erste bekannte Fahrt bis zur Mündung eines gewaltigen Flusses, der Amazonas getauft wurde. Den Titel bekam er angeblich wegen kriegerischer Frauen am Ufer, Amazonen. Irgendwo an diesem Strom vermutete Orellana die Goldene Stadt. Der Engländer Sir Walter Raleigh versuchte sich weiter oben am Orinoco.

Und 1925 wagte Landsmann Percy Harrison Fawcett eine ebenso verhängnisvolle wie richtungsweisende Expedition in die Lost World, die verlorene Welt, wie sie Arthur Conan Doyle nennen sollte. Seine Delegation traf auf Indianer mit Blasrohren und Giftpfeilen, Krokodile, Piranhas und Riesenschlangen. Der frühere Spion Fawcett, sein Sohn und ein Begleiter kamen von dem Trip in dieses Herz der Finsternis nie zurück. Doch ihre Theorie beschäftigt Nachahmer. Liegt irgendwo am Amazonas die "City of Z", diese Version von El Dorado?

"Doktor Livingstone vom Amazonas"

Moderne Raubritter machten zwischenzeitlich mit anderen Ressourcen dieses Gartens Eden Geschäfte, mit Edelhölzern und Kautschuk. Während des Booms um die Gummibäume wuchs die Stadt Manáus mitten im Busch und bekam ein filmreifes Opernhaus, in dem Caruso sang und kürzlich Schlingensief inszenierte. Zeitgenössische Goldsucher bemühen sich außer um Nuggets heutzutage um Stämme, Viehweiden und Sojafelder, um seltene Tiere und Arzneimittel aus exotischen Pflanzen.

Doch Percy Harrison Fawcetts Idee von El Dorado gewann neue Anhänger. Er war überzeugt davon, dass die Wildnis mit ihren Waldmenschen die Reste einer reichen und raffinierten Hochkultur verbirgt. Er stieß auf Anzeichen von Kunsthandwerk, Bauwerken und Landschaftsplanung, die mit denen der Inkas, Azteken und Mayas mithalten konnten, mit Wissen und Geschick von Griechen, Römern und Chinesen. "Die Geschichte tödlicher Obsession am Amazonas", untertitelt der US-Autor David Grann vom Magazin The New Yorker sein Buch "The Lost City of Z".

Für ihn und andere könnte dieser "David Livingstone vom Amazonas" zurecht davon gesprochen haben, dass der brasilianische Urwald Zeugnisse einer Hochkultur überwuchert hat. Grann schildert Fawcetts Erkenntnisse, nach denen die amerikanische Frühhistorie umgeschrieben werden müsste. Er wird bestärkt von den Recherchen des renommierten Archäologen Michael Heckenberger. Der stieß in 1990er Jahren am Oberlauf des Amazonas-Ablegers Xingu auf Anzeichen mehrerer Siedlungen aus der Zeit zwischen 800 und 1600 Jahren vor Christus. "Diese Leute hatten Sinn für monumentale Ästhetik", schloss Heckenberger, "sie mochten wunderschöne Wege und Plätze und Brücken."

Majestätisches unter Schlingpflanzen

Die Roosevelt-Urenkelin Anna fand laut Chronist Grann sogar Reste, die mindestens 10.000 Jahre alt sein sollen. Von Erdhügeln und Dämmen ist die Rede, die für den Anthropologen Clark Erickson von der Universität von Pennsylvania "Rivalen der ägyptischen Pyramiden" sind. Dessen Kollegen Neil Whitehead zitiert Grann so: "Mit ein paar Vorbehalten hat El Dorado wirklich existiert."

Spitzentechnik mit Radaren, Satelliten und Sensoren soll beweisen, dass unter den Schlingpflanzen Majestätisches verborgen liegt. El Dorado am Amazonas, dieser grünen Hölle, dieser Lunge der Menschheit? Droben bei den Nachfahren der Muisca kam man nicht wesentlich weiter, obwohl Spaniens Invasoren einst vorhatten, den Guatavita-See trockenzulegen.

Doch da ist das Goldfloß im Goldmuseum. Da war ein ähnliches Detail, das 1856 an einer Lagune auftauchte und auf seiner folgenden Odyssee in einem Schiff im Hafen von Bremen verbrannt sein soll. Manche Kolumbianer wurden außerdem reich mit Kaffee, Blumen und einem weißen Pulver, das wacht macht und süchtig. Und der internationale Flughafen von Bogotá trägt einen klingenden Namen: El Dorado.

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Quelle:
SZ vom 14.08.2009/tob
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