Schatzsucher: Keith Jessop:Versunken im Eismeer

Jahrelang suchte Keith Jessop vor Russlands Küste nach 5,5 Tonnen Gold. Doch als er den Schatz in der Tiefsee gefunden hatte, wurde er weder reich noch glücklich.

Sonja Zekri

Am 25. April 1942 kurz vor Mitternacht reißt die Schiffsglocke die Besatzung des britischen Kriegsschiffs HMS Edinburgh im sowjetischen Hafen von Murmansk aus dem Schlaf. Benommen taumeln die Seeleute an Deck. Zwei sowjetische Barkassen haben an der Seite festgemacht, an Deck stehen schwerbewaffnete Soldaten der Roten Armee. Die Männer hieven Holzkisten an Bord, auf denen "Munition" steht. Wer aber ließe Gewehre so aufwendig eskortieren? Plötzlich löst sich eine Kiste aus der Halterung, kracht auf das Deck der Edinburgh und zerbricht. Zwischen Sägespänen blitzen fünf Goldbarren.

Keith Jessop, Foto: oh

Taucher Keith Jessop: "Für ein paar Minuten malte ich mir aus, ich wäre der Mann, der diese phantastische Fracht entdecken könnte. Aber damals hätte das Wrack auf dem Mond liegen können, denn es gab weder für die Suche noch für die Bergung die nötige Technologie."

(Foto: Foto: oh)

Die Matrosen, abergläubisch und keine 20 Meilen von der deutschen Front entfernt voller Angst, ahnen Schlimmes. Als Schnee auf die Kisten fällt und die rote Farbe verwischt, murmelt einer: "Russisches Gold, aus dem Blut tropft." Zwei Wochen später sind 55 der 850 Mann an Bord tot. Die Edinburgh - vom deutschen U-Boot U456 und dem Zerstörer Hermann Schoemann manövrierunfähig geschossen und schließlich von den Briten versenkt, damit sie nicht in die Hände der Nazis fällt - liegt auf dem Grund der Barentsee. Und mit ihr das Gold.

Keith Jessop hat von diesem Gold geträumt, von 5,5 Tonnen in 93 Kisten, 465 Barren reinstes sowjetisches Edelmetall. Woher es stammt, ob aus dem Zarenschloss oder geraubt aus Kirchen, ist unklar. Die Goldbarren, jeder mit Hammer und Sichel versehen, sind bestimmt für Moskaus Alliierte: Stalin wollte damit in Amerika und Großbritannien seine Rechnung für Rüstungslieferungen bezahlen.

Deal mit London und Moskau

"Ich hatte den Namen der Edinburgh gelesen, als ich gerade angefangen hatte zu tauchen", schreibt Jessop in seinem Buch Goldfinder: "Für ein paar Minuten malte ich mir aus, ich wäre der Mann, der diese phantastische Fracht entdecken könnte. Aber damals hätte das Wrack auf dem Mond liegen können, denn es gab weder für die Suche noch für die Bergung die nötige Technologie."

Jessop, geboren 1933 als unehelicher Sohn einer Textilarbeiterin in Yorkshire, begann früh zu tauchen, um der Fabrik zu entkommen. Anfangs schleppte er Schrott aus dem flachen Wasser vor der schottischen Küste. Als Boot nutzte er den Schlauch eines Traktors, den er innen mit Maschendraht verstärkt hatte. Später wurden seine Objekte größer. Er gründete eine Firma und tauchte nach Wracks auf allen Weltmeeren. Die Technologie schritt fort. Die Edinburgh aber, 245 Meter tief in der ewigen eisigen Nacht des Polarmeeres, blieb unerreichbar. Jahrzehntelang durfte die Bergung nicht einmal versucht werden, weil das Wrack wegen der toten Seeleute als Kriegsgrab galt. Als Großbritannien das Verbot aufhob, versuchten Briten, Norweger und Sowjets die Bergung. Aus unterschiedlichen Motiven. Alle erfolglos.

Für Jessop war sie längst eine fixe Idee. Zwei Jahre lang erforschte er allein die Lage des Wracks. Er lernte die neue Technologie der Offshore-Ölgewinnung zu nutzen. Schließlich rang er nicht nur der britischen Regierung, sondern nach einem bemerkenswerten Besuch in Moskau auch den Sowjets eine Vereinbarung ab, dass er das Gold heben durfte und man es dann teilen würde. 45 Prozent sollte er, Jessop, bekommen, der Rest würde zu zwei Dritteln an Moskau und zu einem Drittel an London gehen.

"Ich habe das Gold gefunden"

Als Jessop mit zwölf Tauchern, einem britischen Regierungsvertreter und der obligatorischen KGB-Begleitung im August 1981 von Tromso aus in See stach, war sein Triumph so wahrscheinlich wie der Bankrott. Würde er scheitern, "wäre jeder Penny, den ich in den vergangenen 20 Jahren unter harten und gefährlichen Bedingungen verdient habe, futsch", schreibt er: "Ich wollte das Gold so sehr, dass ich es fast riechen konnte."

In Zweierteams schickt er seine Männer in die Tiefe, eine Arbeit, die ohne eine neuartige Taucherglocke undenkbar gewesen wäre. Dennoch ist das Vorhaben lebensgefährlich. Einige Männer erleiden Verbrennungen, weil das heiße Wasser, das ihre Anzüge aufwärmen soll, sich nicht gleichmäßig verteilt. Andere bekommen eine hochansteckende Ohrenkrankheit, die nicht sofort behandelt werden kann, weil sie erst nach Tagen auftauchen dürfen.

Der erste Tauchgang muss abgebrochen werden, weil das Kohlendioxid in der Tauchglocke dramatisch ansteigt und die fast bewusstlosen Männer nur in allerletzter Sekunde noch auftauchen können. Das Gold liegt im Bombenraum der HMS Edinburgh neben nicht explodierter Munition. Mit den Händen schaufeln die Männer Unmengen Schutt und Geröll weg, schneiden Löcher in Türen - und alles unter einem immensen Wasserdruck.

Taschenlampen in Totenschädel

Aber dann, am späten Abend des 16.September 1981, dringt die Stimme des Tauchers John Reed - wegen des Sauerstoff-Helium-Gemischs quietschend wie bei Minnie Mouse - an die Oberfläche: "Ich habe das Gold gefunden! Ich habe das beschissene Gold gefunden!" Jessop sah auf die Uhr - 22.48 Uhr -, reservierte im Geiste diesen ersten Barren für sich und ergab sich der rauschhaften Aussicht auf Reichtum und Ruhm. Anerkennung, endlich! "Ich konnte die Leute, die mich und meine Erzählungen über das Gold in den Tiefen des Ozeans ernst genommen hatten, an einer Hand abzählen", schreibt er. "Jetzt würden es etwas mehr sein." Als er in Yorkshire ankommt, empfängt ihn am Pier ein silberner Porsche, wenn auch Second Hand.

Doch der größte Tiefseeschatz der Geschichte machte Jessop nicht glücklich, er machte ihn nicht einmal reich. Bald sah er sich Betrugs- und Bestechungsvorwürfen ausgesetzt. Die Verfahren zogen sich über Jahre hin. Die Presse beschuldigte ihn der Grabschändung: Seine Taucher hätten Taschenlampen in die Schädel der Toten gesteckt. Jessop fühlte sich von seinen Partnern verraten. Seine Ehe zerbrach. Und die Steuerbehörde stellte Forderungen von fast einer Million Pfund an seine Firma.

Jessop, der sich als sensibler Retter versunkenen Allgemeingutes gibt, galt als Pionier einer neuen Branche kommerzieller Tiefsee-Wühler, die ein sensibles Ökosystem umpflügten. Selbst wenn dies stimmt, selbst wenn Gier und Geltungssucht seine wichtigsten Motive sind, wirkt er dennoch seltsam getrieben, ein Süchtiger. Der Schatz war noch nicht geteilt, da kalkulierte Jessop bereits neu: 431 der 465 Barren hatten seine Taucher geborgen. Die restlichen 34, so Jessop, müsse man später holen, um weitere Pläne zu finanzieren. Schließlich hatte ein russischer Offizier von zehn, nicht fünf Tonnen Gold auf der Edinburgh geschrieben. Mit dem zusätzlichen Gold habe Stalin privaten Luxus bezahlen wollen. Dieses Gold müsste noch dort unten liegen.

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