Rügen:Urlaub im Koloss von Prora

Wohnen im Denkmal Prora

Prora auf Rügen. Das ehemalige, gigantische Nazi-Projekt füllt sich seit einigen Jahren mit Leben. Es wird nach und nach für Feriengäste ausgebaut.

(Foto: Stefan Sauer/dpa)

Aus dem früheren Nazi-Projekt "Seebad der 20 000" entsteht ein Feriengebiet für Besserverdiener. Während heftig geplant und gebaut wird, beklagen viele die Dominanz des Tourismus.

Von Sabine Richter

Ferienwohnungen direkt am Meer, am schönsten Strand der Insel Rügen. Dennoch mussten seit der Fertigstellung 77 Jahre vergehen, bis hier Urlauber einzogen. An den ersten warmen Tagen im Mai kam der erste Ansturm: Goldgräberstimmung am Ostseestrand. Dank Denkmal-Abschreibung Afa und Anlagenotstand findet das "Seebad der 20 000" nun eine neue Verwendung. Die Rede ist von Prora, einem Vorort von Binz, einem der beliebtesten Ostseebäder in Deutschland. Kilometerweit streckt sich der weiße Strand zwischen Ostsee und Kiefernwäldern, ums Eck befinden sich die berühmten Kreidefelsen der Insel Rügen.

Dieses Idyll haben sich die Nationalsozialisten für ihr "Seebad der 20 000" ausgesucht. Im Auftrag der NS-Organisation "Kraft durch Freude" (KdF) wurde Prora zwischen 1936 und 1939 auf 4,5 Kilometern Länge hochgezogen. Die Anlage sollte die Deutschen durch das gemeinsame Erleben auf Systemtreue trimmen, 20 000 Gäste sollten gleichzeitig in den acht uniformen Blöcken beherbergt werden. Die Wohnungen maßen dann auch nur karge 2,5 mal 4,75 Meter. Für seinen Entwurf bekam Architekt Clemens Klotz 1937 einen Grand Prix bei der Weltausstellung in Paris. Doch es kamen niemals Urlauber. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs endeten die Arbeiten.

Prora diente dann Kriegszwecken, als Ausbildungsort für ein Polizeibataillon, später als Notunterkunft für Ausgebombte und als Lazarett. Nach dem Krieg zog die Rote Armee ein, danach die Nationale Volksarmee. Nach dem Mauerfall war bis 1992 die Bundeswehr da. Zwischen 2004 und 2011 trennte sich der Bund Stück für Stück von dem nationalsozialistischen Erbe. Etwa 3,5 Millionen Euro brachte die Privatisierung. Eine Studie im Auftrag des Bundes gab 1997 die weitere Entwicklung vor. Die Gesamtanlage wurde unter Denkmalschutz gestellt, vier Blöcke verkaufte der Bund an Privatinvestoren, einer ging an den Landkreis. Block VIII hatte die Rote Armee gesprengt.

Der Titel Seebad soll kommen, für eine Marina läuft eine Machbarkeitsstudie

Aber erst vor wenigen Jahren kam Leben in den bizarren Bau. Eine Handvoll Investoren realisiert nun das, was die Nazis nie vollenden konnten: Sie schaffen ein Tourismus-Refugium, wenn auch für Besserverdiener. Es entstehen luxuriöse Ferienapartments, die preislich Großstadtniveau erreichen, Eigentumswohnungen und betreute Wohnprojekte, Hotels und Sportstätten, Restaurants, Wellnesseinrichtungen, Einzelhandelsgeschäfte, Parkhäuser. Der Titel Seebad soll kommen, die Promenade von Binz ist im Bau, und für eine Marina - einen Sport- und Fischereihafen - läuft eine Machbarkeitsstudie.

Wie Prora einmal genau aussehen wird, ist noch nicht völlig klar. Ein Gesamtkonzept für die Anlage gibt es nicht. "Auch wir wissen bei einigen Häusern noch nicht, in welcher Form der Bebauungsplan umgesetzt wird", sagt Bürgermeister Karsten Schneider. "Sicher ist, "dass sich hier etwas entwickelt, das genauso groß ist wie Binz". Der Bürgermeister sieht aber keine Konkurrenz. Während das alte Binz für das Elegante und Mondäne stehe, könne Prora das Junge, Frische und Szenehafte repräsentieren. Der Name Prora werde bald internationale Bedeutung bekommen, ist sich der Bürgermeister sicher.

Derzeit geht der Gemeindechef von etwa 3000 Betten im Beherbergungsgewerbe aus. "Mehr geht nicht, mit 14 500 Gästebetten ist der Markt in Binz dicht." Zum Dauerwohnen sieht der Plan 600 Wohneinheiten vor, 400 in Block I und II, 200 in Block IV. Es werden wohl mehr werden. Das Investitionsvolumen schätzt der Bürgermeister inklusive Infrastruktur auf mindestens 700 Millionen Euro. Die Projektentwicklungsgesellschaft Prora Solitaire geht von 6000 Menschen aus, die in Prora wohnen und arbeiten werden. Darunter etwa 1200 Alteingesessene, die in den rückwärtigen Häusern schon seit Jahrzehnten wohnen.

Sehr uneinheitlich ist der Baufortschritt. In Block IV, der scheibchenweise fertiggestellt wird (Investor: Bauart, Amberg), sind schon einige Unterkünfte bezogen; geplant ist eine Mischnutzung aus Dauerwohnen, betreutem Wohnen und Eigentumswohnungen zur Ferienvermietung. An anderen Ecken scheint dagegen wenig bis gar nichts zu passieren. Wie in den Blöcken VI und VII.

Die Ruinenblöcke, gnädig hinter dichtem Wald verborgen, gehören einem Liechtensteiner Konsortium, dessen Pläne niemand kennt. "Vor fünf Jahren haben wir das letzte Mal mit denen gesprochen", erklärt Bürgermeister Karsten Schneider.

Offene Fragen auch bei Block V, der immer noch dem Landkreis Vorpommern-Rügen gehört. Seit Juli 2011 steht hier die Jugendherberge mit 400 Betten, mit der die Entwicklung Proras begann. Der Landkreis will aber nicht nur den unsanierten, sondern den ganzen Block in private Hände geben, der Grund dafür ist Geldnot. Interesse angemeldet haben sollen zwei Investoren, darunter auch die Prora Solitaire Immobilien GmbH, die verschiedene Wohnnutzungsformen umsetzen und dabei auch "Raum für die Entwicklung von kulturellem Leben und für Orte des historischen Erinnerns" bereitstellen will. Die Jugendherberge bleibe unangetastet, meldete das Unternehmen vor Kurzem.

Viele Wohnungen sind schon verkauft, für 4500 bis 6900 Euro pro Quadratmeter

In Block II ist die Sanierung weit fortgeschritten. Hier entstehen unter der Marke Prora Solitaire bis Mitte 2017 etwa 150 Hotelapartments und 220 Eigentumswohnungen, 40 bis 140 Quadratmeter groß, fast alle mit Terrassen und Balkonen mit Meerblick. Investoren sind Bering Consulting (Michael Jacobi / Axel Bering) und Baltic Bau (Heinz Breuer), als Investitionsvolumen wird 100 Millionen Euro genannt. Ernst Ulrich Busch, der im Jahr 2006 die halbwegs intakten Blöcke I und II für 455 000 Euro gekauft und Baurecht erwirkt hatte, hat sich nach und nach von allen Anteilen getrennt und ist für die Prora Solitaire Immobilien GmbH nur noch als "freier Projektentwickler" tätig.

Die meisten Wohnungen sollen, beflügelt von Denkmal-Afa und Anlagenotstand, verkauft sein. Die Preise: zwischen 4500 und 6900 Euro pro Quadratmeter, für sehr exklusive Bedürfnisse gehe es hoch bis auf 10 000 Euro. 50 Apartments davon bietet der Ferienhausanbieter Novasol als "sofort buchbar" an, weitere sollen im Laufe des Jahres folgen. Die Wochen-Preise beginnen in der Hauptsaison bei 895 Euro. "Die Vermietung ist trotz der Bauarbeiten gut angelaufen", sagt Solitaire-Pressesprecher Rüdiger Heide.

Ambitioniert auch die Pläne für Block III: Wo derzeit der Wald gerodet wird, soll in den kommenden fünf Jahren für 100 Millionen Euro unter dem Projektnamen Strandpark Prora ein modernes Ferien- und Freizeitzentrum entstehen. Die Inselbogen Strandimmobilien GmbH aus Wuppertal hat den Block erworben und kooperiert in Teilen mit Bering Consulting. Neben den "Strandresidenzen" mit 250 Ferien- und Eigentumswohnungen mit durchschnittlich 70 Quadratmeter Wohnfläche soll im Querriegel ein Ausstellungs-, Veranstaltungs- und Sportzentrum entstehen. Dazu Gastronomie, Einzelhandel und ein Hotel mit 180 Zimmern, Wellnessangeboten und Tagungsmöglichkeiten.

Die Planungen dürften manchen wehmütig stimmen, denn in Block III herrschte vor Kurzem noch eine skurril-bunte Mischung aus Künstlerkolonie, Museen zur NS- und NVA-Geschichte, Diskothek und Hochseilgarten. Was davon später noch existieren wird, ist ungewiss. Das NVA-Museum kommt vielleicht in Block V, der Hochseilgarten darf vielleicht bleiben.

"Neues Prora" hat der Berliner Investor Irisgerd (Eigentümer und Bauherren: Iris Hegerich / Gerd Grochowiak) seine Entwicklung in Block I genannt, die in einem Stück erfolgt. Mehr als 90 Millionen Euro sollen in 166 Eigentumswohnungen (23 bis 135 Quadratmeter) und ein Vier-Sterne-Apartment-Hotel mit 114 Wohnungen, Restaurant, Lobby, Wellness-Bereich investiert werden. Betreiber wird die Gesellschaft "Private Palace Hotel & Resorts", die auf Rügen bereits vier Hotels managt. Dazu Gewerbe- und Einzelhandelsflächen, zwei Parkhäuser, ein öffentliches Schwimmbad.

Ostern 2017 soll eröffnet werden, geplant war ursprünglich Herbst 2016 - ein sportlicher Plan, bisher wurde nur entkernt, außerdem wurden die Liegehallen abgerissen. 90 Prozent der Wohnungen sind nach Angaben von Irisgerd verkauft.

Museen und Vereine, die sich mit der Geschichte der KdF-Anlage in Prora befassen, beklagen die zunehmende Dominanz des Tourismus und eine "Enthistorisierung" des Ortes. Katja Lucke, Leiterin des Dokumentationszentrums Prora mit der Dauerausstellung "Macht-Urlaub", hätte sich einen sensibleren Umgang mit dem Baukomplex gewünscht, und eine kleinteiligere, facettenreichere Nutzung mit mehr Bildung und Sozialem. Die meisten Käufer dürfte die Vergangenheit der Anlage nicht stören. Selber darin wohnen werden ja die wenigsten von ihnen.

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