Schatzsucher:Mythos zwischen Schlingpflanzen

Lesezeit: 4 min

Traum oder Wirklichkeit? Irgendwo am Amazonas soll sich die sagenumwobene Goldene Stadt El Dorado verbergen.

Peter Burghardt

Das Goldmuseum von Bogotá ist eine sagenhafte Schatzkammer, in den Vitrinen lagern ungefähr 50.000 Schmuckstücke. Manche von ihnen blenden vor Pracht - keine andere Ausstellung der Welt versammelt so viele goldene Objekte wie dieses Museo de Oro in der Altstadt der kolumbianischen Metropole. Die meisten von ihnen stammen aus der Zeit vor der Landung des Entdeckers Christoph Kolumbus, nach dem die Republik im Nordwesten Südamerikas benannt ist. Sie illustrieren, zu welchen Glanzleistungen die Einwohner in dieser Gegend auch vor Ankunft der Europäer fähig waren.

Floß von El Dorado, Foto: AFP

Das Floß von El Dorado: Miniatur eines Mythos.

(Foto: Foto: AFP)

Ein Exemplar sticht aus der Sammlung heraus: die 19,2 Zentimeter lange, 10,1 Zentimeter breite und 10,2 Zentimeter hohe Balsa de Eldorado. Das berühmte Floß von El Dorado. Diese Miniatur eines Mythos, der ein bisschen Traum ist und vielleicht auch ein bisschen Wirklichkeit.

Entdeckt wurde die feingliedrige Kostbarkeit 1969 in einem Keramikbehälter in einer Höhle südlich von Bogotá. Das goldene Modell mit den Figuren darauf gilt als Nachbildung jenes Floßes, mit der die Legende von El Dorado begann.

Demnach ruderte das Volk der Muisca ihren Herrscher zum Amtsantritt auf den See Guatavita bei Bogotá, um den Sonnengott gnädig zu stimmen. Der künftige Anführer wurde für die Zeremonie mit Goldstaub bepudert, in der Mitte des Gewässers wusch man die Schicht ab und ließ die Partikel gemeinsam mit Smaragden und anderen standesgemäßen Opfergaben in die Tiefe sinken. Die spanischen Eroberer hörten die Erzählung bei ihren Feldzügen im 16. Jahrhundert von den Eingeborenen und bekamen große Augen und Ohren: Wo, fragten sie sich, war das viele Gold hergekommen? Auch Nachgeborene beschäftigte das Rätsel in den folgenden Jahrhunderten, es führte ins Dickicht der Phantasie und des größten Regenwaldes des Globus.

Gier nach Bodenschätzen

Die Gier nach Bodenschätzen war ja einer der wesentlichen Antriebe für die Konquistadoren, sie plünderten unter anderem die Silberminen von Potosí in Bolivien und finanzierten der Krone ein ausschweifendes Leben. Nichts faszinierte die Iberer mehr als der Gedanke an ein geheimnisvolles Imperium aus Gold, versteckt in ihren Kolonien. Eine Entdeckung wie später Machu Picchu in den Anden, bloß noch wertvoller.

El Dorado wurde zum geflügelten Wort und ging über "in die Gefilde mythologischer Fiktionen", vermerkte der deutsche Naturforscher Alexander von Humboldt. Das den Ureinwohnern heilige Edelmetall inspirierte Schriftsteller, Filmemacher und Musiker, von Joseph von Eichendorff über Joseph Conrad bis Werner Herzog, Carlos Saura und Leonard Bernstein.

Schummrige Bars und Western mit John Wayne benannten sich danach, El Dorado verselbständigte sich zum Synonym für schnelles, riskantes Geld. Die Illusion brachte Scharen von Wissenschaftlern und Glückrittern dazu, den Dschungel zu durchforsten, auf dass sich das Phantom endlich materialisiere.

Zu den Pionieren zählten die Spanier Francisco de Orellana und Gonzálo Pizarro, die 1541 von Quito aus eine verlustreiche Tour wagten. Orellana gelang dabei die erste bekannte Fahrt bis zur Mündung eines gewaltigen Flusses, der Amazonas getauft wurde. Den Titel bekam er angeblich wegen kriegerischer Frauen am Ufer, Amazonen. Irgendwo an diesem Strom vermutete Orellana die Goldene Stadt. Der Engländer Sir Walter Raleigh versuchte sich weiter oben am Orinoco.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema