Schatzsucher:Der Bernstein-Wahn

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Das Bernstein-Kabinett treibt manchen Schatzsucher in den Wahnsinn. Seit Jahrzehnten fahnden Bauern, Politiker und Geheimdienstler nach dem wertvollen Zimmer, das Peter dem Großen gehörte.

Hannah Wilhelm

Sie sind nicht gerade vorteilhaft, die himmelblau-weißen Plastiksäckchen, die jeder Besucher des Katharinenpalastes bei Sankt Petersburg über seine Schuhe ziehen muss. Das Parkett müsse geschont werden, das sei besser so.

Bernsteinzimmer, dpa

Eine historische Aufnahme aus dem Jahr 1930: Damals zierte das Bernsteinzimmers den Katharinen-Palast in der Nähe von St. Petersburg. Seit 1945 ist der wertvolle Wandschmuck jedoch verschollen - nach ihm wird weltweit gefahndet. Der Wert wird auf 125 Millionen Euro geschätzt.

(Foto: Foto: dpa)

Es soll eine Bitte sein, aber aus dem Mund der voluminösen russischen Palast-Aufseherin klingt jeder Satz wie eine Drohung. Also stülpen sich alle kurzbehosten, schwitzenden Touristen brav die Überzieher über ihre Sandalen. Fortan umhüllt ein leichtes Schleifgeräusch die Besuchergruppe, himmelblau-weißer Plastik auf Parkett.

Das Ziel aller Touristen, ob russisch, deutsch oder italienisch ist Zimmer acht, zweite Etage. So schleift die Gruppe ungerührt palavernd durch den prächtigen großen Saal, durch verschiedenfarbige Speisesäle, bis endlich Zimmer acht, zweite Etage kommt, das Bernsteinzimmer.

100 Quadratmeter, die Wände glänzen vom Boden bis an die Decke in verschiedenen Tönen, gelb, orange, rot, braun. Dazwischen goldene Kerzenleuchter, Spiegel, Gemälde. Als die Touristen das sehen, schweigen sie plötzlich, zu hören ist nur noch das Schleifen. Und eine bellende Aufseherin, die die Besucher schon bald wieder weitertreibt.

Die Bernsteinzimmer-Sucht

Nein, es ist hier in Petersburg nicht das echte Bernsteinzimmer. Ein Nachbau, nicht mehr, nicht weniger. Das Original, das suchen sie noch, die Schatzgräber dieser Welt. So viele hat der Wahn erwischt, die Bernsteinzimmer-Sucht. Bauern, Politiker, Geheimdienstler, Chefredakteure.

Das Bernsteinzimmer - im Herbst 1716 schenkt es der preußische König Friedrich Wilhelm I. dem russischen Zaren Peter dem Großen: Wandverkleidungen für ein ganzes Zimmer, vollständig aus Bernstein, dazu verschiedene Mosaike, Spiegel, Gemälde, Möbelstücke.

Der russische Zar freut sich und schreibt an seine Frau "Katherinchen": "Der König schenkte mir ein außerordentlich bedeutendes Geschenk, (...) ein Bernstein-Kabinett, das ich schon lange wünschte".

200 Jahre lang ziert es den Katharinenpalast, 25 Kilometer außerhalb von St. Petersburg. Bis 1941. Da ist St. Petersburg von den Deutschen besetzt und die Nationalsozialisten finden, das Kunststück gehöre zum "Nationalstolz Deutschlands" und müsse in den "Schoß der Heimat" zurückgeführt werde.

Die letzte Spur

Am besten nach Königsberg, es sei ja immerhin aus preußischem Bernstein gefertigt - so die krude Argumentation. Also lassen die Nazis die Tafeln von den Wänden nehmen, in Kisten packen und nach Königsberg bringen. Am 5. Dezember 1941 findet sich auf der Inventarliste des Königsberger Schlosses unter der Nummer 200 der lakonische Eintrag "Bernsteinzimmer". Eine Spur, eine der letzten.

1944 - die sowjetischen Truppen marschieren Richtung Königsberg und die Deutschen fangen wieder an zu packen, auch das Bernsteinzimmer, wieder in Kisten. Krieg, Chaos, Zerstörung, irgendwo dazwischen die Kisten. Irgendwo, doch wo genau, weiß schon bald niemand mehr.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie das Bernstein-Zimmer einen Apfelbauern in den Selbstmord trieb.

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